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Die United States Army Air Forces griffen am 9. März 1945 zwei Stunden lang Tokio an. Alsbald wurden 84.000 Tote gemeldet. Heutige Schätzungen gehen von einer fast doppelt so hohen Todesopferzahl aus
In der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt, fand in Tokio von Mai 1946 bis November 1948 ein Tribunal nach dem Muster des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses statt. Teils zu langen Haftstrafen, teils zum Tode wurden Politiker, hohe Staatsbeamte und militärische Befehlshaber des japanischen Kaiserreichs verurteilt. Gegenstand waren Kriegsverbrechen und das Führen eines gegen den Briand-Kellogg-Pakt vom August 1928 verstoßenden Angriffskriegs. Anders als in Nürnberg beruhte das Verfahren auf keiner internationalen Charta. Die USA schufen und exekutierten „Völkerrecht“ in eigener Machtvollkommenheit.
Alles begann mit dem Überraschungsangriff der Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor auf der zu Hawaii gehörenden Insel O'ahu am 7. Dezember 1941, bei dem 2403 US-Bürger, überwiegend Marineangehörige, starben. Die USA erklärten Japan den Krieg. Das mit Japan verbündete Deutsche Reich antwortete mit einer Kriegserklärung an die USA.
Auffällig war die militärische Asymmetrie des Pazifikkonflikts. Dem Vormarsch der japanischen Armeen in China und Indochina stand eine gravierende Unterlegenheit im See- und Luftkrieg gegenüber. Vor allem die Kriegs- und Handelsflotte der Japaner versagte. Auch waren ihre Jagdflugzeuge veraltet oder verschlissen und wurden zudem von schlecht ausgebildeten Piloten bedient. Als auch der Einsatz von Flugabwehrkanonen und insuffizienten Radarsystemen nicht weiterhalf, stellten sie 1944 die berüchtigte Sondereinheit Shimpū Tokktōtai (Kamikazeflieger) ihrer Kaiserlichen Marineluftwaffe auf, die aber nur Nadelstiche gegen einzelne US-Schiffe setzen konnte und keine Wende herbeiführte.
Luftherrschaft der USA
Konsequenz: Bomber der United States Army Air Forces (USAAF), der Vorgängerin der heutigen United States Air Force (USAF), konnten von den 1944 eroberten Marianen-Inseln fast ungehindert zu den japanischen Hauptinseln vordringen. Nachdem ein „Testangriff“ auf die Großstadt Kōbe im Februar 1945 Tausende Zivilisten liquidiert hatte, schickte das US-Bomberkommando seine apokalyptischen Reiter nach Tokio. Am späten Abend des 9. März 1945 wurde die japanische Hauptstadt zum Ziel eines verheerenden Luftschlags. 346 leistungsstarke Bomber vom Typ B-29 mit einer Reichweite von 5200 Kilometern warfen aus 1500 bis 2500 Höhenmetern 1665 Tonnen Napalm- und Phosphorbomben ab.
Der zweistündige Angriff vernichtete 41 Quadratkilometer eng bebauter Stadtfläche. Einzelbrände vereinigten sich zu einem Großfeuer, das in einen alles verschlingenden Feuersturm mündete. Alsbald wurden 84.000 Tote gemeldet. Heutige Schätzungen gehen von einer fast doppelt so hohen Todesopferzahl aus. Über eine Million Bewohner Tokios wurden obdachlos. Tokio gehört „zu den Chiffren des Äußersten, was Waffengewalt der Zivilisation zufügte“, wie es der deutsche Publizist und Verfasser von Sachbüchern über historische Themen Jörg Friedrich formuliert hat.
Vorausgegangen war ein Strategiewechsel der USAAF. Anders als Vorgänger Brigadegeneral Haywood Hansell war der neue Kommandeur des XXI Bomber Command der Twentieth Air Force, Brigadegeneral Curtis LeMay, ein Bewunderer jenes Arthur Harris, der als Oberbefehlshaber des britischen Bomber Command deutsche Städte mit vernichtenden Flächenangriffen überzog. Vom britischen Premier Winston Churchill übernahm LeMay die Doktrin der „Tausendbomberangriffe“. Seine strategische Präferenz begründete er mit der durchwachsenen Erfolgsquote von Präzisionsschlägen gegen militärische Ziele Japans.
Eine wichtige Rolle dürfte auch die Entflammbarkeit Tokios gespielt haben. Die meisten Gebäude wiesen einen hohen Anteil an Holz und anderen brennbaren Materialien auf. Sechsmal wurde die Stadt von Mitte Februar bis Ende Mai 1945 von der USAAF brutal attackiert. 150 Quadratkilometer des Stadtgebiets lagen in Trümmern. Das geht noch weit über die Totalschadensflächen schwer getroffener deutscher Städte wie Berlin und Hamburg mit je 25 Quadratkilometern hinaus.
Umstritten ist die Frage, ob der Brandbombenangriff auf Tokio und spätere Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki die Durchhaltemoral beschädigt und zur Kapitulation des japanischen Kaiserreichs beigetragen haben. Während einige Historiker wie F. J. Bradley das bejahen, sah Winston Churchill den maßgebenden Unterschied in der Überlegenheit der US-Marine: „Die Niederlage Japans war als Folge der überwältigenden maritimen Macht seiner Gegner schon vor dem Abwurf der ersten dieser Bomben eine Gewissheit.“
Militärhistoriker Tsuyoshi Hasegawa differenziert: „Die japanischen Führer wussten, dass Japan den Krieg verlieren würde. Aber Niederlage und Kapitulation sind nicht das Gleiche. Die Kapitulation ist ein politischer Akt. Ohne den Zwillingsschock der Atombomben und des sowjetischen Kriegseintritts gegen das Inselreich hätten die Japaner im August 1945 niemals die Kapitulation akzeptiert.“
Strategiewechsel zum Area Bombing
Der amerikanische Strategiewechsel zum Terrorluftkrieg, der beispielsweise auch am 8. April das deutsche Halberstadt mit 3000 Toten traf, löste unter den US-Militärs leidenschaftliche Kontroversen aus. Empört rügte Brigadegeneral George McDonald, Chef des Nachrichtendienstes der Luftstreitkräfte, seine Kommandozentrale: „Diese Weisung versetzt die USAAF eindeutig ins Geschäft der Flächenbombardierung von Städten, die mit Zivilisten überfüllt sind. Fünf Jahre wahlloser Bombardierung durch die Briten in Deutschland haben bis jetzt keine entscheidende Wirkung erzielt.“
Markanter Kritiker dieses Zivilisationsbruchs ist auch US-Philosoph und Kant-Bewunderer John Rawls (1921–2002), der als Infanterist im Pazifikkrieg diente und auf seine geplante Offizierskarriere wegen der Strategie des Area Bombing verzichtete. Er warf US-Präsident Harry S. Truman vor, japanische Signale zu einem Verhandlungsfrieden missachtet zu haben, um den vom Tennō um Vermittlung gebetenen sowjetischen Partei- und Regierungschef Josef Stalin aus dem pazifischen Raum herauszuhalten: Daher „waren sowohl der Abwurf von Brandbomben über Tokio und andere japanische Städte im Frühling 1945 als auch der Abwurf von Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, allesamt primär Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sehr schwere Vergehen, und so werden sie heute auch weithin gesehen“, so Rawls 1999.
Indirekt gab Curtis LeMay seinen Kritikern nach 1945 recht. Er vermutete, man hätte ihn im Falle eines japanischen Siegs vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt. Genau dort hätte LeMay hingehört.