11.12.2024

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Der ungeliebte Staat

Wie die Bundesrepublik Deutschland noch immer mit Preußen und seinem reichen historischen Erbe ringt

Eberhard Straub
09.08.2020

Die Bundesrepublik ist der erste deutsche Staat, der sich Deutschland nennt. Das Heilige Römische Reich, der Deutsche Bund, der Staat Bismarcks, die Weimarer Republik, das „Dritte Reich“ und auch die DDR – sie alle führten das Wort „deutsch“ in ihrem offiziellen Namen, vermieden es jedoch, sich Deutschland zu nennen.

Für das Deutschland-Bild der alten Bundesrepublik prägend wirkte sich die sogenannte Hallstein-Doktrin aus, die – in Abgrenzung zur kommunistischen DDR – den Anspruch erhob, dass die Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des deutschen Volkes sei. Als mit dem Beginn der Neuen Ostpolitik der Regierung Brandt die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze und die Existenz der DDR faktisch anerkannt wurden, entwickelte sich aus dem Alleinvertretungsanspruch allmählich die Haltung, dass der westdeutsche Staat Deutschland allein sei. Was jenseits von dessen Grenzen lag, gehörte nun nicht mehr dazu.

Lossagung von Preußen

Diese Haltung traf unzählige Kernländer der deutschen Geschichte: neben Österreich – das nach 1945 seinen eigenen Weg ging – auch Thüringen mit Weimar und der Wartburg, Sachsen mit Dresden und Leipzig sowie Mecklenburg mit seinen Herrenhäusern und alten Hansestädten. Besonders gründlich verscharrten die West- und Süddeutschen das alte Preußen, jene klassische europäische Großmacht, die bereits die Alliierten 1947 für aufgelöst erklärt hatten. Obwohl nicht unerhebliche Regionen der Bundesrepublik vormals im Guten wie im Schlechten mit der preußischen Geschichte zu tun hatten und zum Teil sogar preußische Provinzen gewesen waren, wollten die Schleswiger und Holsteiner, die Hannoveraner, Westfalen und Rheinländer nicht mehr daran erinnert werden, je mit ihm vereint gewesen zu sein. Die Welt der alten Bundesrepublik hörte an der Elbe auf; jenseits davon lag nur noch das „rote Preußen“ – was durchaus als doppelte Abgrenzung sowohl zur Vergangenheit als auch zur Nachkriegsgegenwart gemeint war.

Die Verdammung Preußens aus dem offiziellen Gedächtnis der Westdeutschen erschien den meisten unter ihnen wie eine Erleichterung. Sie genossen die materiellen Vorzüge ihres wirtschaftlich zweifelsohne erfolgreichen Staates und strömten im Sommer nach Mallorca, Jütland oder Rimini. Darüber verloren sie freilich jede Beziehung nicht nur zu den Landsleuten zwischen Rügen und dem Thüringer Wald, sondern auch zu den noch weiter östlich beheimateten Nachbarvölkern – und mithin jede Vorstellung von der tausendjährigen Geschichte der Deutschen inmitten Europas sowie zugleich eine historisch vertiefte Idee des ganzen Europas.

Doch die Geschichte wollte es anders. Der Fall der Mauer und die anschließende staatliche Einheit holten die Westdeutschen in die Geschichte zurück. Nach hitzigen Debatten mussten sich selbst die hartnäckigsten Verteidiger der Nachkriegsverhältnisse darin fügen, dass Berlin 1991 zum Regierungssitz der „erweiterten Bundesrepublik“ bestimmt wurde. Seitdem ringen die Repräsentanten des Staates nicht nur mit ihrer Hauptstadt. Dabei waren beide deutsche Staaten – Bundesrepublik und DDR – als Bruchstücke aus dem 1871 unter dem preußischen Ministerpräsidenten Otto v. Bismarck konstituierten Nationalstaat hervorgegangen. Ohne Preußen hätte es also auch die Bundesrepublik nicht gegeben.

Dennoch hörte – nicht zuletzt aufgrund eines erschreckenden Unwissens über die Geschichte und deren vielfache Verästelungen, die keine pauschalen Urteile zulassen – die plumpe Verdammung des alten Preußen auch nach dem Regierungsumzug keineswegs auf. Bis heute geben ablehnende Sinnstifter keine Ruhe, die Hauptstadt und die Republik im Ganzen von ihrem preußischen Erbe zu erlösen. Das führt unvermeidlich dazu, dass nichts in Berlin selbstverständlich ist. Es ist eine verkrampfte, unfrohe Hauptstadt geworden, weil sie eingepasst wurde in eine Republik der Freudlosigkeit, die sich gern weltoffen gibt und doch aus der gedanklichen Enge der alten Bundesrepublik kaum herausgekommen ist – und der nichts so fremd ist wie unbefangene Neugier auf das unübersichtliche Leben in seiner Vielfalt gestern, heute und morgen.

Ein Reich der Absurditäten

So ist Berlin ein eigenes kleines Reich grenzenloser Absurditäten geworden. Ein Beispiel dafür war und ist die unendliche Debatte über das Stadtschloss der preußischen Könige. Hatte Walter Ulbricht diesen schönsten römischen Palast jenseits der Alpen am 7. September 1950 sprengen lassen, so sträubten sich westdeutsche Politiker, Geschichtspolitiker und Sinnstifter noch viele Jahre nach der deutschen Einheit energisch gegen die aus der so oft beschworenen „bürgerlichen Mitte“ kommenden Forderungen, das königliche Schloss wieder aufzubauen. Selbst als der Wunsch einer Wiederherstellung zumindest der äußeren Fassaden nicht mehr abzuwenden war und die Verfechter einer modernen Bebauung des Areals ihr Scheitern eingestehen mussten, durfte das Gebäude unter keinen Umständen ein Schloss mehr sein und auch keine festlichen Räume zur staatlichen Repräsentation enthalten. So entstand die verkrampfte Idee eines Humboldt-Forums, das Weltgewandtheit symbolisieren sollte und dennoch schnell unter die Räder absurder Debatten wie diejenige um den Umgang mit dem Kolonialismus und seinen Hinterlassenschaften geriet. Wenige Monate vor der Eröffnung weiß die Öffentlichkeit noch immer nicht, was dort ausgestellt werden soll.

Andere Staaten und Nationen, die ebenfalls schon lange Republiken sind, haben weit weniger Probleme damit, in höfischer Pracht zu repräsentieren. In Bayern werden die Schlösser – wie jüngst auf Herrenchiemsee beim Empfang der Bundeskanzlerin durch Ministerpräsident Söder – selbstverständlich für Repräsentationen des Freistaats genutzt. In Wien befindet sich das Bundeskanzleramt der Republik Österreich in der Geheimen Hofkanzlei des Habsburgerreiches, schräg gegenüber von der Hofburg, in der der Bundespräsident residiert. Im Pariser Élysée-Palast sitzt und empfängt der Staatspräsident der Französischen Republik. In Warschau residiert der polnische Präsident in einem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Schloss und wohnt im Belvedere-Palast. Überall auf der Welt stehen höfische Pracht und das Verständnis moderner Demokratien nicht im Widerspruch. In Berlin freilich wurde das Schloss der Hohenzollern zum Sinnbild des Schreckens, des „wilhelminischen Imperialismus“ und „militaristischer Prahlerei“ verunglimpft. Dabei hat sich kaum ein Hohenzollernherrscher öfter als durch die Amtsgeschäfte erforderlich hier aufgehalten.

Ein Musterbeispiel für die von Unwissenheit geprägten Debatten war auch die Diskussion um die Aufstellung des Kreuzes auf der Kuppel des wiederaufgebauten Schlosses. Das historische Kreuz wies – trotz aller Staatsvernunft – auf den wahren Souverän und Weltenherrscher, auf Christus, als dessen Stellvertreter und Amtmann sich die Könige verstanden. Das Gottesgnadentum war kein Ausdruck der Selbstherrlichkeit, sondern bildete eine Schranke, die beziehungsreich verdeutlichte, dass der Monarch einer ihm übergeordneten sittlichen Macht verpflichtet war. Insofern war das Kreuz auf der Kuppel ein Hinweis darauf, dass auch der König nicht allmächtig war, sondern buchstäblich unter dem Kreuz stand, das seine Macht beschränkte und rechtfertigte.

In Potsdam, der alten und durch zahlreiche engagierte Rekonstruktionen wieder neuen Residenzstadt der Hohenzollern, zeigt sich die ganze „Preußen-Verkrampftheit“ im Umgang mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche. Trotz ihres Namens war die Kirche für Soldaten keine Heimstatt der Reaktion, sondern sie gab Zeugnis davon, dass auch der preußische Soldat ein miles christianus, ein christlicher Soldat war – und kein „bramarbasierender Hosenmatz“, um mit dem gottesfürchtigen Marschall Blücher zu reden. Dass Adolf Hitler dort 1933 seine Machübernahme inszenierte, konnte diesen erinnerungsmächtigen Raum mitnichten entweihen – wie auch die evangelische Kirche nicht auf den Gedanken kommt, den Berliner Dom als entweiht zu verstehen, nur weil Reichsmarschall Hermann Göring und Emmy Sonnemann dort ihre Hochzeit wie einen Staatsakt gefeiert hatten.

Was wird aus Preußens Kulturbesitz?

Das jüngste Beispiel für die schleichende Entsorgung Preußens aus der deutschen Erinnerung ist der Vorschlag einer Expertenkommission, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufzulösen und in vier eigenständige Einrichtungen zu überführen. Ob die Strukturen der Stiftung heute noch die richtigen sind, müssen die zuständigen Fachleute beurteilen. Doch was für ein Signal wäre es, wenn dabei der Name Preußen auf der Strecke bliebe! Schließlich ist es kein Zufall, dass die größte Kultureinrichtung des heutigen Deutschlands diejenige ist, die einst gegründet wurde, um den Nachlass des alten Preußen zu verwalten. Und was für eine Anmaßung wäre es, wenn ausgerechnet die Bundesrepublik, die so viele Jahrzehnte von Preußen nichts wissen wollte, nun so täte, als ob das im Zentrum der Hauptstadt versammelte Kulturgut, das unzweifelhaft ein Erbe der preußischen Geschichte ist, ein Resultat ihrer eigenen Leistungen wäre!

Zu guter Letzt ein Beispiel, das zeigt, wie Geschichte souverän in die Gegenwart integriert werden kann: 1814 weigerte sich Kaiser Franz I. von Österreich, die beiden Obelisken mit den Adlern Napoleons in Schönbrunn abtragen zu lassen. Er befand, dass auch die Niederlagen und die Schmach Österreichs zu dessen Geschichte gehörten, und Schönbrunn seine Würde als kaiserliche Residenz nicht einbüße, weil sich Napoleon dort vorübergehend aufgehalten hatte.


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