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Leben und Werk als Fragment – Vor 250 Jahren wurde der Frühromantiker Novalis geboren. Sein Erkennungszeichen: die blaue Blume
Zu den „Unvollendeten“ der deutschen Literatur gehört ein gewisser Georg Philipp Friedrich von Hardenberg. Besser bekannt unter seinem Pseudonym Novalis ist er ähnlich wie Theodor Körner („Lützows wilde Jagd“), Märchenautor Wilhelm Hauff oder der „Woyzeck“-Schöpfer Georg Büchner jung an Jahren gestorben, aber unvergessen.
Obgleich sie alle zwischen ihrem 20. und 30 Lebensjahr starben und ein zum Teil unvollendetes Werk hinterlassen haben, rankt sich um sie ein Mythos ähnlich dem einer zu früh aus dem Leben gerissenen Marilyn Monroe. Denn sie standen für Aufbruch, Neubeginn, Revolte, ja, vielleicht sogar Revolution.
Einst war es die Französische Revolution, welche nicht nur die politische, sondern auch die literarische Landschaft veränderte. Die deutsche Romantik, die sich anstelle der an der Antike orientierten Regelklassik laut Friedrich Schlegel zur „progressiven Universalpoesie“ herausbilden sollte, wäre ohne die revolutionären Geschehnisse in Frankreich kaum entstanden. Wer aber wissen will, was Romantik eigentlich genau ist, kommt an Schlegel und an dem am 2. Mai 1772 auf dem an den östlichen Harz-Ausläufern gelegenen Schloss Oberwiederstedt geborenen Novalis nicht vorbei. Er war nicht nur ständiger Besucher der legendären Wohngemeinschaft des Jenaer Romantikkreises um die Brüder Schlegel und deren Lebensgefährtinnen, sondern mit Friedrich Schlegel auch der theoretische Vordenker der Frühromantik.
Dabei gibt es kein Pamphlet, kein Manifest, welches die Gedanken der Romantiker auf den Punkt bringt. Man muss es sich aus Fragmenten, Aphorismen und Essaysammlungen zusammenreimen. Wichtigste Quelle sind Schlegels „Athenäumsfragmente“ und die von Novalis in Schlegels Zeitschrift „Athenäum“ veröffentlichten „Blüthenstaub“-Fragmente.
Selbst dabei bleibt vieles im Vagen und für Interpretationen nach allen Seiten offen. Im Prinzip sieht Novalis ähnlich wie Schlegel in der Poesie das alleinige Heilmittel, um der Zerrissenheit der Welt, von Mensch und Natur, ein Ende zu bereiten. Und das treibt er mit missionarischem Eifer voran: „Wir sind auf einer Mission: Zur Bildung der Erde sind wir berufen“, schreibt er im „Blüthenstaub“. Ziel sei das Goldene Zeitalter, das man weniger herbeizaubern, als poetisch herbeiromantisieren will. Politik, Geschichte, Philosophie und Religion müssten allegorisch und mythisch überhöht, also romantisiert werden.
Eine Synthese und Harmonie sieht er sogar zwischen Monarchie – der preußischen Herrscherfamilie stand er freundlich gegenüber – und Republik. „Alle Menschen sollten thronfähig werden“, schreibt er in einem jugendlichen Anfall von Demokratie, schränkt aber ein: „Das Erziehungsziel zu diesem fernen Ziel ist ein König. Er assimiliert sich allmählich die Masse seiner Untertanen.“
Dichter der blauen Blume
Was wir heute unter Gefühlsromantik verstehen, hat also nichts mit dem zu tun, was die Frühromantiker anstrebten. Es ging auch um eine politische Einheit – nur eben mit den Mitteln der Poesie. Dass sich Novalis in seinem frühreifen jugendlichen Drang als Schwätzer herausstellte, merkte auch Schlegel, der über Novalis' romantisches Programm spottete: „Das wird ein interessantes Rührei werden.“
Seine Philosophie rührte er aus den Lehren Kants, Fichtes und des Niederländers Hemsterhuis zusammen und verbreitete sie diskussionsfreudig in seinem Bekanntenkreis – heute würde man sagen „Netzwerk“ – um Goethe, Schiller, Jean Paul, Tieck, Schelling und Herder. Dieses Netzwerk sorgte dafür, dass der Name Novalis über dessen Tod hinaus fortlebte.
Denn sein schmales literarisches Werk, das er nebenher als dienstbeflissener Salinenassessor im Staatsdienst hinterließ, ist so überschaubar und fragmentarisch wie sein kurzes Leben selbst. Mit „Die Lehrlinge zu Sais“ und „Heinrich von Ofterdingen“ hinterließ er zwei Romanfragmente. Im Letzteren tauchte jenes Sehnsuchtsmotiv auf, mit dem sein Name dauerhaft verbunden bleibt und das schlechthin symbolisch für die Frühromantik steht: die „blaue Blume“. Diese ist eine Art Erlösungsmotiv, nach der nicht nur der orientierungslose mittelalterliche Titelheld sucht, sondern auch Novalis selbst in Erwartung seines frühen Todes.
Es war wohl die Tuberkulose, die seinem Leben mit 28 Jahren ein Ende setzte. Angesteckt hatte er sich bei einem zwölfjährigen Mädchen, in das er sich mit Anfang 20 verliebt hatte und mit dem er sich heimlich verlobte. Drei Jahre später starb sie. Seinen Schmerz darüber verarbeitete er in sechs kurzen „Hymnen an die Nacht“, die mit seinen „Geistlichen Liedern“, von denen einige ins evangelische Gesangbuch aufgenommen wurden, sein wichtigstes lyrisches Werk ist.
Seine Todesmystik und das Sehnen nach der Ewigen Nacht sind vielen noch ein Quell, aus dem man schöpft, um an die Endlichkeit des Lebens zu mahnen. Und so erfreut sich Novalis bis heute so mancher Sympathie. Literaturhistorisch war es vielleicht ein Glück ihn, jung zu sterben. Denn wer nach einer Sturm-und-Drang-Phase als Revoluzzer ein langes Leben vollenden durfte, bekommt oft die Ungnade zu spüren, sobald er im Alter zu entgegengesetzten Ansichten gelangt.
Doch einen reaktionären Novalis mag man sich nicht vorstellen, obwohl er in der DDR wegen seiner adeligen Herkunft und religiösen Dichtung als „dichtender Krautjunker“ diffamiert wurde und man seinen Geburtsort Schloss Oberwiederstedt fast ganz abgerissen hätte. Heute gibt es dort ein Novalis-Museum und in seinem Sterbeort Weißenfels zwischen Leipzig und Jena eine Gedenkstätte, die zum 250. Geburtstag des Dichters mit einem Besucheransturm rechnen können.
• „Gepflanzt, gepflückt, verzückt“ Installation im Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt vom 15. Mai bis 30. Oktober. Internet: www.novalis-stiftung.de. Novalis-Gedenkstätte in Weißenfels an der Saale, Internet: www.novalis-weissenfels.de