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Russland

Der verhinderte Hoffnungsträger

Boris Nadjeschdin darf nicht zur Präsidentschaftswahl antreten – Protest wurde offen sichtbar

Manuela Rosenthal-Kappi
16.02.2024

Bei uns darf es nur einen Politiker geben, den das Volk öffentlich liebt – und das ist Putin“, sagte ein russischer Beamter, der in den Organisationsprozess der Präsidentschaftswahl eingebunden ist, gegenüber „The Moscow Times“.

War es also Boris Nadjeschdins wachsende Beliebtheit, die zur Entscheidung der zentralen Wahlkommission vom
8. Februar beigetragen hat, ihn nicht als Präsidentschaftskandidat zuzulassen? Laut Wahlkommission waren etwa acht Prozent der 100.000 notwendigen eingereichten Unterstützerunterschriften ungültig – der zulässige Grenzwert liegt bei fünf Prozent. Angeblich sollen sich auch Unterschriften Verstorbener – die berühmten „toten Seelen“ – darunter befunden haben, was Nadjeschdin bestreitet.

Mit dem Slogan „S Nadjeschdoj w buduschtscheje“ (Mit Nadjeschdin in die Zukunft) hatte der liberale Politiker und Kriegsgegner seine Kampagne eröffnet, wobei dieser ein Wortspiel mit seinem Nachnamen enthält, denn nadjeschda heißt Hoffnung. Um die 100.000 Unterschriften zu sammeln, hatte Nadjeschdin mit seinen Mitstreitern überall im Land Wahlbüros seiner Partei „Bürgerinitiative“ eröffnet. Dass der Andrang so groß sein würde, damit hatte er selbst nicht gerechnet. Bei eisiger Kälte standen die Menschen stundenlang Schlange, um die Liste zu unterschreiben. Innerhalb weniger Tage kamen so 200.000 Unterstützer-unterschriften zusammen. Das Bild der Menschenschlangen verbreitete sich schnell in den sozialen Netzwerken.

Hofnarr oder echter Gegner?
Vor seiner Kandidatur galt der 60-jährige als Alibi-Gegner des Kreml, der als Hofnarr in zahlreichen TV-Talkshows auftrat, wo er stets eine Gegenposition zur Regierungslinie vertrat, ohne jedoch selbst große politische Ambitionen zu zeigen. Das änderte sich mit seiner Kandidatur für das russische Präsidentenamt, wohl wissend, dass er von Vornherein keine Chance gegen Putin hatte. Seine Kandidatur setzte dennoch ungeahnte Kräfte frei. Sowohl Gegner des Ukrainekriegs in Russland, Unzufriedene mit der sozialen Lage im Land wie auch Regimekritiker im Exil, etwa Michail Chodorkowskij oder Julia Nawalnaja, die Ehefrau des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalnyj, scharten sich hinter ihm.

In Russland ist Nadjeschdin kein Unbekannter. In der Jelzin-Ära war er Berater des damaligen Vizeministerpräsidenten Boris Nemzow – einer der führenden Köpfe der liberalen Union der rechten Kräfte, der 2015 vor den Mauern des Kreml ermordet wurde – und Assistent des damaligen Ministerpräsidenten Sergej Kirijenko. Für die Union der rechten Kräfte war er von 2000 bis 2003 Duma-Abgeordneter. Heute ist er Abgeordenter in der Stadt Dolgoprudnij im Umland von Moskau. Er sieht sich selbst als Vertreter der älteren Politikergeneration und als Patrioten, der dafür kämpft, dass Russland friedlich und frei wird.

Es stellt sich die Frage, warum Na-djeschdin ausgerechnet in einer Zeit, in der jeder politische Gegner Putins aus dem Weg geräumt wird, sich freiwillig der Gefahr einer Verhaftung aussetzen sollte. Oder handelte es sich bei seiner Kandidatur vielleicht, wie einige Unkenrufer behaupten, um ein abgekartetes Spiel mit dem Kreml, in dem Nadjeschdin als Ventillösung für alle Unzufriedenen herhalten sollte? Gut möglich, dass dies zunächst zutraf, doch Nadjeschdins Ausschluss von der Wahl lässt darauf schließen, dass nicht alles nach Plan lief und schließlich die Befürchtung überwog, dass der Oppositionspolitiker Präsident Putin doch noch gefährlich werden könnte.

Rote Linie des Kreml überschritten
Davon zeugen nicht nur Nadjeschdins Putin-kritische Zitate der letzten Zeit wie „Ich bin prinzipiell gegen die Politik von Präsident Putin“, „Putin führt das Land in die Vergangenheit zurück und ich möchte, dass Russland die Zukunft eines modernen Landes hat“ und „Putin hat einen fatalen Fehler begangen, als er die militärische Spezialoperation begann“, sondern auch die Tatsache, dass Nadjeschdin in Beliebtheitsumfragen direkt hinter Putin lag. Laut dem Regime-kritischen Sender „Doschd“, der seit 2023 mit einer niederländischen Lizenz sendet, hätte Nadjeschdin bei der Präsidentschaftswahl 20 Prozent erreichen können. Ähnlich sieht es auch das Internationale Carnegie-Zentrum in Moskau. Hätten Nadjeschdins Chancen lediglich bei einem bis drei Prozent gelegen, wäre ihm vielleicht der Posten eines Gouverneurs angeboten worden wie dem Kandidaten für das Moskauer Bürgermeisteramt 2018, Michail Degtjarew. Mit seinen hohen Beliebtheitswerten habe er jedoch eine rote Linie des Kreml überschritten.

Nadejschdin hat gegen die Entscheidung der Wahlkommission Klage eingereicht, was vermutlich wenig nützen wird. Wenn auch vorab schon feststeht, dass Putin auch nach dem 18. März weiter russischer Präsident bleiben wird, so haben die Menschenschlangen vor Nadjeschdins Wahllokalen doch eins gezeigt: Es gibt in Russland Menschen, die Putin nicht unterstützen. Umfragen beider Lager zeigen, dass Befürworter wie Gegner des Regimes eine Gemeinsamkeit eint: Sie wollen ein Ende des Ukrainekriegs. Die einen, weil sie eine neue Mobilmachung fürchten, die anderen aus Prinzip.

Nach ihren Motiven befragt, für Na-djeschdins Unterstützung Schlange zu stehen, gaben einige Befragte unumwunden zu, dass der Kandidat nicht wichtig sei, dies aber die einzige legale Möglichkeit sei, ihren Protest gegen den Ukrainekrieg auszudrücken. Den Menschen mache das Mut, weil es zeige, dass sie nicht allein sind.


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