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Alternswissenschaft

Der Weg zur Unsterblichkeit

Wie Forscher den Traum vom langen Leben erfüllen wollen – Neue Technologien sollen den Alterungsprozess umkehren

Helga Schnehagen
09.06.2024

Der Club der 100-jährigen wächst und wächst. Etwa 25.000 Menschen gibt es in Deutschland, die 100 Jahre oder älter sind. Rund 80 Prozent von ihnen sind Frauen. Vor zehn Jahren waren die Zentenaren noch um die 10.000 weniger. Fast alle Forscher stimmen darin überein, dass sich die Alterung eines Tages allgemein verlangsamen lassen wird. Manche sehen sogar gar kein Verfallsdatum des Menschen mehr. Aktuell liegt der Lebenszeitrekord bei 122 Jahre.

Schon jetzt geben Ärzte Empfehlungen, was man selbst tun kann, um möglichst lange gesund zu bleiben. Krankenkassen belohnen entsprechendes Verhalten mit Boni und anderen Vergünstigungen. Tina Ernst, niedergelassene Gynäkologin im baden-württembergischen Kurort Bad Mergentheim, zählt mit zu der Ärzteschaft, die das Thema des gesunden Alterns beschäftigt. Im Mai lud sie zu einem Vortrag ein.

„Nur 20 Prozent des Alterns ist wirklich genetisch bedingt, den Rest können wir durch unseren alltäglichen Lebensstil beeinflussen“, ist sich die Medizinerin sicher. Dabei setzt sie auf einen gesunden Lebenswandel mit gesunder Ernährung, Bewegung, Stressreduktion, Verzicht auf Suchtmittel und ausreichend Schlaf. Schon kleine Schritte in diese Richtung könnten nach ihrer Ansicht eine große Wirkung haben.

Außerdem setzt sie auf Mikronährstoffe, also auf jene Mittel, die der Körper in kleinen Mengen für die Gesundheit des Herzens, des Gehirns und der Gelenke benötigt und die im Alter schlechter aufgenommen und verarbeitet werden. Dazu gehören bestimmte Vitamine, Mineralstoffe oder Omega-3-Fettsäuren. So sollen Antioxidantien wie Vitamin C, Vitamin E, Beta-Carotin und Selen helfen, freie Radikale zu bekämpfen und oxidative Schäden in den Zellen zu reduzieren.

Das, kurz gesagt, Lebensstil-Modell ist – mit Variationen und Ergänzungen – inzwischen weitverbreitet. Doch wie alt kann man damit werden und wie gesund kann man damit wirklich altern? Dazu verfolgt die Alternsforschung seit einigen Jahren ein ganz anderes Konzept: den sogenannten Reparaturansatz. Damit hält sie sogar die irdische Unsterblichkeit nicht mehr für unmöglich. Was auf den ersten Blick als billige Science-Fiction erscheint, ist bei näherer Betrachtung zwar immer noch unglaublich utopisch, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik. Es ist also nicht völlig abwegig, einen zweiten Blick auf das Thema zu wagen.

Bereits 2007 erschien der Bestseller „Ending Aging: The Rejuvenation Breakthroughs. That Could Reverse Human Aging in Our Lifetime“. Im Jahr 2010 kam die deutsche Übersetzung auf den Markt: „Niemals alt!: So lässt sich das Altern umkehren. Fortschritte der Verjüngungsforschung“. Darin entmystifiziert der britische Bioinformatiker und theoretische Biogerontologe Aubrey de Grey, Jahrgang 1963, zusammen mit seinem Assistenten Michael Ray als Co-Autor die bis heute letzte Gewissheit, dass der Tod ein unabänderliches Schicksal sei. Nach Grey sind jene Biotechnologien, die den körperlichen Verfall nicht nur hinauszögern, sondern periodisch rückgängig machen, bereits in Reichweite.

Verjüngungspartei bei Europawahl
Seit 2019 ist de Grey Mitglied im Beirat der 2015 gegründeten Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung (bis 2022 Partei für Gesundheitsforschung) mit Sitz in Berlin, die den Reparaturansatz des vermutlich bekanntesten Alternsforschers der Welt in Deutschland weiterverfolgt. Als eine der Kleinparteien auf der Wahlliste zum Europäischen Parlament 2024 rückt sie derzeit vermehrt ins Rampenlicht. In ihrem Programm erklärt die Ein-Themen-Partei Schritt für Schritt das medizinische Konzept.

Ziel ist es, das Altern zu besiegen. Schlaganfall, Herzinfarkt, Immunschwäche, Demenz, Krebs treten verstärkt mit steigendem Alter auf. Würde man den Körper eines Menschen auf dem Stand eines 20-Jährigen halten oder den eines 90-Jährigen wieder in den eines 30-Jährigen verwandeln können, gäbe es die altersbedingten Probleme gar nicht, die in letzter Konsequenz zum Tod führen.

Altern wird dabei als Anhäufung schädlicher Veränderungen im Körper definiert. Je länger man lebt, je mehr irreparable Schäden sammeln sich an. Sie entstehen unter anderem durch den ganz normalen Stoffwechsel, da es keinen Prozess gibt, der fehlerfrei abläuft. Dazu kommen unvermeidliche Umwelteinflüsse wie Strahlung und aggressiver Luftsauerstoff, durch welche die Zellen beschädigt und das umliegende gesunde Gewebe in Mitleidenschaft gezogen werden können.

Da wir alleine ohne Sauerstoff nicht leben können, ist Schadensvermeidung unmöglich. Es bleibt nur die Option, Techniken zu entwickeln, mit denen man Schäden regelmäßig reparieren kann, damit sich ihre Gesamtzahl nicht erhöht und im besten Fall sogar verringert.

Dazu hat der Buchautor de Grey alle möglichen Alternsgründe in nicht mehr als sieben Schadensklassen eingeteilt. Für alle darin enthaltenen Probleme soll es schon theoretische Lösungen geben. Einige dieser theoretischen Lösungen wurden angeblich bereits erfolgreich an Mäusen angewendet. Entscheidende Experimente am Menschen stehen noch aus.

Bleibt die Frage: Wie schnell schreitet die medizinische Entwicklung voran? Darauf geben Verjüngungsforscher eine verblüffende Antwort. Tina Ernst fasst zusammen: „Bei genauerer Betrachtung brauchen wir keine Gesamttechnologie, die erst in Jahrzehnten so weit sein wird. Dafür ist das Thema zu kompliziert. Wir brauchen überhaupt keine Technologie für Unsterblichkeit. Es reicht aus, die erste Technologiewelle der Lebensverlängerung mitzunehmen, die zum Beispiel

25 Jahre extra schenkt. In diesen 25 Jahren wird weiter geforscht und werden neue Technologien entwickelt, die einem, sagen wir, 50 weitere Jahre geben. Und dadurch erlebst du die nächste Technologiewelle, die 100 Jahre schenkt, und so weiter.“

Zur schnelleren Entwicklung von Verjüngungstherapien fordert die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung zusätzliche 40 Milliarden Euro des EU-Haushalts pro Jahr für den Bau und Betrieb zusätzlicher Forschungseinrichtungen und den Ausbau der relevanten Fachbereiche an den Universitäten – wie zum Beispiel Medizin, Biochemie, Bioinformatik und Molekularbiologie – sowie die Ausbildung von mehr Menschen.


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