21.11.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Internationale Politik

Der Westen erlebt Tage der Offenbarung

Der G7-Gipfel in Elmau sollte Einheit und Stärke der großen Nationen Europas und Nordamerikas demonstrieren – und zeigte vor allem ihre Hilflosigkeit gegenüber den großen Herausforderungen unserer Zeit

René Nehring
29.06.2022

An Themen hat es dem diesjährigen G7-Gipfel in Elmau wahrlich nicht gemangelt: der Krieg in der Ukraine und die neuen Bedrohungen für die transatlantische Sicherheit, die Folgen der Corona-Pandemie, eine fragile Weltwirtschaft samt wackeliger Lieferketten, explodierende Staatsschulden samt einer galoppierenden Inflation sowie nicht zuletzt eine sich stetig verstärkende Energiekrise.

Und tatsächlich vereinbarten die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Japans, Kanadas und der USA sowie die Spitzen der Europäischen Union zahlreiche gemeinsame Aktivitäten zur Lösung der Probleme. So bekräftigten sie ihre Bereitschaft, der Ukraine weitere militärische und humanitäre Hilfen zu gewähren sowie Russland „erhebliche anhaltende Kosten“ aufzuerlegen, „um zur Beendigung des Krieges beizutragen“. Sie erklärten, „unverzüglich Maßnahmen (zu) ergreifen, um die Energieversorgung zu sichern und den ... Anstieg der Preise zu bremsen“. Die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen in den Industrieländern soll ebenso gedrosselt werden wie die Abhängigkeit von russischen Nahrungsmitteln in der „Dritten Welt“. Zudem soll ein „Klimaclub“ geschaffen werden, um die Weltwirtschaft am 1,5-Grad-Ziel auszurichten. Hierzu verpflichteten sich die G7 auch zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs bis 2030 und zur Forcierung des Ausstiegs aus der Kohle.

Besonders aufschlussreich ist das Ziel, in den nächsten fünf Jahren 600 Milliarden US-Dollar in eine strategische Partnerschaft mit Ländern wie Indonesien, Indien, Senegal, Vietnam und Südafrika zu investieren. Dieser Punkt sowie die Teilnahme von Indien, Indonesien, Südafrika und Senegal sowie Argentinien als Gastländer am Gipfel von Elmau weisen darauf hin, dass die G7 auf vielen Themenfeldern nicht mehr die dominierenden Kräfte sind, vielfach sind sie gar nur Zuschauer. 

Gesunkener globaler Einfluss 

So machen die G7-Staaten laut Statistischem Bundesamt nur noch zehn Prozent der Weltbevölkerung aus und haben nur noch einen Anteil von 31 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung (BIP). Noch vor wenigen Jahren trugen sie rund zwei Drittel zum globalen BIP bei. Auch dass in den vergangenen Jahren ihr Anteil am weltweiten CO₂-Ausstoß auf 21 Prozent gesunken ist, während die Emissionen (mit Ausnahme der Corona-Zeit) unaufhörlich stiegen, zeigt, dass der Beitrag der G7 zum globalen Geschehen – und damit die Möglichkeit, dieses zu beeinflussen – rapide geschrumpft ist. 

Diese und weitere Fakten werden sich auch die Gastländer von Elmau ansehen. Sie registrieren aufmerksam, dass Staaten, die noch vor wenigen Jahren weltweit die Richtung vorgaben, nun um ihre Zusammenarbeit buhlen. Die in Aussicht gestellten 600 Milliarden Dollar werden sie selbstverständlich nehmen – doch ob sie dadurch auch die Probleme des Westens zu ihren eigenen machen, darf bezweifelt werden. So pflegen mehr oder weniger alle Gastländer von Elmau enge Beziehungen zu Russland und/oder China. Dass sie keine Lust haben, diese in irgendeiner Weise aufs Spiel zu setzen, zeigte der indonesische Präsident Joko Widodo, der als Gastgeber des kommenden G20-Gipfels im Herbst auch den russischen Präsidenten Putin einlud. Die westlichen Nationen können nun überlegen, ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht. Warten werden die anderen auf sie nicht. 

Überhaupt Russland: Die durch den Gipfel angedachte Drosselung der Preise für russische Gas- und Erdöllieferungen zeigt, dass die bisherigen Sanktionen des Westens kaum etwas gebracht haben. Vielmehr führte der dramatische Anstieg der Energiekosten dazu, dass Russland die geringeren Exporte weitaus weniger schmerzlich spürt als die westlichen Nationen, die spätestens mit Beginn der nächsten Heizperiode in wenigen Wochen auf eine ernste Energiekrise zusteuern. 

Wie schwach die Position der G7 tatsächlich ist, zeigte auch die kleine Flüsterei zwischen dem französischen Präsidenten Macron und US-Präsident Biden, während der der Franzose seinem Kollegen offenbarte, dass es bezüglich der erwarteten zusätzlichen Energielieferungen aus dem arabischen Raum ziemlich düster aussieht. Natürlich war dieses Gespräch nicht zufällig gefilmt worden, sondern bewusst inszeniert. Offenkundig soll hier die Öffentlichkeit beiläufig darauf eingestellt werden, dass die Lage demnächst schon eine ganze andere sein wird als in den rosigen Erklärungen von Elmau behauptet.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS