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Wer Wirken, Denken und Persönlichkeit des Diplomaten verstehen will, muss den Blick auf vorausgegangene Missionen lenken
Friedrich-Werner Erdmann Matthias Johann Bernhard Erich Graf von der Schulenburg ist als der Mann bekannt, der sich regelmäßig mit Josef Stalin traf, ein Vertrauensverhältnis zum sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow pflegte und am 21. Juni 1941 die Kriegserklärung Deutschlands an die Sowjetunion zu übermitteln hatte – gegen seinen Willen. Dieser Tiefpunkt seines Lebens, das er dem Ausgleich zwischen Deutschland und der Sowjetunion gewidmet hatte, wurde zusätzlich überschattet von dem persönlichen Verrat Adolf Hitlers, der Schulenburg noch am 28. April 1941 zugesagt hatte, dass es zu keinem Angriff kommen würde.
Schulenburg, der bei der Sowjetführung Respekt und sogar Sympathie genoss, durfte mit der Besatzung der Botschaft über die Türkei nach Deutschland zurückkehren, während der deutsche Angriff lief und Panzerspitzen schon weit nach Russland hineinstießen. Dies geschah weder reibungslos noch ohne Schikane, wie das Kriegstagebuch der Botschaft verrät. Immer wieder erfolgten scharfe Durchsuchungen, die Eisenbahnwaggons wurden unter brennender Sonne irgendwo in der Steppe abgestellt. Aber letztlich blieben der Botschafter und seine Entourage unversehrt.
In der Person Schulenburg treffen sich entscheidende Abschnitte der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er diente ab 1901 im diplomatischen Dienst des Kaiserreiches als Vizekonsul in Georgien, war vor dem Ersten Weltkrieg Konsul in Beirut und Damaskus, später für die Weimarer Republik als Gesandter in Persien sowie für das Dritte Reich in Bukarest und zuletzt als Botschafter in Moskau. Er war Mitglied von Sonderkommissionen bei Friedensverhandlungen.
Frühe Stationen wenig erforscht
Während die Phase seines diplomatischen Wirkens in Moskau von 1934 bis 1941 bekannt und trotzdem nicht vollends ausgeleuchtet ist, sind frühere Stationen weitgehend unerforscht. Regelrecht dünn und lückenhaft wird es, wenn es um seine vorherigen diplomatischen Missionen geht: Georgien und der Kaukasus, Persien oder Rumänien.
Dabei gilt, dass wer Wirken, Denken und Persönlichkeit des adeligen Diplomaten verstehen will, den Blick über seine Zeit in Moskau hinaus weiter in die Vergangenheit lenken muss. Insbesondere seine Zeit in Persien prägte beruflich und privat sein Leben und seine Ansichten.
In den 1920er Jahren war Deutschlands Situation (außen-)politisch und militärisch geprägt von den Restriktionen des Friedens von Versailles, dessen Verpflichtungen zu sehr hohen Reparationen die wirtschaftliche Entwicklung des Reiches erheblich beeinflussten. Ruhrbesetzung, Inflation, politische Instabilität, der wirtschaftliche Absturz durch die Börsenunruhen 1929 belasteten die inneren und äußeren Beziehungen erheblich.
In einer, auf den ersten Blick, ähnlichen Lage befand sich Persien. Das Land war bereits seit dem 19. Jahrhundert Einflusszone sowohl des britischen Empire wie auch des russischen Zarenreiches. Militärische Bedrohungen, zeitweilige Besetzungen sowie unter Zwang und bis 1925 zum eigenen Nachteil abgeschlossene wirtschaftliche Verträge durch die herrschende Kadscharen-Dynastie begrenzten die Macht der Herrscher im Wesentlichen auf das Umland von Teheran. Hinzu kamen Aufstände, die durch die Briten wie in anderen Teilen ihres Kolonialreiches so auch in Persien angezettelt wurden, um das Land in einem Zustand permanenter Unruhe zu halten und bei Bedarf stabilisierend „einzugreifen“.
Die ab der Machtergreifung des neuen Schahs Reza Khan Pahlavi im Dezember 1925 hastig eingeführten und durchgeführten Reformen hielten die innen- und außenpolitischen Verhältnisse zunächst weiterhin in einem sehr fragilen Zustand. Er verordnete neue Kleiderordnungen, die Menschen mussten sich „europäisch“ kleiden, und machte Völker sesshaft, die Jahrtausende Teil nomadischer Kulturen gewesen waren. So erschuf er ein Heer von Menschen, auf die für neue Industrien und Fabrikansiedlungen zugegriffen werden konnte. Der Schock, binnen weniger Jahre das freie Leben im Gefüge des Stammes eintauschen zu müssen gegen die Existenz als Arbeiter in einem neuen Stahlwerk, muss traumatisch gewesen sein.
Prägende Zeit in Persien
Persien war jedoch, anders als Deutschland, weder nachhaltig politisch oder gesellschaftlich geeint noch entwickelt. Provinzfürsten führten ein administratives und ethnisch orientiertes Eigenleben, die Geistlichen mischten sich in die Politik ein und das Land befand sich in jeder Hinsicht noch in einem zivilisatorischen Zustand des Mittelalters. Befestigte Straßen gab es kaum, Eisenbahnlinien gar nicht. In medizinischer und hygienischer Hinsicht traten jederzeit Seuchen auf, selbst rudimentäres Wissen über die Notwendigkeit von Krankheitsprävention, sauberes Wasser, Malariabekämpfung und vieles mehr war nicht vorhanden oder wurde nicht praktiziert, Menschen starben an Insektenbissen, wenn sie nicht rechtzeitig einen europäischen Arzt fanden. Kranke oder Versehrte wurden der Bettelei überlassen. Das Rechtssystem war eines der Willkür. Für das gleiche Vergehen wurde höchst unterschiedlich bestraft. Die öffentliche Sicherheit war nirgends gewährleistet, ganze Landstriche und auch die großen Fernstraßen standen unter dem Einfluss von Räuberbanden. Der Fernverkehr wurde durch Karawanen besorgt. Unter der Regentschaft des Reza Khan Pahlavi wurden diese Zustände in weniger als zehn Jahren aktiv bekämpft und teilweise behoben. Von Menschenrechten war damals noch keine Rede.
Schulenburgs Lavieren zwischen den Großmächten Russland und Großbritannien ließ die persische Regierung Vertrauen fassen. Die wirtschaftliche Entwicklung und die Hebung medizinischer Standards, damit die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt, waren ab diesem Zeitpunkt stark mit Deutschland verbunden. Von diesen frühen Perspektiven profitiert das iranisch-deutsche Verhältnisse auch durch schwierige Phasen bis heute.
Von 1932 bis 1934 war Schulenburg als deutscher Gesandter in Rumänien tätig und spielte in dieser Zeit eine zentrale Rolle in den deutsch-rumänischen Beziehungen. Außenpolitisch versuchte Rumänien zwar, seine Position innerhalb der sogenannten Kleinen Entente zu stärken, einem Bündnis mit der Tschechoslowakei und Jugoslawien, das den Schutz gegen revisionistische Nachbarn wie Ungarn und Bulgarien sichern sollte. Gleichzeitig bemühte sich das Land, die Beziehungen zu Frankreich und Großbritannien aufrechtzuerhalten, um sich vor einem erstarkenden Deutschland und den expansiven Ideologien der Sowjetunion abzusichern. Zu Deutschland baute Rumänien in dieser Zeit die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen aus, da es auf deutsche Investitionen und Märkte angewiesen war. Daher bemühte sich Schulenburg als Gesandter, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien zu stärken und Deutschland als verlässlichen Partner zu positionieren. Auch aus dem Grunde, um dem Reich Zugang zu Rohstoffen und Märkten zu sichern.
Innenpolitisch herrschte in Rumänien zunehmende politische Instabilität. Der Aufstieg der nationalistischen und faschistisch orientierten Bewegung der Eisernen Garde polarisierte die politische Landschaft zunehmend und stärkte extremistische Strömungen. König Carol II. versuchte, durch autoritäre Maßnahmen ihren politischen Einfluss zu begrenzen, während er gleichzeitig seine Macht festigte.
Schulenburg war als Diplomat zwar dafür bekannt, Verhandlungen mit Bedacht und diplomatischem Geschick zu führen, diplomatische Beziehungen zu pflegen und die Interessen des Deutschen Reiches durch behutsame, aber konsequente Politik zu vertreten. Gleichzeitig musste er im Umgang mit der rumänischen Regierung jedoch die geopolitischen Interessen des nationalsozialistischen Deutschlands, das die Eiserne Garde perspektivisch als Bündnispartner betrachtete, mit den nationalen Interessen Rumäniens in Einklang bringen, was nicht immer einfach war.
Schulenburg, der schon zu dieser Zeit kritische Distanz zu den Nationalsozialisten hielt, setzte sich während seiner Gesandtschaft für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ein und verfolgte zugleich das Ziel, die Abhängigkeit Rumäniens von den westlichen Großmächten, insbesondere Frankreich und Großbritannien, zu reduzieren. Den zwischenstaatlichen Verbindungen zuträglich war die starke deutsche Minderheit in Rumänien, aus der international bekannte Persönlichkeiten hervorgegangen waren wie der Pionier der Weltraumfahrt Hermann Oberth. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Rumänien war also nicht wie jenes zweier fremder Mächte, sondern durch ethnische und soziale Verflechtungen gekennzeichnet.
Von Bukarest nach Moskau
Mit erheblich komplexeren Herausforderungen war Schulenburg von 1934 bis 1941 als deutscher Botschafter in der Sowjetunion konfrontiert. Das beiderseitige Misstrauen der führenden Diktatoren war groß. Hitler bezeichnete auf einer Parteitagsrede Josef Stalins Bolschewismus als größte Gefahr für die Welt. Doch Schulenburgs bedächtiges Handeln schuf die Grundlage für eine sehr gute Arbeitsebene mit den Sowjets. Auch er konnte indes nicht verhindern, dass die deutsche Volksgruppe in ihrer autonomen Wolgarepublik und anderswo drangsaliert und willkürlich angeklagt, in Schauprozessen verurteilt und verfolgt wurde. Schulenburg versuchte, Deutschland über die Entwicklungen in der Sowjetunion auf dem Laufenden zu halten, jedoch war die Informationsbeschaffung in einem so kontrollierten System wie der UdSSR äußerst schwierig. Die sowjetische Geheimpolizei NKWD überwachte die deutsche Botschaft und schränkte die Bewegungsfreiheit und Kommunikation der Diplomaten stark ein. Gleichzeitig waren Schulenburg und seine Mannschaft bestrebt, möglichst viele Informationen über die politischen und militärischen Entwicklungen der Sowjetunion zu sammeln, was zu einem ständigen Balanceakt zwischen Diplomatie und verdeckter Informationsbeschaffung führte. In der Phase des Großen Terrors vom Herbst 1936 bis Ende 1938 konnten Menschen bereits durch bloße Kontaktschuld zu deutschen Beamten verdächtig werden. Sowjetische Milizionäre notierten penibel die Personalien von Besuchern der deutschen Botschaft.
Engagement im Kreisauer Kreis
Eine der bedeutendsten diplomatischen Errungenschaften Schulenburgs war seine Rolle im Vorfeld des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages von 1939. Dieser beinhaltete eine geheime Zusatzklausel über Einflusszonen beider Länder in Osteuropa und führte letztlich zur Aufteilung Polens. Schulenburg selbst galt jedoch als eher zurückhaltend und nicht völlig überzeugt von der ideologischen Allianz mit der Sowjetunion. In Briefen an seine Lebensgefährtin drückte er mehrfach seine Hoffnung aus, dass damit nun der Frieden gesichert sei.
Noch in den Monaten vor dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 versuchte Schulenburg, die Beziehungen so lange wie möglich stabil zu halten. Ab 1937 warnte er die deutsche Führung davor, die Sowjetunion zu unterschätzen. Er rang Hitler im April 1941 die Zusage ab, dass es nicht zu einem Krieg käme, er gab der sowjetischen Führung eindeutige Hinweise auf den bevorstehenden Angriff, wofür er von dieser sogar zeitweise als Provokateur betrachtete wurde. Vor dem Angriff überlaufende deutsche Soldaten wurden für Warnungen als solche erschossen. Dennoch musste er in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 dem sowjetischen Außenminister Molotow die Kriegserklärung überbringen.
Nach dem Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion kehrte er nach Deutschland zurück. Er wurde vom Auswärtigen Amt mit einer Beraterfunktion abgefunden, büßte einen empfindlichen Teil seines Botschaftergehalts ein. Er engagierte sich im Kreisauer Kreis und war, gemäß einer Liste, die von der Gestapo im Safe des ausgebrannten Berliner Hotels Bristol gefunden wurde, für den Fall des Gelingens des Staatsstreiches vom 20. Juli 1944 für das nach-nationalsozialistische Deutschland als Außenminister vorgesehen. Ob er davon wusste, ist nicht bekannt. Am 20. Oktober 1944 wurde er aus dem Beamtenverhältnis verstoßen, am 23. Oktober vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 10. November hingerichtet.
Prof. Dr. Dr. Stefan Piasecki ist seit Februar 2018 hauptamtlicher Professor für Soziologie und Politikwissenschaften an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöV). Zu dem Thema dieses Artikels hat er dieses Jahr den Sammelband „Verrat und Treue. Gedenkschrift zum 80. Todestag des deutschen Ausnahmediplomaten Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg“ herausgegeben. Das Buch ist erschienen im Krefelder Verlag Edition vi:jo.
Marcus Junge am 13.12.24, 17:58 Uhr
"während der deutsche Angriff lief und Panzerspitzen schon weit nach Russland hineinstießen. "
Ach so, "Ost-Polen", also Ukraine und Weißrußland, sowie das von den roten Horden eroberte Baltikum, ist also "Rußland". Schon klar.