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Ottokar Dörffel

Deutscher Pionier in Brasilien

Vor 175 Jahren nahm die Obrigkeit dem 48er die bürgerliche Existenz – In der Neuen Welt machte der Beamtensohn Karriere

Bernhard Knapstein
17.05.2024

Wer im deutschen Kaiserreich „für die Republik sich erwärmt, der möchte herüber nach Brasilien kommen, er würde gründlichst geheilt werden und einen tiefen Abscheu dagegen kriegen“, bilanzierte Ottokar Dörffel, einer der bedeutendsten deutschen Kolonisten Brasiliens, in einem späten Brief Ende des 19. Jahrhunderts seine politischen Erfahrungen und nannte das viele Wählen einen Krebsschaden für das Volk, die Republik „eine häßlich-schöne Komödie“. Es war ein düsterer Blick auf eine relativ stabile Demokratie in den 1889 nach einem Putsch gegen Kaiser Pedro II. gegründeten Vereinigten Staaten von Brasilien.

Der am 24. März 1818 als Sohn eines Beamten in der fürstlich Schönburgischen Herrschaft in Waldenburg/Sachsen geborene Dörffel nahm nach seiner Maturitätsprüfung, wie das Abitur bis etwa 1900 genannt wurde, 1839 an der Universität Leipzig ein Studium der Rechts- und Kameralwissenschaften auf. Obwohl er in der spannungsreichen Zeit des Vormärz Burschenschafter wurde, beschrieb er selbst die Phase und den Umgang mit den Kommilitonen als „ohne jede politische Tendenz oder irgendeine verwerfliche Tendenz“. Dörffel wollte sich grundsätzlich streng gesetzestreu verhalten, war aber durch seine Mitgliedschaft in der verbotenen Burschenschaft in disziplinarische Untersuchungen verwickelt.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums 1842 ließ sich Dörffel noch im selben Jahr als Anwalt im Herzogtum Sachsen-Altenburg nieder. Doch zog es ihn zwei Jahre darauf nach Rochlitz, wo er die Tochter eines Uhrmachers ehelichte. Im Revolutionsjahr 1848 war der Jurist in Forderglauchau tätig und wurde dort als gemäßigter Liberaler zum Bürgermeister gewählt. Dörffel zog Recht und Ordnung noch immer den Unruhen vor. Als 1849 aufgewiegelte Bürger das Schloss Forderglauchau brandschatzen wollen, hielt er die Revolutionäre mit einer offenbar ergreifenden Rede auf. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass Freischärler aus seiner Stadt sich den Aufständischen in Dresden anschlossen.

Das genügte, um Dörffel vor 175 Jahren, im Mai 1849, wegen „Teilnahme an hochverräterischen und aufrührerischen Unternehmungen“ anzuklagen – und zum Tode zu verurteilen. Doch dazu kam es nicht. Zunächst wurde die Strafe in zwölf Jahre Zuchthaus abgemildert. Und schließlich konnte Dörffel seine Unschuld in dritter Instanz 1852 endlich beweisen. Trotz des schwer erkämpften Freispruchs blieb die Rehabilitierung indes aus. Dem suspendierten Bürgermeister wurden die Stimm- und Wahlberechtigung entzogen, er selbst als Führer der Kommunalgarde entlassen.

Dörffel hielt nun nichts mehr in Deutschland. Am 24. Juli 1854 beantragte er für sich und seine Frau einen Auswandererschein, um als Kolonist in die südbrasilianische Kolonie Dana Francisca auszuwandern. Das nur dünn besiedelte Land war auf der Suche nach fleißigen Kolonisten, und der Hamburger Kolonisationsverein von 1849 förderte das Projekt. Die Dörffels segelten mit der „Florentin“. Die Atlantiküberfahrten hatten es in der Zeit noch in sich – 35 Passagiere des Segelschiffs überlebten die zweimonatige Reise nicht.

Dörffel begann bei Null. Mit Säbel und Axt hat er den Wald gelichtet und mit Karst und Hacke den Boden für die Saat bereitet. Er errichtete eine Ziegelei, um den Kolonisten den Hausbau zu ermöglichen, und bot sich als Jurist der Kolonistenverwaltung an. Über seine Pionierleistungen berichtete Dörffel in einer regen Korrespondenz mit den Daheimgebliebenen, die heute zum Bestand des Staatsarchivs Chemnitz gehört.

Dörffel errichtete sich in Joinville eine Villa, die noch heute existiert und als Kunstmuseum dient. Er war in Brasilien zum Unternehmer geworden. Um das deutsche Kulturleben zu verfestigen, gründete er eine Druckerei. Das war ein nicht ganz leichtes Unternehmen, denn das Frachtschiff, das die ersten Druckmaschinen aus Europa anlieferte, sank 1858. Erst am 20. Dezember 1862 konnte er die erste Ausgabe seiner „Colonie-Zeitung – Anzeiger für Dana Francisco und Blumenau“ herausbringen. Diese älteste deutsche Zeitung Brasiliens erschien bis 1942, dem Jahr, in dem Brasilien aufseiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eintrat und die deutsche Sprache verboten wurde.

Dörffel wurde Mitgründer der typischen deutschen Vereine des 19. Jahrhunderts: Sängerbund, Turnverein, Schulverein, Alldeutscher Verband, Kulturverein und Freimaurerloge „Deutsche Freundschaft zum Kreuz des Südens“. Er galt als herausragender Redner. Bis heute würdigen die Freimaurer Joinvilles ihn regelmäßig auf dem Einwandererfriedhof der Stadt.

1873 veräußerte Dörffel die Druckerei und leitete bis 1877 de facto die Kolonialverwaltung. Um die Kolonie weiterzuentwickeln, vertraute er nicht auf die brasilianische Bürokratie. „Da heißt es oft rasch und entschlossen handeln, eine vollendete Tatsache und energisches Handeln findet bei unserer Regierung mehr Beachtung als ein Bittgesuch“, zitiert ihn ein Biograf.

Dörffel war zudem für die deutschen Kolonisten der wichtigste Draht nach Deutschland. 1859 wurde er Konsul Hamburgs, 1869 des Norddeutschen Bundes, dem die Hansestadt seit dessen Gründung 1866 angehörte, und 1872 des Deutschen Reichs, zu welchem der Norddeutsche Bund 1871 durch den Beitritt der süddeutschen Staaten erweitert worden war.

Joinville ist heute mit rund 570.000 Einwohnern die größte Stadt des brasilianischen Bundesstaats Santa Catarina und gilt neben Blumenau und Brusque als Zentrum der deutschen Kolonisation. Auch wenn der Zweite Weltkrieg das Deutschtum in Brasilien weitestgehend ausgebremst hat – Dörffels Entwicklungshilfe jenseits bürokratischer Auflagen ist bis heute in den Siedlungsgebieten der deutschen Zuwanderer sichtbar.


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