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Debatte

Deutschland im digitalen Jammertal

Obwohl sich die Ampelregierung „mehr Fortschritt wagen“ auf die Fahnen geschrieben hatte, droht unser Land bei zahlreichen Schlüsseltechnologien den Anschluss zu verlieren. Eine Bestandsaufnahme

Joana Cotar
27.08.2024

Die Digitalisierung prägt unsere Zeit wie kaum eine andere Entwicklung. Sie revolutioniert Wirtschaft, Gesellschaft und unser tägliches Leben. Als führende Industrienation steht Deutschland vor der Herausforderung, diesen digitalen Wandel aktiv zu gestalten. Denn die Digitalisierung bietet enorme Chancen für wirtschaftliches Wachstum und Innovation. Doch Deutschland nutzt diese Chancen seit Jahren nicht annähernd aus. Im Jahr 2023 wurden hier lediglich knapp unter 2500 Start-ups gegründet, fast fünf Prozent weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig hinkt der gesamte Mittelstand bei der Digitalisierung deutlich hinterher.

Der Blick auf die digitale Infrastruktur als Fundament jeder erfolgreichen Digitalisierungsstrategie offenbart die Gründe des Versagens: Trotz zahlreicher Ankündigungen und Initiativen hat Deutschland im internationalen Vergleich den Anschluss verpasst. So sind bundesweit nur etwa 190 Dörfer vollständig mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Dies bedeutet, dass der Großteil der ländlichen Bevölkerung keinen Zugang zu schnellem Internet hat.

Rückstände auf allen Ebenen
Die Folgen sind gravierend: Sie reichen von der eingeschränkten Teilhabe am digitalen Leben bis hin zu Nachteilen für lokale Unternehmen und dem damit verbundenen Risiko der Landflucht. Auch beim Ausbau des 5G-Netzes liegt Deutschland zurück. Gerade außerhalb der Ballungszentren fühlt man sich oft in die 90er Jahre zurückversetzt.

Um die Missstände zu beheben, muss der Breitband- und 5G-Ausbau daher deutlich beschleunigt und dabei insbesondere der ländliche Raum in den Fokus genommen werden. Dazu gehören eine Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für den Netzausbau, die Schaffung von steuerlichen Anreizen für Telekommunikationsunternehmen, die in unterversorgte Gebiete investieren, und die stärkere Berücksichtigung alternativer Technologien wie Satelliteninternet für schwer zu erschließende Regionen.

Um die digitale Wirtschaft und Innovation in Deutschland zu fördern, müssen wir auch die Ausbildung im digitalen Bereich stärken, etwa durch eine Ausweitung der Studienplätze in IT-Fächern. Vieles ist hier seit Jahren in Planung, wenig davon auch nur ansatzweise umgesetzt und in der Realität spürbar.

Keine Verbesserungen in Sicht
Benötigt wird zudem eine moderne digitale Verwaltung. Sie ist ein wichtiger Standortfaktor und trägt wesentlich zur Effizienz und Bürgerfreundlichkeit des Staates bei. Doch auch hier zeigt sich in Deutschland ein peinlicher Rückstand. So warten Unternehmen bisher vergebens auf die Einführung einer „digitalen Unternehmensgründung“ mit minimaler Bürokratie. Und dies, obwohl das Onlinezugangsgesetz vorsah, dass bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen digital angeboten werden sollten. Doch Anfang 2024 war erst ein Bruchteil davon verwirklicht: Nur 153 Verwaltungsdienste sind bundesweit online verfügbar. Damit liegt die Umsetzungsquote bei mageren 26,6 Prozent. Dies ist nicht nur ein Ärgernis für Bürger und Unternehmen, sondern auch ein erheblicher Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich.

Auch der jüngste Beschluss zum Onlinezugangsgesetz hat leider keine wesentliche Verbesserung gebracht. Die Länder sind weiterhin nicht dazu verpflichtet, einheitliche Standards einzuführen, was eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung unmöglich macht. Die Bundesregierung hat lediglich den IT-Planungsrat gebeten, seine Arbeitsweise transparenter zu gestalten, ohne jedoch konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Dies bedeutet, dass IT-Architekturentscheidungen, die langfristige Auswirkungen haben, weiterhin in nicht-öffentlichen Gremien verhandelt werden – die Betroffenen werden nicht gehört.

Eine neue Klausel, die es den Ländern ermöglicht, von den Vorgaben des Bundes abzuweichen, ist sogar ein Rückschritt. Denn sie bedeutet, dass die Länder ihre eigenen Interessen über die Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen stellen können, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, dies zu überprüfen oder zu korrigieren. Insgesamt zeigt sich, dass die Bundesregierung bisher nicht fähig war, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um Deutschland auf den Weg zu einer modernen, digitalen Verwaltung zu bringen.

Entscheidend für unsere Gesellschaft ist zudem die Vermittlung digitaler Kompetenzen an alle Bürger des Landes. Doch auch hier zeigt sich in Deutschland ein erheblicher Nachholbedarf. Trotz des „DigitalPakt Schule“ sind viele Bildungseinrichtungen im Land nach wie vor unzureichend ausgestattet. Um die digitale Bildung in Deutschland zu verbessern, brauchen wir eine flächendeckende Ausstattung aller Schulen mit moderner IT-Infrastruktur und schnellem Internet. Zudem müssen wir verpflichtende Fortbildungen für Lehrkräfte im Bereich digitale Medien und Methoden einführen, digitale Kompetenzen in alle Fächer und Lehrpläne integrieren sowie IT-Projekte an Schulen fördern. Auch an den Hochschulen müssen wir den Ausbau von Studiengängen im Bereich Digitalisierung und KI vorantreiben.

Das Bitcoin-Drama
Deutlich wird das Versagen der Bundesregierung im Bereich der Digitalpolitik auch am Umgang mit der Digitalwährung Bitcoin. Bis heute wurde keine kohärente nationale Bitcoin-Strategie entwickelt. Stattdessen hat der kürzlich erfolgte „Notverkauf“ von 50.000 Bitcoin durch das Land Sachsen international Erstaunen ausgelöst. Er ist symptomatisch für die Ferne der politisch Verantwortlichen von Realitäten und Chancen der digitalen Welt. Nach aktuellem Stand ist durch die überhastete Veräußerung seit dem 19. Juni dieses Jahres ein Wertverlust von aktuell rund 120 Millionen Euro entstanden.

Statt Bitcoin als strategische Reserve zu halten oder innovative Wege zu finden, um das Potential dieser Technologie zu nutzen, hat das Land Sachsen in einem Akt der Kurzsichtigkeit potentiell Milliarden an zukünftigem Wert verschenkt. Und offensichtlich scheinen die kritischen internationalen Reaktionen bisher kein Umdenken ausgelöst zu haben. Während Länder wie El Salvador Bitcoin sogar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen und damit beachtliche Erfolge im Tourismus- und Investitionsbereich erzielen, verschläft Deutschland diese Entwicklung komplett. Die Chancen, die sich durch die Integration von Bitcoin in unser Finanzsystem und unsere Wirtschaft ergeben könnten, werden einfach ignoriert. Dabei zeigen die langfristige Entwicklung und auch die fortschreitende Erholung des Kurses nach dem jüngsten Börsencrash, wie stabil Bitcoin ist.

Schlüsseltechnologie KI
Um diese Situation zu verbessern, brauchen wir einen proaktiven und zukunftsorientierten Umgang der Politik mit Bitcoin. Die Gründung einer Parlamentariergruppe im Bundestag und eines Bitcoin-Beirats im Bundeskanzleramt, die sich mit einer umfassenden nationalen Strategie für den Umgang mit Bitcoin befassen, wären wichtige erste Schritte. Und die Einführung von Steueranreizen für „Bitcoin-Mining“ mit Erneuerbaren Energien und weiteren Anschlusstechnologien könnte Deutschland zu einem Vorreiter in diesem Bereich machen. Nicht zuletzt sollte die Bundesregierung die Möglichkeit prüfen, einen Teil der Staatsreserven in Bitcoin anzulegen, um sich gegen Inflationsrisiken abzusichern und von potentiellen Wertsteigerungen zu profitieren. Auch Partnerschaften mit Bitcoin-Innovationsstandorten wie der Stadt Lugano in der Schweiz wären wünschenswert. Um mehr Verständnis für Bitcoin bei den Abgeordneten zu schaffen, habe ich dazu bereits vor rund einem Jahr die partei-unabhängige Initiative „Bitcoin im Bundestag“ (bitcoin-im-bundestag.de) ins Leben gerufen.

Aber immerhin gibt es auch erste Lichtblicke: Im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) könnte sich Deutschland an einem Wendepunkt befinden. Das bestätigte auch der jüngste Bericht der OECD. Die deutsche KI-Forschung schneidet durchweg gut ab. Dennoch kommt KI in der deutschen Wirtschaft bisher nur langsam an. Hemmnisse sind – wie so oft – die Regulierungen und Unsicherheiten bezüglich der Einhaltung von Datenschutzvorschriften. Hier muss die Bundesregierung nachjustieren.

Gleiches gilt bei Investitionen in KI-Start-ups. Deutschland hinkt, gemessen an den Pro-Kopf-Investitionen in KI, den USA um den Faktor 10 hinterher. Steuervergünstigungen und Kooperationsprogramme können hier Abhilfe schaffen. Besonders wichtig sind die Koordination und Bereitstellung adäquater Ressourcen auf höchster politischer Ebene und ein positiver Umgang mit dem Thema – wir dürfen nicht immer nur die Risiken, sondern müssen auch die Chancen sehen. Denn die KI ist die Technologie unserer Zeit.

Beschränkung der Meinungsfreiheit
Eine der wohl besorgniserregendsten Entwicklungen der deutschen Politik betrifft die zunehmende Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit im digitalen Raum. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von sogenannter Hassrede und angeblicher Desinformation werden immer restriktivere Gesetze und Regulierungen eingeführt, die die Grundrechte der Bürger gefährden. Neben Nancy Faesers offenem Vorgehen gegen einzelne Publikationen beobachten wir den Ausbau von Meldeportalen und anderen Maßnahmen, die kritische Stimmen bereits unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit zum Verstummen bringen sollen.

Auch das immer strengere Vorgehen gegen unabhängige Plattformen und die Androhungen von hohen Geldstrafen bei „zu freier“ Rede verbieten sich eigentlich für Demokratien. Artikel 5 GG lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Diesen Satz muss sich unsere Regierung immer wieder vor Augen halten.

Die digitalpolitische Situation in Deutschland ist leider insgesamt alarmierend. In nahezu allen Bereichen – von der digitalen Infrastruktur über die digitale Bildung bis hin zur Verwaltung und dem Umgang mit Bitcoin – versagen unsere Regierenden. Es muss aber endlich effektiv gehandelt werden, sonst berauben wir uns selbst unserer Chancen und verlieren als Land noch mehr an industrieller und wirtschaftlicher Relevanz. Es ist daher an der Zeit, dass wir uns von den Fesseln übermäßiger Bürokratie befreien und einen neuen Weg einschlagen, der Freiheit, Innovation und Wachstum fördert.

Das Potential ist vorhanden
Wir müssen die Hürden beseitigen, die kreative Unternehmer und hart arbeitende Bürger behindern, indem wir Steuern reduzieren, unsinnige Vorschriften und Verbote aufheben sowie Beschränkungen kippen, die lediglich überflüssige Behörden beschäftigen, ohne dabei einen gesellschaftlichen Mehrwert zu bieten.

Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen sind es auch. Deutschland hat das Potential, eine führende Rolle in der digitalen Welt einzunehmen. Wir verfügen über hervorragende Universitäten, innovative Unternehmen und eine starke Tradition des Ingenieurwesens – noch sind die meisten Leistungsträger nicht ausgewandert – aber was uns fehlt, ist der politische Wille und der Mut, die notwendigen Veränderungen anzugehen. Hier gilt es mit Nachdruck anzusetzen.

Joana Cotar ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags (parteilos) und gehört dort unter anderem dem Ausschuss Digitale Agenda an. www.joanacotar.de


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