11.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Mitarbeiter wie Kunden waren für die Stasi interessant: Ein Intershop
Foto: imago/Christian ThielMitarbeiter wie Kunden waren für die Stasi interessant: Ein Intershop

DDR

„Devisennot kennt kein Gebot“

Vor 60 Jahren wurde die staatliche Handelsorganisation „Intershop GmbH“ gegründet. Das Anliegen war, so viele Valutamittel wie möglich einzunehmen

Heidrun Budde
09.12.2022

Westgeld war in der DDR die beliebteste Währung, aber auch der Inhalt von Westpaketen wanderte oft von Hand zu Hand, um an begehrte Raritäten zu kommen. Der „Tauschhandel unter dem Ladentisch“ funktionierte mit der D-Mark bestens und führte bei denjenigen, die nicht über eine solche Währung verfügten, zu großem Frust.

Die Einnahme von Devisen war für die SED-Funktionäre existentiell wichtig. Schon im Jahr nach dem Mauerbau, am 14. Dezember 1962, wurde die staatliche Handelsorganisation „Intershop GmbH“ gegründet. Das Anliegen war, so viele Valutamittel wie möglich einzunehmen. Unter Funktionären kursierte das Sprichwort: „Devisennot kennt kein Gebot“ und die Intershop-Läden hatten einen beachtlichen Umsatz, ab 1985 jährlich mehr als eine Milliarde D-Mark.

Zunächst waren diese Läden nur für Besucher aus dem Ausland vorgesehen. Ab 1974 durften auch Westgeldbesitzer aus der DDR dort einkaufen und damit in eine völlig andere Welt eintauchen. Begehrte Jeans der Marke Levis, Schmuck, Kaffee, Schokolade, bunt bedruckte Süßigkeiten, das alles überflutete die Kunden, die aus dem grauen Einerlei der Kaufhallen kamen.

Wer in diesen Läden verkaufen durfte, hatte einen Blick für die Kundschaft. Westbesucher mit der entsprechenden Geldbörse waren am willkommensten. Die Verlockung, sich aus dem Sortiment unbemerkt selbst zu bedienen, war natürlich beim handverlesenen Personal da. Die Überwachung der Intershops war groß, aber ein archivierter Aktenvorgang der Staatssicherheit zeigt auf, dass auch ganz freiwillig mitgeholfen wurde.

Zu den auserwählten Verkäuferinnen in einem Intershop gehörte auch eine geschiedene Liebhaberin eines West-Berliners, welche die Stasi unter den Decknamen „Biene“ und „Mira“ führte. Ihren Klarnamen kennen wir nicht, denn er ist in den für diesen Beitrag ausgewerteten Stasiunterlagen vollkommen geschwärzt. Nennen wir sie Beate. Auch den Namen ihres West-Berliner Liebhabers kennen wir aus genanntem Grunde nicht. Nennen wir ihn Jochen.

Am 14. Juni 1988 kam nun also diese damals 37 Jahre alte Beate in Begleitung ihrer Stiefmutter zur „Besucherabteilung der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit“, um „Angaben zu einer durch sie vermuteten Straftat eines DDR-Bürgers zu machen“. Was das für eine Straftat war, geht aus der Akte nicht hervor, und eigentlich war die Polizei für derartige Anzeigen zuständig.

Partnerschaftsberatung der Stasi

Die Mitarbeiter der Staatssicherheit waren aber geduldige und interessierte Zuhörer, denn sie erkannten, dass sich diese Intershop-Verkäuferin ganz freiwillig andiente. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwachte die Intershops sehr stark. Oft arbeiteten Angehörige von MfS-Mitarbeitern oder -Funktionären im Verkauf. Teilweise wurden auch Überwachungskameras eingesetzt. Anfangs wurden sogar die Pässe kontrolliert. Von daher war die Stasi daran interessiert, die auskunftsfreudige und kooperationswillige Intershop-Mitarbeiterin als inoffizielle Informantin, als sogenannten Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), zu gewinnen. In Beates Stasiakte heißt es hierzu unter der Überschrift „Begründung der politisch-operativen Notwendigkeit der Gewinnung als GMS“: „Die Notwendigkeit der Schaffung eines GMS ergibt sich aus der Aufgabenstellung zur ständigen Erhöhung der Sicherheit und Ordnung im Bereich Intershop sowie der Kontrolle und Überwachung im Umgang mit Valutamitteln und wertintensiven Materialien. Neben offiziellen Abstimmungen machen sich zielgerichtete inoffizielle Kontrollmaßnahmen im Rahmen der Klärung ,Wer ist wer?' im Personalbestand, als auch im Gästekreis erforderlich.“ Bereits einen Tag nach dem lockeren Gespräch wurde aus der Intershp-Mitarbeiterin der GMS-Kandidat „Biene“.

Die anvisierte Spitzeltätigkeit ging in zwei Richtungen: Kontrolle des Verkaufspersonals und Informationen zu den Kunden. Wenn unter denen auch DDR-Bürger waren, denen Westkontakte verboten waren, war das für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ein wichtiger Hinweis auf „Verletzung der Kon­spiration“.

Am 15. Juni 1988 fand ein erneutes Gespräch mit GMS-Kandidat „Biene“ statt, und die Frau lenkte die Zuhörer nun selbst auf ihren Partner aus West-Berlin, was sich aus einem handschriftlichen Vermerk ergibt: „,Biene' legte freimütig dar, daß sie letztlich den Kontakt zum MfS suchte, um ihrerseits die dargelegten Sachverhalte mitzuteilen, andererseits jedoch, und das steht für sie im Mittelpunkt – sich an kompetente Stelle zu wenden bezüglich ihres Kontaktes zum Westberliner Bürger“, den wir hier Jochen nennen. „In dem Gespräch teilte die ,Biene' weiterhin mit, daß sie sich ernsthaft mit der festen Bindung an“ diesen Jochen „beschäftigt ... Sie führte weiter an, daß“ der besagte West-Berliner „nicht gerade der Mann ist, den sie sich vom Äußeren her vorstelle, daß er auch nicht die große Liebe sei. Von ihm gehe so viel Wärme aus, daß sie sich zu ihm hingezogen fühle.“

Das war grotesk. Die Frau wollte eine Partnerschaftsberatung durch die „kompetente Stelle“ Staatssicherheit, und die nahm das Angebot gerne an, denn sie interessierte sich sehr für den West-Berliner. GMS-Kandidat „Biene“ wurde nahegelegt, „keine voreiligen Entschlüsse zu ziehen“ und zu ihrem Partner noch weitere Informationen zu einigen Punkten einzuholen, als da wären „Arbeit, Wohnung, Besitz, Gründe der Einreise, Persönlichkeitsbild, bisheriger Entwicklungsweg ..., soziale Sicherheiten“. Das sei „für den Bestand einer Ehe wichtig“, und „Biene“ stimmte dem „vorbehaltlos zu“.

Nach der freiwilligen Anwerbung entwickelte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit. „Biene“ bestand ihre Kandidatenzeit und wurde zum GMS „Mira“ befördert. Ihre Akte bekam den Vermerk: „Streng geheim!“ Am 16. Februar 1989 bescheinigte ihr die Staatssicherheit eine „objektive Berichterstattung“ bei „strikter Wahrung der Konspiration“. In acht Treffen hatte sie 25 Informationen mit Folgen für die denunzierten Personen geliefert.

Aus „Biene“ wurde „Mira“

Daneben gab sie ganz freiwillig sehr detaillierte Angaben zu ihrem Partner. So wusste die Staatssicherheit, dass dieser etwa 3500 D-Mark im Monat verdiente, eine Erbschaft gemacht hatte, dass er für seine Einraumwohnung/Einzimmerwohnung 700 D-Mark Miete bezahlte und einen Mercedes fuhr, der „eigentlich für ihn zu teuer war“. Zu seinen „Persönlichkeitsmerkmalen“ hielt die Staatssicherheit fest, dass er „zurückhaltend und schüchtern“ sei, und weiter: „Er kommt nicht so richtig aus sich heraus bzw. braucht lange, um aufzutauen. Hat er einmal Fuß gefaßt, dann ist er sehr unternehmungslustig (geht mit mir aus, auch zu später Stunde). ... Weitere Verwandtschaft soll in Florida/USA existieren. Die dort lebende Cousine soll Hausfrau sein, der Mann ist Kleinunternehmer.“ Der Mann reise „in seiner Freizeit sehr viel (Malta, Asien, die Hochzeitsreise soll nach Florida gehen).“ In West-Berlin habe er „keinen allzu großen Bekanntenkreis, verkehrt mit einem Gaststättenehepaar und mit Arbeitskollegen“.

Am 1. November 1989 wurde die Akte von GMS „Mira“ geschlossen. Das verlogene System der Spitzeldienste brach zusammen, und mit der Einführung der D-Mark für alle verlor auch „Mira“ ihre privilegierte Stellung im Intershop. Ob sie sich jemals für ihr geltungssüchtiges und skrupelloses Doppelgesicht verantworten musste, ist nicht bekannt.

• Dr. Heidrun Budde (geboren 1954 in der DDR) war von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Kersti Wolnow am 11.12.22, 11:01 Uhr

Als es in der DDR Exquisit- und Delikatessläden und schließlich Intershops für den Arbeiter- und Bauernstaat gab, war mir klar, daß es mit der Gleichheit aller Bürger nicht weit her war. Außerdem fand ich es unmöglich, daß Kleinbetreiber enteignet wurden, bis nichts mehr funktionierte. Im Oktober 1989 zogen wir dann den Stecker, ließen gut bezahlte Arbeit und eine Neubauwohnung in der Mitte Berlins hinter uns. Das war nicht unser Staat. Genausowenig ist es heute diese bRD.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS