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Politik

Die Aushöhlung des demokratischen Kerns einer großen europäischen Nation

Die Präsidentenwahl in Frankreich zeigt wieder einmal, dass es nicht das Erstarken der Ränder ist, das die Demokratie bedroht, sondern die inhaltliche und personelle Schwäche der politischen Mitte

René Nehring
27.04.2022

Die politische Mitte gab sich am Ende zufrieden. Im zweiten Wahlgang der französischen Präsidentenwahl am Sonntag gewann Amtsinhaber Emmanuel Macron von der liberalen Bewegung „La République en Marche!“ mit 58,55 zu 41,45 Prozent der Stimmen gegen die Herausforderin Marine Le Pen vom rechtspopulistischen „Rassemblement National“.

Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte sowohl per Telefon als auch per Twitter und schrieb unter anderem: „Deine Wählerinnen und Wähler haben heute auch ein starkes Bekenntnis zu Europa gesendet.“ Und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola gratulierte Macron zu einer „sehr erfolgreichen Wiederwahl“.

Mögen derlei Floskeln unter Politikerkollegen noch guter Brauch sein, so erstaunen Kommentare wie derjenige der FAZ, der Macrons Wahlsieg „in diesem düsteren Jahr die beste Nachricht seit Langem“ nannte. Selbst wenn man es gut meint mit Europa – beziehungsweise gerade dann –, muss eine solche Wertung erstaunen. Denn derlei Kommentare verdrängen gleich eine ganze Reihe von Umständen, die gerade der breiten Mitte Sorgenfalten ins Gesicht schreiben sollten.

Wie schon beim letzten Urnengang 2017 wurden auch bei dieser Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang die klassischen Parteien der Mitte – Sozialisten und bürgerliche Konservative – nahezu eliminiert. Neben Macron und Le Pen landeten der Linkspopulist Mélenchon und der rechts von Le Pen stehende Zemmour an dritter und vierter Stelle. Zusammen holten sie über 80 Prozent der Stimmen.

Doch kaum ein Wort der Nachfrage in Politik und Medien darüber, warum die Franzosen den Parteien der Mitte nicht mehr über den Weg trauen. Kaum ein Wort auch darüber, warum so viele Franzosen ihr Kreuz bei einer Frau setzten, die nicht nur in Frankreich, sondern europaweit als „rechtsextrem“, „islamophob“, „europafeindlich“ oder Ähnliches verdammt wurde. Sind auf einmal 41 Prozent der Franzosen „rechtsextrem“, „islamophob“ oder „europafeindlich“? Interessiert es niemanden in der Mitte, warum sich diese Wähler abgewandt haben?

Ein Präsident weniger Oligarchen?

Besonders bedrückend ist, dass der Mainstream in Politik und Medien auch kein Problem damit zu haben scheint, wie Macron überhaupt an die Macht gekommen ist. 2016 stampfte der damals 38-jährige die neue Partei „En Marche!“ aus dem Boden, die nicht nur über Unmengen an Geld verfügte, um mit den etablierten Kräften mithalten zu können, sondern auch über genügend Mitarbeiter und externe Berater, sodass die Bewegung ohne die für Parteineugründungen typischen „Gärungsprozesse“ alle anderen Wettbewerber verdrängen und umgehend die Staatsgeschäfte übernehmen konnte.

Vor rund drei Jahren veröffentlichte der französische Fernsehjournalist und vormalige Programmdirektor des Senders „France 2“, Eric Stemmelen, sein Buch „Opération Macron“, in dem er die These vertrat, dass Macron das Produkt von zehn Milliardären sei, die zusammen die Hälfte der Radio- und Fernsehsender kontrollierten sowie rund 90 Prozent aller Zeitungen, weshalb er denn auch das Regierungssystem Macron eine „Oligarchie“ nannte. Warum spielt dies in der Kommentierung des Jahres 2022 keine Rolle?

Einhergehend mit der Frage der Starthilfe für „En Marche!“ steht logischerweise auch die Frage, welchen Zielen die Bewegung und ihr Kopf dienen? Es fällt jedenfalls schwer, sich vorzustellen, dass all die Milliardäre ihr Geld aus philanthropischen Motiven herausgegeben haben. Nein, gerade die Anhänger der etablierten Kräfte der Mitte, die sich in der Tradition der Demokratiebewegungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts sehen, sollten höchst besorgt sein über die Aushöhlung des demokratischen Kerns einer führenden europäischen Nation. Es ist nicht das Erstarken der Ränder, das die Demokratie bedroht, sondern die inhaltliche und personelle Schwäche der Mitte, die das bewährte politische System aushöhlen und somit den Randgruppierungen überhaupt erst den Platz zur Entfaltung bieten.

Das Dilemma der Populisten

Auch die populistischen Parteien haben keinesfalls Grund zum Jubeln. Zwar konnte Le Pen ihr Ergebnis von 2017 noch einmal um fast acht Prozentpunkte verbessern. Zudem zeigt sich, dass sie in weiten Teilen der französischen Gesellschaft kein Schreckgespenst mehr ist. Doch zeigt sich eben wieder einmal, dass sie in dem Moment, in dem sich die etablierten Kräfte zusammenschließen, keine Chance hat.

Besonders nachdenklich stimmen sollte das Ergebnis Le Pens auch die deutsche Schwesterpartei AfD, deren Vorsitzender Chrupalla der Partnerin „zu ihrem starken Ergebnis“ gratulierte. Denn Marine Le Pen ist mit ihrem „Rassemblement National“ in den vergangenen Jahren einen gänzlich anderen Weg gegangen als Chrupalla und viele seiner Weggefährten in jüngster Zeit. Während Le Pen ideologischen Ballast rechts liegen ließ und sich konsequent zur Mitte hin orientierte – wobei sie nicht nur den ursprünglichen Parteinamen von „Front ...“ zu „Rassemblement National“ änderte, sondern sogar ihren Vater und Parteigründer Jean-Marie aus der Partei warf – und damit neue bürgerliche Wählergruppen erschloss, glauben nicht wenige in der AfD noch immer, am rechten Rand Mehrheiten gewinnen zu können.

So hinterlässt diese Wahl auf allen Seiten vor allem Nachdenklichkeit – und kaum einen Grund zum Jubeln.

 


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Kommentare

Ralf Pöhling am 29.04.22, 17:05 Uhr

Das Wirken der politischen Mitte ist die Ursache für das Erstarken der Ränder links und rechts. Linkes und rechtes Potential entwickelt sich nicht aus sich selbst heraus. Es entwickelt sich aus Fehlentwicklungen heraus. Während das linke Potential sich den sozialen Missständen zuwendet, wendet sich das rechte Potential den Missständen in den Bereichen Sicherheit und Rechtsbruch zu. Je mehr die Ränder anwachsen, desto mehr ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die regierenden Parteien der Mitte nicht mehr im Interesse der Mehrheit ihrer eigenen Völker agieren, sondern im Interesse von Partikularinteressen, denen soziale Missstände, die Einhaltung des Rechts und die Sicherheit der eigenen Bevölkerung am sprichwörtlichen Hinterteil vorbeigehen. Die Turbulenzen in der EU, wie auch in den USA, haben genau hier ihre Ursache.
Man agiert nicht mehr im Interesse der demokratischen Mehrheit der Völker, sondern über sie hinweg.
Was dann unweigerlich dazu führt, dass sich diese ignorierte Mehrheit, je nach differierender persönlicher Betroffenheitslage, entweder nach links oder nach rechts orientiert. Wenn die Fehlentwicklungen dann weiter anhalten, sorgt dies für eine Vergrößerung der Potentiale links und rechts. Hält die politische Mitte dann auf diese Potentiale auch noch die Daumen drauf, um die Umsetzung von Partikularinteressen gegenüber der Mehrheit weiter durchzuziehen, dann radikalisieren sich die Ränder, denn niemand lässt sich gerne von anderen Gängeln und unterdrücken. Schon gar nicht in einer Demokratie. Die politische Mitte ist also an dem radikalen Potential im Volk selbst Schuld und nicht die Ränder. Diese sind nicht Ursache, sondern bereits Wirkung.

Chris Benthe am 28.04.22, 14:09 Uhr

Wohin der Kurs der "Mitte" führt, sieht man nun ja. Es tritt unweigerlich eine Sättigung ein, die die magische Grenze niemals überschreiten wird. Niemals. So bleibt alles schön beim alten. Was stattdessen zu tun ist: es müssen Wähler, die ihr Kreuz bei Melenchon gemacht haben, gewonnen werden, plus die Nichtwähler. Wer redet über die ? Die kriegt man nicht mit der Mittenorientierung, ganz im Gegenteil. Wenn die AFD aus der Frankreichwahl die falschen Schlüsse zieht, wird sie niemals die magische Grenze zur Macht überspringen. Eine "gemäßigte Radikalisierung" ist das Mittel der Wahl. Und die letzte zivilisierte Bastion vor der nächsten Eskalationsstufe, und die wird dann wahrhaft fürchterlich werden.

sitra achra am 27.04.22, 12:25 Uhr

Der Macronismus ist ein Pendant des Merkelismus, stramm auf US-Kurs. Letztlich haben die Stimmen der Migranten den Ausschlag für den Sieg der napoleonischen Miniaturausgabe geführt.
Die Tendenz ist eindeutig: in einigen Jahrzehnten wird es kein einst christlich geprägtes Europa mehr geben.
Bis dahin langweilen wir uns mit Wahlberichterstattung aus einem ausgebluteten Nachbarland, das keine grande nation mehr sein wird. Dame!

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