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Königreich Belgien

Die Deutschen in Eupen feiern ein doppeltes Jubiläum

Das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft wird 50 Jahre alt. Seit zehn Jahren sitzt es in einem alten Sanatorium

Bodo Bost
14.10.2023

Nach dem Ersten Weltkrieg musste das Deutsche Reich gemäß dem Frieden von Versailles die mehrheitlich von Deutschen bewohnten preußischen Kreise Eupen und Malmedy nach einer manipulierten Volksbefragung an Belgien abtreten.

Acht Zehntel der damals 60.000 Einwohner waren deutschsprachig. Am 10. Januar 1920 fand der Souveränitätswechsel statt. In Deutschland setzte sich für das abgetretene Gebiet der Begriff Eupen-Malmedy durch. Das offizielle Belgien sprach hingegen von den „cantons rédimés“, den wiedergewonnenen Kantonen. Erst später sprach man von den Ostkantonen. Erst vor einem halben Jahrhundert erhielten die Deutschen kulturelle und politische Autonomie.

Das 50. Jubiläum der manipulierten Volksbefragung von 1920 führte 1969/70 in der deutschbelgischen Öffentlichkeit zu einem ersten Aufbegehren gegen die Bevormundung aus Brüssel. Die Radiosendung „50 Jahre Geschichte der Ostkantone“ der Rundfunkjournalisten Hubert Jenniges und Peter Thomas hatte dazu die Vorarbeit geleistet. Vor allem Jenniges (1934–2012) wurde in zahllosen Radiobeiträgen zum Motor der Veränderung, da er Tabuthemen wie die Stellung der deutschen Sprache ansprach, die bis dato nicht angesprochen werden durften.

Jenniges schenkte den Forderungen der benachteiligten Deutschbelgier Gehör und eine Stimme. Er prägte die mediale und historiographische Landschaft Eupen-Malmedys ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie kein zweiter. 1963 war der ausgebildete Geschichtslehrer von der Bischöflichen Schule in Sankt Vith nach Brüssel umgezogen und produzierte als freier Mitarbeiter erste Beiträge für das deutschsprachige Programm des belgischen Rundfunks. 1969 wurde er vom öffentlich-rechtlichen Belgischen Hör- und Fernsehfunk (BHF), dem heutigen Belgischen Rundfunk (BRF), eingestellt. Jenniges war einer der ersten im alten Funkhaus, die aus der Region, aus der sie berichteten, stammten. Er wurde zum Pionier der Anliegen der Ostkantone.

Im Rahmen der Diskussion um die staatliche Zukunft Belgiens in den 1960er Jahren schaltete sich auch der Hörfunk des Königreichs ein. Jenniges nutzte dies, um auf die Probleme der deutsch(sprachig)en Staatsangehörigen des Königreichs aufmerksam zu machen, und er erkannte die Möglichkeiten, die sich aus der damals anstehenden Staatsreform
ergaben.

Erste Sitzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft 1973 

So wurde auch der flämische Christdemokrat Leo Tindemans (1922–2014), damals belgischer Reform- und später Premierminister, auf Jenniges aufmerksam. Seit Oktober 1968 verband beide eine persönliche Freundschaft. Beide träumten sie von einem „Korridor“, der von Flandern über Eupen-Malmedy und das Areler Land, eine mehrsprachige Grenzregion im Südosten des Königreichs in der Provinz Luxemburg, bis an die Grenze des Großherzogtums Luxemburg reichte. Den pathetischen Appell Tindemans an die Bewohner der Ostkantone vom 26. Oktober 1971 in Eupen „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ soll ihm Jenniges vorgeschlagen haben. 

1970 wurde der aus Flamen/Niederländern, Franzosen/Wallonen und Deutschen bestehende belgische Vielvölkerstaat im Zuge der ersten Staatsreform in drei Kulturgemeinschaften aufgeteilt. Jede dieser Kulturgemeinschaften erhielt als Volksvertretung einen sogenannten Rat. Der Rat der 75.000 belgische Staatsbürger zählenden deutschen Kulturgemeinschaft versammelte sich vor einem halben Jahrhundert, am 23. Oktober 1973, in Eupen zu seiner ersten Sitzung.

Wenngleich die Entstehung der deutschen Kulturgemeinschaft nur eine Nebenfolge der Schaffung der französischen und der flämischen Kulturgemeinschaft war, hat der Rat der deutschen Kulturgemeinschaft (RdK) insoweit eine demokratische Vorreiterrolle gespielt, als er die erste gliedstaatliche Versammlung des Königreichs war, die aus unmittelbar gewählten Abgeordneten zusammengesetzt war. Diese Lösung war aus der Not geboren.

Eigentlich sollten sich die Räte der Kulturgemeinschaften aus den Abgeordneten der entsprechenden Kulturgemeinschaften
beziehungsweise Sprachgemeinschaften beziehungsweise Volksgruppen im nationalen Parlament zusammensetzen. Im Falle der Räte der französischen und der flämischen Kulturgemeinschaft war das auch möglich. Die Wahlbezirke des Nationalparlaments sind jedoch so geschnitten, dass die deutsch(sprachig)e Minderheit keinen Abgeordneten im Nationalparlament hat. So werden als Ersatzlösung die Mitglieder des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft seit dem 10. März 1974 direkt gewählt. 

Stärkung der Regionen

Im Zuge der zweiten Staatsreform von 1980 wurden aus den „Kulturgemeinschaften“ nunmehr „Gemeinschaften“. Aus der französischen Kulturgemeinschaft wurde die „Französische Gemeinschaft“ und aus der flämischen Kulturgemeinschaft wurde die „Flämische Gemeinschaft“ – doch aus der deutschen Kulturgemeinschaft wurde nicht etwa, wie man meinen könnte, analog eine „Deutsche Gemeinschaft“,  sondern vielmehr eine „Deutschsprachige Gemeinschaft“. Außer der neuen Bezeichnung erhielten die vormaligen Kulturgemeinschaften im Zuge der zweiten Staatsreform auch jeweils eine eigene Regierung. Die Deutschsprachige Gemeinschaft erhielt allerdings erst im Jahr 1984 die Befugnis, Rechtstexte mit Gesetzeskraft zu verabschieden.

Im Zuge der fünften Staatsreform von 2003 wurden die Kompetenzen der Regionen und Gemeinschaften nochmals ausgeweitet. Im darauffolgenden Jahr wurde aus dem Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft (RDG) das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft (PDG), analog zum Parlament der Französischen Gemeinschaft sowie dem Flämischen Parlament für die Flämische Gemeinschaft. Seit 2013 hat dieses Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft seinen Sitz am Platz des Parlaments Nr. 1 in Eupen. 

An dem Sitz des Hohen Hauses, der im Volksmund auch das „Sanatorium“ genannt wird, lässt sich wie an kaum einem anderen öffentlichen Bau die jüngere Geschichte der Deutschsprachigen Gemeinschaft  festmachen. Je nach politischer Großwetterlage änderten sich die Eigentumsverhältnisse und auch der Verwendungszweck. Ursprünglicher Bauherr des Gebäudes war die Kaufmannserholungsgesellschaft. Diese war 1910 von dem Wiesbadener Kaufmann Josef Baum gegründet worden und nannte sich später „Europäische Gesellschaft für Kur und Erholung“. In ihrer Blütezeit war sie Träger von 48 Häusern und damit die größte private Sozialvereinigung im Deutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte sie nur noch 22 Häuser in Westdeutschland. Um 1985 war sie hoch verschuldet und musste Grundstücke und Gebäude verkaufen. Heute gehört der Gesellschaft noch ein Hotel, der „Kissinger Hof“ in Bad Kissingen.

Geschichte eines Hauses 

Das in ihrem Auftrag in den Jahren des Ersten Weltkriegs errichtete Haus in Eupen sollte als „Kaufmannserholungsheim“ dienen. Kaufmännische und technische Angestellte sowie Kaufleute sollten sich dort von den Strapazen ihrer Arbeit, die sie in den „Steinwüsten der Großstadt“ leisteten, erholen können. Die Planung des Gebäudes lag in den Händen der Architekten Jacobi und Badermann aus Düsseldorf. Finanziert wurde das Bauvorhaben mit Spenden- und Stiftungsmitteln aus industriellen Kreisen. Eupen wollte sich damals als Luftkurort profilieren, erhoffte sich einen Aufschwung des Tourismus und unterstützte die Idee der Errichtung eines Sanatoriums in seinen Stadtmauern großzügig. Es stellte 8,5 Morgen Land zur Verfügung, legte die Zufahrt an, erklärte sich bereit, für die Wasser- und Stromversorgung aufzukommen und gewährte einen Bauzuschuss von 30.000 Mark.

1915 war Baubeginn, die Fertigstellung des Rohbaus erfolgte 1917. An alles haben die Architekten gedacht. Das graue Schieferdach passt sich der Landschaft auf dem höchsten Punkt Eupens bestens an, im Gebäude werden Bäder und Räume für die orthopädische Behandlung von Kriegsversehrten eingerichtet. Am Eingang, auf der Seite des heutigen Rundfunkgebäudes, entstand ein Keglerheim, das später in ein Treibhaus umgewandelt wurde. Eine prächtige Arztwohnung wurde genau dort gebaut, wo heute der Belgische Rundfunk sein Hörfunk- und Fernsehprogramm macht. Durch eine prächtige Gartenanlage sollten die Kurgäste lustwandeln und sich den Wind um die Nase wehen lassen. Ein Jahr vor der geplanten Eröffnung als Kaufmannserholungsheim beschloss die Lazarettverwaltung Aachen im letzten Kriegsjahr, das Gebäude für eigene Zwecke zu nutzen.

Nachdem Eupen-Malmedy 1920 belgisch geworden war, verkaufte die Kaufmannsgesellschaft das Gebäude am Kehrweg für 1.125.000 Mark an die belgische Société Nationale contre la Tuberculose (Nationale Gesellschaft für Lungenkranke).  Am 14. Juli 1922 wurde das Haus von seinem neuen Besitzer als Sanatorium für Lungenkranke eröffnet. Gleichzeitig fand dort die 3. Internationale Konferenz der Liga für Lungenkranke in Anwesenheit des damaligen Gouverneurs von Eupen- Malmedy, Generalleutnant Herman Baltia, statt.

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien und der anschließenden Eingliederung von Eupen-Malmedy durch das Deutsche Reich wurde das Gebäude wieder der Kaufmannsgesellschaft übertragen. Am 21. Mai 1941 eröffnete diese das „Rheinische Ferienheim Eupen“. Doch schon 1942 wurde aus dem Gebäude ein Lazarett für lungengeschädigte Soldaten. Während der Ardennenoffensive richteten die Amerikaner dort ein Frontlazarett ein.

Vom Sanatorium zum Parlament 

Nachdem die Sieger des Zweiten Weltkrieges Eupen-Malmedy erneut Belgien zugeschlagen hatten, übernahm 1947 wieder die Société Nationale contre la Tuberculose das Gebäude. Die Universität Löwen nutzte es als Universitätssanatorium, wobei auch Patienten der Universität Lüttich dort behandelt wurden. 1965 kaufte der Staat das Gebäude für das Staatlich-Technische Institut (STI).

Die Schülerzahlen stiegen unaufhörlich, sowohl die Kellerräume als auch das Dachgeschoss wurden zu Klassenzimmern umfunktioniert. Weitere Schulklassen wurden auf dem umliegenden Gelände errichtet. Um dem chronischen Platzmangel entgegenzutreten, errichtete die staatliche Schulverwaltung ein neues Schulgebäude an der Vervierser Straße in Eupen. Seit der Fusion mit der Städtisch-Technischen Schule (STS) heißt die Schuleinrichtung Robert-Schuman-Institut (RSI).

Als Folge der dritten Staatsreform von 1988/1989 wurden die Gemeinschaften für die Schulen zuständig. So übertrug per Königlichem Erlass vom 22. Oktober 1991 der belgische Staat das nun als Bildungsanstalt genutzte Sanatorium und das umliegende Gelände in das Eigentum der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Mittlerweile fand der Unterricht des Robert-Schuman-Instituts im Wesentlichen an der Vervierser Straße statt. Zwar diente das Gebäude am Kehrweg noch bis Ende des Schuljahres 2006/2007 als Internat, und es fand dort auch noch vereinzelt Unterricht statt, doch war das Gebäude mittlerweile zu groß und die Einrichtung veraltet. So beschloss die Deutsche Gemeinschaft als nunmehriger Hausherr, fortan das Gebäude als Sitz ihres Parlaments zu nutzen.

Mit Material des DG-Parlaments.


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