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Kultur

Die Dialektik der Minderheiten

In den Universitäten tobt ein Kulturkampf – Die Genderideologen sind dabei, alle wissenschaftlichen Bereiche zu erobern

Harald Tews
12.08.2022

Archäologie hat auch immer etwas mit Detektivarbeit zu tun. Ist das Skelett aus einem mittelalterlichen, antiken oder bronzezeitlichen Grab einem Mann oder einer Frau zuzuordnen? Anhand von Grabbeigaben konnte man bisher Rückschlüsse auf das Geschlecht ziehen: Ein Schwert oder ein Kriegsbeil ließen auf einen Mann schließen, Schmuckstücke oder häusliche Artefakte auf eine Frau.

Das war früher einmal. In Großbritannien – und das ist kein Scherz – hat ein „Black Trowel“-Kollektiv (Trowel bedeutet so viel wie eine Ausgrabungs-Kelle) diese eindeutigen Geschlechterbestimmung als transphob bezeichnet, da sie die sozialen und ethnischen Kategorien außer Acht ließen, unter denen sich ein Mensch früher identifiziert habe. Das Skelett mit dem Armreif hätte auch ein Transmann sein können, und Waffen hätte auch eine geschlechtsumgewandelte Amazone mitführen können. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis diese „Geschlechterarchäologie“ auch an deutschen Universitäten Fuß fassen und die Detektivarbeit erschweren wird. Die im Freiraum angelsächsischer Campusse/Campi entstandene Identitätspolitik, die alle kulturellen Bereiche auf Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie ausspäht, ist bereits mit voller Wucht bei uns eingewandert.

Der sprachliche Genderwahn ist nur ein Mittel dieses neuartigen Kulturkampfes, bei dem sich Sprachbewahrer und feministische „Sprachaktivist*innen“ im Krieg um das sogenannte generische Maskulinum unversöhnlich gegenüberstehen (die PAZ berichtete). So ist der Ausdruck „der Bürger“, der linguistisch in seiner Allgemeinheit sowohl männliche als auch weibliche Bewohner (sic) eines Landes umfasst, bei Politikern längst nicht mehr akzeptiert. Aus Furcht davor, Wählerinnen auszuschließen und damit eine große Wählergruppe zu verlieren, fügen sie bei Ansprachen an das Volk aus opportunistischen Gründen „die Bürgerinnen“ hinzu. Wenn Politik, Behörden und öffentlich-rechtliche Medien von oben herab parteiisch in diesen Kampf um gendergerechte Sprache eingreifen, hat die Wissenschaft schlechte Karten zu gewinnen.

Wie stark der Kulturkampf in andere Bereiche der Wissenschaft bereits Einzug gehalten hat, zeigte sich am Beispiel der Biologin Marie-Luise Vollbrecht von der Berliner Humboldt-Universität. Ihren Vortrag über „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ hatte die Universitätsleitung zunächst aus „Sicherheitsbedenken“ abgesagt, weil linke Aktivisten dagegen Sturm gelaufen waren. Die Doktorandin Vollbrecht, die erst ein Opfer der „cancel culture“ wurde, also einer studentischen Zensur unliebsamer Meinungen, durfte ihren Vortrag zu einem späteren Zeitpunkt unter Studentenprotesten nachholen.

Dabei zeigt sich, in welchem Ausmaß Gender-Aktivisten bereits dabei sind, wissenschaftliche Erkenntnisse auszuhöhlen und umzudeuten. Ihnen ist es ein Dorn im Auge, dass es nur zwei Geschlechter geben soll. Neben dem biologischen „weiblich“ und „männlich“ unterscheiden sie noch zwischen der sozialen oder „gefühlten“ Geschlechterdiversität wie „nicht binär“, „trans“, „divers“ und mindestens 50 weiteren Intersexualitäten.

„Wokeness“ vs. Aufklärung

Ähnlich wie bei dem Gender-Krieg in den Sprachwissenschaften stehen sich in der Biologie zwei Fronten unversöhnlich gegenüber. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sprangen gleich drei Professoren ihrer jungen Berliner Kollegin mit klaren Aussagen zur Seite. So schrieben der Philosoph Uwe Steinhoff und die Sexualmedizinerin Aglaja Stirn in einem Beitrag über biologische Geschlechterbestimmung: „Diese so empirische Erkenntnisse produzierende Methode nennt man Wissenschaft. Die Leugner der Zweigeschlechtlichkeit hingegen versuchen Begriffe umzudefinieren oder zu verwischen, um politische oder psychische Bedürfnisse zu befriedigen. Dies ist keine Wissenschaft, sondern Sprachpolitik.“

In derselben Ausgabe fügte der Konstanzer Zoologe und Evolutionsbiologe Axel Meyer hinzu: „Als Naturwissenschaftler würde ich sagen, die Sache ist klar: Es gibt nur zwei Geschlechter. Punkt.“ Es steht zu befürchten, dass das letzte Wort längst nicht gesprochen ist.

Der Gegenangriff aus der „woken“ Welt auf die Biologie wird nicht lange auf sich warten lassen. Unter „Wokeness“ versteht man die „Wachheit“ für ein soziales, antirassistisches oder gendergerechtes Bewusstsein. Dabei richtet sich dieses explizit gegen eine aus dessen Sicht patriarchale, „weiße“ Kultur und Wissenschaft, bei der selbst die Mathematik ins Visier gerät. Deren richtige Lösungen und logischen Formeln gelten als Relikte „weißer Vorherrschaft“ und als Mittel der Unterdrückung der „People of Colour“, also in erster Linie der Schwarzen.

Wenn die „Wokeness“ nun eine „Ethno­mathematik“ begründen will, in der es keine eindeutig richtigen oder falschen mathematische Lösungen mehr gibt, so bekämpft sie auch die Errungenschaften der Aufklärung. Hatten schon Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer Schrift „Dialektik der Aufklärung“ aufgezeigt, dass der bürgerliche Totalitarismus des 20. Jahrhunderts auch ein Ergebnis der Aufklärung gewesen ist, so könnte die siegreiche Epoche der „Wokeness“ ähnlich fatal enden: nämlich in einen Totalitarismus der Minderheiten über eine gesellschaftliche bürgerliche Mehrheit. Die multikulturelle links-feministische Transgender-LGBTQ-Bewegung ist gerade dabei, alle wichtigen gesellschaftlichen Bereiche zu erobern.

Die Welt der Wissenschaft hat sie schon erobert. Wer sich dort mit „unzeitgemäßen“ Erkenntnissen querstellt, wird wie im Fall der Biologin Vollbrecht ausgegrenzt und mundtot gemacht. Es ist wie eine Rückkehr zu vor-aufklärerischen Zeiten, als auch Galileo Galilei in einem Prozess gegenüber dem Vatikan Abbitte leisten sollte. Sein kopernikanisches Modell passte nicht in das geozentrische Weltbild der Kirche, wonach sich die Sonne um die Erde dreht und nicht umgekehrt. Es war ein Machtspiel, das die Kirche gewann. Als sie drei Jahrhunderte später eingestehen musste, dass Galileo recht hatte und die Erde doch nicht den göttlichen Mittelpunkt bildet, waren die Macht und der Einfluss der Kirche längst gebrochen.

Solch einen Kampf moderner Kultur versus Religion sehen wir heute. Die Identitätsideologie erscheint in diesem Licht wie eine Religion, die eine Front gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse bildet. Was kommt als Nächstes? Dass theoretische Physiker bei der Erforschung des Urknalls mithilfe der Relativitätstheorie, Quantenphysik oder Stringtheorie den Gottesbeweis erbringen sollen? Das würde aus Sicht der „Wokeness“ nicht ausreichen. Gott müsste zugleich auch weiblich und transgender sein: Gott* – mit Genderstern, wie ihn die Katholische Studierende Jugend (KSJ) bereits schreibt.


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Kommentare

Heiko Rübener am 12.08.22, 11:36 Uhr

Fragen über Fragen
Wo sind denn die Schildwachen der Meinungs- und der anderen Freiheitsrechte? Nun gemausert zur Leibstandarte der Zwangsgenderer? Als Missionare gleichzeitig mit Aufgaben einer Inquisition betraut?
Gibt es wie in den Siebzigern bald einen "Radikalenerlass" inclusive Gesinnungsschnüffelei?
Auch die Radaukommunisten und Jubelsozialisten haben Beispiele einzubringen. Sie trieben es doch schon arg, indem beispielsweise der Begriff Engel zu einer offiziell titulierten "geflügelten Jahresendfigur" zwangsmutierte.

sitra achra am 12.08.22, 10:24 Uhr

Das ist alles nur oberflächliche Modeerscheinung.
Hohohochiminh! Wir waren auch einmal so doof!

claude de jean am 12.08.22, 05:51 Uhr

Es ist doch nicht nur Gendern,dazu kommt jede Menge Denglish gewürzt mit etwas Gangstaspeech dazu und zusammengekleistert ist das Deutschkauderwelsch.
Im Ausland kann man den Schuldeutschunterricht getrost in die Tonne kloppen.

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