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Politische Kultur

Die dramatische Stille in dramatischen Zeiten

Warum trotz massiver Probleme und einer historisch schwachen Regierung bei den Bürgern kaum Hoffnung auf bessere Zeiten aufkommt

René Nehring
24.04.2024

Es liegt eine eigenartige Stimmung in diesen Tagen über dem Land. Obwohl die wirtschaftlichen Rahmendaten erschreckend sind und die Bürger eigentlich höchst besorgt sein müssten, ist es allenthalben ruhig im Volk. Und obwohl die Regierung wie selten zuvor ein Bundeskabinett schwächelt und mit der FDP – durch die Verabschiedung ihrer „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ – gerade ein Koalitionspartner den Ausstieg aus dem ungeliebten Bündnis einleitet, kommt auch die Opposition nicht vom Fleck. Zwar geht die Zustimmung für die Ampelparteien in den Umfragen kontinuierlich zurück, doch kann von einem Aufbruch bei den nichtregierenden Parteien wahrlich nicht die Rede sein.

Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig – und je nach Partei durchaus verschieden. Vornean dürfte fast überall ein Gefühl der Ohnmacht stehen; der Glaube, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen und selbst gröbstes Versagen und Fehlverhalten folgenlos bleibt – womit jedes Engagement für eine andere Politik vergebens scheint.

Die jüngsten Beispiele dafür sind mit dem Namen des Kanzlers verbunden. Obwohl zu Beginn der Woche BDI-Präsident Siegfried Russwurm in seltener Klarheit die Wirtschaftspolitik der Regierung kritisierte und die vergangenen zwei Jahre gar als „verlorene Jahre“ bezeichnete sowie zugleich darauf verwies, dass sich deutsche Unternehmen im Ausland deutlich besser entwickeln, behauptete Olaf Scholz im Rahmen der Hannover-Messe, dass das Land auf einem guten Weg sei. Auch dass die als „Cum-ex-Jägerin“ bekannt gewordene Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker am Montag ihren Job hinschmiss, weil sie es leid war, wie ihr die Politik in die Ermittlungen zum größten Finanzskandal in der Geschichte des Landes hineinpfuschte, kratzte Scholz wenig, obwohl sein Name an verschiedenen Zeitpunkten und Orten der Affäre auftaucht.

Dass keinesfalls nur der Kanzler mit schweren Verfehlungen davonkommt, zeigt die Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, wenige Tage zuvor. Obwohl belegt ist, dass Vertreter der betroffenen Bundesländer und Landkreise in der Unglücksnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 reihenweise fahrlässig handelten und viele Opfer hätten gerettet werden können, wenn sie rechtzeitig gewarnt oder evakuiert worden wären, soll der Tod von insgesamt 188 Menschen somit ohne juristische Konsequenzen bleiben.

Die Schwäche der Opposition
Dass die Oppositionsparteien verschiedener Couleur von der Schwäche der Ampelkoalition nicht profitieren können, hat jeweils eigene Gründe. So leiden CDU und CSU bis heute darunter, dass sie es nach dem Abtreten ihrer langjährigen Frontfrau Angela Merkel versäumten, sich von der „Übermutti“ zu emanzipieren. Anders als Merkel, die 1999 beim Ausbruch der CDU-Spendenaffäre keine Skrupel hatte, sich von ihrem einstigen Förderer Helmut Kohl loszusagen und ihre Partei aufzufordern, es ihr nachzutun, zögert die Union bis heute, sich selbst von offensichtlich gröbsten Fehlentwicklungen der Ära Merkel – wie der faktischen monatelangen Öffnung der Grenzen 2015 oder dem Ausstieg aus der Atomenergie – zu distanzieren. Mit der Folge, dass der Union eine grundsätzliche Kurskorrektur und die Rückkehr zu klassischen christdemokratischen Positionen nicht möglich ist – und ihr am Ende nur Koalitionen mit den Grünen und/oder den Sozialdemokraten bleiben, die eigentlich ihre politischen Rivalen sind, seit Jahren jedoch wie natürliche Verbündete erscheinen.

Die AfD wiederum, die ihrem Namen nach behauptet, eine Alternative für dieses Land zu sein, hat seit ihrer Gründung ein unschlagbares Talent dafür entwickelt, bürgerliche Köpfe zu verdrängen – wahlweise auf die Hinterbänke oder gleich ganz aus der Partei. Mit kernigen Parolen und einer Kultur der Provokation hatte sie es in Zeiten schwacher Bundesregierungen leicht, sich eine feste Stammwählerschaft unter all jenen aufzubauen, die von den etablierten Parteien „die Nase voll“ haben. Doch da die „Alternative“ – außer einer absoluten Mehrheit – auf absehbare Zeit keinerlei Option für eine Regierungsbeteiligung hat, spielt sie einstweilen auch keine gestaltende Rolle in diesem Land.

Ein Experiment ganz eigener Art ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dieses gibt zwar vor, die Unzufriedenen verschiedener politischer Lager ansprechen zu wollen. Doch stammt das bisher zu sehende Spitzenpersonal durchgehend aus der Linkspartei, womit das BSW am Ende auch nichts anderes ist als das Produkt einer weiteren Häutung in der langen Geschichte der deutschen Linken, die schon zur Gründung von USPD, KPD, SED, PDS, WASG und „Die Linke“ geführt hatte. Womit freilich das BSW als Alternative gerade für bürgerliche Wähler kaum infrage kommen dürfte.

Doch wie weiter? Je nach Problem sind die Lösungsansätze verschieden. Das Scheitern einer Regierung auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Energiepolitik verlangt andere Konsequenzen als eine etwaige Verwicklung eines Ersten Bürgermeisters und Bundesfinanzministers in einen Finanzskandal erfordern würde.

Ein wichtiger Ansatz für alle Bereiche wäre eine Rückkehr zum Prinzip echter Verantwortlichkeit. War es früher gang und gäbe, dass etwa Minister und Spitzenbeamte auch ohne eigenes Fehlverhalten zurücktraten, wenn in ihrem Verantwortungsbereich etwas schiefging (das prominenteste Beispiel hierfür ist der Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen 1993, der zum Amtsverlust des Bundesinnenministers, des Generalbundesanwalts sowie des BKA-Vizepräsidenten führte), so ist in den vergangenen Jahren die Übernahme politischer Verantwortung zur hohlen Phrase verkommen, die selbst bei schweren Verfehlungen meistens ohne Folgen bleibt.

Kann es da verwundern, wenn sich Bürger mit Grausen abwenden und in ihre privaten Refugien zurückziehen?


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