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Unermüdlicher Kommentator des Weltgeschehens: Karl Kraus im Jahr 1921
Foto: Wikimedia/Charlotte JoëlUnermüdlicher Kommentator des Weltgeschehens: Karl Kraus im Jahr 1921

Jubiläum

Die Fackel brennt

Satiriker und Zeitschriften-Herausgeber aus Böhmen – Vor 150 Jahren wurde Karl Kraus geboren

Harald Tews
27.04.2024

Junge Leute erzeugen heute solche Unmengen an Kurznachrichten in den sozialen Medien, dass diese zusammengefasst am Ende eines Lebens ganze Bände füllen würden. Da für den Autor Karl Kraus das Internet noch nicht zur Verfügung stand, veröffentlichte er seine Satiren, Gedichte, Essays, Dramen, Reden, Nachrufe – und was er sonst noch so alles der Welt mitteilen wollte – einfach in einer Zeitschrift. In der Zeit von 1899 bis 1936 sind dabei 922 Nummern erschienen, die rund 20.000 Seiten umfassen.

„Die Fackel“ nannte der am 28. April 1874 im nordböhmischen Gitschin geborene Publizist sein Lebenswerk, in dem er anfangs auch andere Autoren zu Wort kommen ließ. Neben den Dramatikern Frank Wedekind und Else Lasker-Schüler oder dem Kulturphilosophen Egon Friedell taucht auch Houston Stewart Chamberlain als Autor auf. Dass der jüdischstämmige Kraus dem deutsch-englischen Rassentheoretiker und Antisemiten ein Forum gab, zeigt seine Toleranz gegenüber konträren Meinungen. Andererseits hegte der in Wien lebende Kraus für den Austrofaschismus der Dollfuß-Regierung durchaus einige Sympathien, hielt er diesen gegenüber dem hitlerischen Nationalsozialismus doch für das kleinere Übel.

Zu Hitler fiel dem wortmächtigen Satiriker und Nörgler nichts ein. Im Jahr der „Machtergreifung“ erschien nur eine einzige Ausgabe der „Fackel“ mit mageren vier Seiten. Darin enthalten ist ein Gedicht, das mit den Worten endet: „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“

Ansonsten war Kraus nicht gerade auf den Mund gefallen. Ab 1912 verfasste er die „Fackel“ im Alleingang, mitunter gab es Mehrfachnummern mit über 300 nur von ihm geschriebenen Seiten. Dabei fielen literarische Früchte ab, die später gesondert in Buchform erschienen. So etwa das Mammutdrama „Die letzten Tage der Menschheit“, das mit 220 Szenen ein Pa­norama des Ersten Weltkriegs entwickelt. Dieses Pandämonium ist eine Collage aus Zitaten, Zeitungsmeldungen und militärischen Tagesbefehlen, die Kraus vom unbekannten Soldaten bis hin zu den Kaisern Wilhelm II. und Franz Joseph über 1000 Figuren in den Mund legt.

In der aktuellen Weltlage erlebt dieses Stück eine Renaissance, so wie auch Kraus selbst zuvor eine Art Wiedergeburt erlebte, nachdem es nach seinem Tod im Jahr 1936 rasch still um ihn geworden war. 1977 legte der Verlag Zweitausendeins die „Fackel“ in zwölf Bänden neu auf, die auf Anhieb viele Käufer fanden. Manche Leser sehen in Kraus einen würdigen Nachfolger des Aphoristikers Georg Christoph Lichtenberg, was sich sogar bis in die USA herumgesprochen hat. Dort hat der Bestseller-Autor Jonathan Franzen, der 2001 mit seinem Roman „Die Korrekturen“ bekannt wurde, mit „The Kraus Project“ Texte des österreichischen „Fackel“-Autors ins Englische übertragen. Die Fackel lodert also weiterhin.


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