Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Obwohl die Grünen wie kaum eine zweite Partei regelmäßig an der Wirklichkeit scheitern, bestimmen sie seit Jahrzehnten den Zeitgeist. Das führt kurzfristig zu Ignoranz gegenüber Kritik – und langfristig in den Niedergang von Partei und Land
Arroganz meint Überheblichkeit und Anmaßung. Das ist etwas sehr anderes als Freude darüber, dass man etwas geschafft hat, oder als Stolz auf eine Leistung. Anmaßen kann man sich nämlich auch Qualitäten, die man gar nicht hat; und überheblich ist meist, wer gar nicht merkt, dass er weniger kann als andere.
Wenn es um derlei Arroganz in der deutschen Politik geht, fallen einem zuerst die Grünen ein. Anscheinend haben sie von jener marxistischen Linken, aus der ein Teil ihrer Gründer stammt, das Zutrauen geerbt, sie – und niemand anderes – durchschaue das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Also wisse niemand besser als sie, auf welchen Kurs man Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik bringen müsse, wenn es gut weitergehen solle. Womöglich färbte auch von jenen evangelischen Pfarrhäusern oder Jugendkreisen, wo viele Grüne prägende Erfahrungen machten, vielerlei auf sie ab. Etwa die Neigung zum Predigertum und zum Rechtfertigen aus bloßem Glauben auch dort, wo andere auf Wissen ausgehen. In den Jahren Helmut Kohls, deren gesicherter Wohlstand die älteren Grünen prägte wie wenig anderes, erlebten sie mannigfache Freude am aufmerksamkeitsheischenden Revoltieren, etwa an den Baustellen von Atomkraftwerken.
Eine Partei in ihrem goldenen Zeitalter
Die gleiche Grünen-Generation labte sich in geistes- und sozialwissenschaftlichen Studierendenkreisen an jenem, bis vor Kurzem so selbstverständlichen Gefühl, dass man nicht nur klüger sei als alle anderen, sondern auch – und zwar im wechselseitigen Wissen um diese Gnade – moralisch besser als der Rest der politisierenden Menschheit. Und vor allem war zu merken, dass man irgendwie die Mehrheit auf seiner Seite hatte. Zunächst war das die gefühlte Mehrheit derer, die zu den eigenen Behauptungen Beifall klatschten. Später war das die reale Mehrheit – zunächst an woken Universitäten, dann in Koalitionen mit Sozial- und Christdemokraten. Wie schön auch, dass man gar angeschmachtet wurde – teils aus Opportunismus, teils aus angewöhnter Überzeugung.
Dann begann, nach Kohls politischem Ende, das goldene Zeitalter der Grünen. Zwar hatte man bis dahin nicht mehr geleistet, als dass die Realos die Fundis besiegt hatten, weshalb Joschka Fischer bei Gerhard Schröder kellnern konnte. Machte aber auch nichts, denn Geistesverwandte seit Unizeiten hatten inzwischen fast schon die Mehrheit in den Redaktionen von Presse, Hörfunk und Fernsehen errungen. Bald war ein hingabebereites Publikum für grüne Politik im Entstehen.
Das spürten auch viele in der CDU, machten sich rasch ans generationsverbindende schwarz-grüne Netzwerken, und bekamen dann Deutschlands erste grüne Kanzlerin beschert. Dass die – wie sie später formulierte – der CDU „nahestehe, äh, ihr angehöre“, erkannte man auf Seiten der Grünen schnell als großen Vorteil. So nämlich konnte die CDU-Chefin höchstselbst beglaubigen, was man bei den Grünen immer schon wusste: dass die Kernenergie des Teufels wäre, militärische Rüstung benachbarte Freundstaaten bloß provoziere und die Rettung des Weltklimas endlich die historischen Bewährungsauflagen fürs deutsche Verbrecherland erfülle.
Erlösung durch Buße
Vielleicht empfand mancher Grüne sogar, nach den kommenden Erfolgen eigener Politik könne man wieder berechtigt sein, mit Deutschland „etwas anfangen“ zu dürfen. Oder wäre deutscher Erbschuld ohnehin ledig, sobald niemand mehr eingebürgerten Syrern oder Afrikanern eine Schuld am Holocaust zuschreiben könne. Zumal dieser ohnehin schon mit dem deutschen Kolonialismus begonnen habe, der – recht besehen – auch keinen Vergleich mit dem kriminellen Kolonialismus der Engländer oder Franzosen scheuen müsse.
Wer beobachtet, wie gierig heutige Grüne die Lehren von Postkolonialismus und „critical whiteness“ aufsaugen, der erkennt leicht: Es ist der Glaubenskern der Grünen wirklich das Zusammenwirken von Schuld und abzuleistender Sühne, von Sündenfall und bußfertig erlangbarer Erlösung. Also jenes christliche Drama, aus dessen Gegenwärtigkeit sich erklärt, weshalb protestantische Kirchentage so nahtlos in grüne Liturgien übergehen. Und das verstünden hierzulande viel mehr Leute, wenn sie nur bessere Kenntnisse vom Christentum hätten.
Kunstvoll angelegte Minenfelder
Jedenfalls ist es kein Wunder, dass die Grünen nun schon jahrelang über das politische Parkett tanzen wie von der Faktenwelt unbeschwerte Erlöste. Und dass sie bejubelt werden als Verkünder einer lichten Zukunft. Genau die zu schaffen, und zwar als alternativloses Projekt eines alternativlosen Akteurs, ist nämlich das attraktive Politikangebot der Grünen. Umgesetzt wird das ins konkrete Machtspiel durch den folgenden Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Handelns zur Grundlage eines plausiblen Kampfs gegen deine Gegner erhoben werden kann! Wobei variabel nicht ist, wer als Gegner ins Visier kommt – sondern das, was man in der jeweiligen Medienwirklichkeit als plausibel durchsetzen kann. Gestern war das der Fundamentalpazifismus, heute der ukrainische Kampf bis zum Endsieg.
Was für ein Hochgefühl muss jene tragen, die sich und ihre politische Mission so verstehen können! Wie schön mag sich ein politischer Weg anfühlen, auf den die Medien Blumen streuen, und der von links wie rechts mit Hosianna beschallt wird! Und an dessen Ende, nun fast schon erreicht, dann wieder Anstand unsere Politik prägen wird, und zwar mit Weltoffenheit, Zukunftsfähigkeit, Überwindung der Geschlechterschranken – und trotzdem auch viel Weiblichkeit. Schön frisiert etwa bei der außenpolitischen Arbeit an einer besseren Welt, und besonders kraftvoll, nicht zuletzt in sportlichen Frauenkreisen, beim Auftritt als Transfrau. Und wie gut tut es vor allem, dass man selbst alle möglichen Grenzen, die einen stören, beifallsträchtig aufheben darf – und es einem zugleich gelingt, anderen ihre Grenzen zu setzen, ja sie gar mit Brandmauern zu versehen!
Denn genial war es tatsächlich, eine Gleichsetzung von „politisch korrekt“ mit „grün“ hinzubekommen. Und noch genialer, die ohnehin dem Guten, Wahren und Schönen – also den Grünen – zugeneigte Merkel-CDU dahin zu bringen, dass sie einen Großteil ihrer früheren Anhängerschaft sogar gerne der AfD zutrieb. Und am genialsten war, wie man die Union glauben machte, es werde gerade die Distanzierung von vormerkelscher Migrations-, Energie- und Familienpolitik die AfD kleinhalten. Und die CDU endlich auch für Linke achtbar machen – selbst wenn nur als Stimmvieheintreiberin im grünen Staatsbetrieb. Das Ergebnis: Es kann die Union heute nicht einmal mehr auf Ex-CDUler in der AfD zugehen, ohne dass derlei Emissäre im kunstvoll angelegten Minenfeld den politischen Heldentod sterben müssten. So gelang dem grünen Schwanz das Kunststück, nun schon jahrelang mit dem schwarzen Hund zu wedeln – und ihn das sogar als im eigenen Interesse liegend empfinden zu lassen. Zumindest bis zum Wahljahr 2024 und dessen Voraus- beziehungsweise Nachwirkungen.
Endstation: Selbstgefälligkeit
Wie sollte es nach solchen politischen Leistungen zu einer anderen Haltung als einer der Selbstgefälligkeit kommen! Doch wieviel an diesen Leistungen war wirklich selbst erbracht? Und Großes leistet ohnehin nicht, wer jahrzehntelang – wie die Grünen – einfach mit dem Zeitgeist segelt, sondern diesem dann widersteht, wenn er in die falsche Richtung treibt. Wie in ganz Deutschland nach dem Ersten, in der sowjetischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch was haben die Grünen politisch schon geschafft, ohne dass man anschließend mit Friedrich Schiller anmerken müsste: „Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang“?
Gewiss, von Anfang an haben die Grünen auf den „Ausstieg aus der Atomenergie“ hingearbeitet – und ihn über die grüne Kanzlerin im schwarzen Kostüm erst eingeleitet, dann mit „friends & family“ im Wirtschafts- und Energieministerium durchgesetzt. Doch dafür haben wir auch Europas höchste Energiepreise, vertreiben energieintensive Industrien aus dem Land – und wissen nicht, wie eine stabile Energieversorgung für elektrifizierten Individualverkehr sowie für jene riesigen Rechenzentren hinzubekommen wäre, die wir zur alltäglichen Nutzung von künstlicher Intelligenz brauchen werden. Als der Ukraine noch durch den Aufbau militärischer Abschreckungskraft zu helfen war, haben die Grünen Waffenlieferungen in Spannungsgebiete strikt abgelehnt – als ob man nicht gerade dort Werkzeug zur Selbstverteidigung bräuchte! Natürlich wird dieser Fehler auch nicht dadurch wettgemacht, dass die Grünen jetzt nicht mehr Verhandlungen als Weg zum Frieden sehen, sondern die bedingungslose Finanzierung eines langen Krieges.
Was stimmt nicht mit unserem Land?
Und ob der Ausbau grüngefälliger Vorfeldorganisationen für den „Kampf gegen rechts“ wohl einhergeht mit der Verbesserung eines Bildungssystems, das doch weiterhin jene tüchtigen Ingenieurinnen und Ingenieure hervorbringen müsste, die allein jene technologisch-wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sichern können, die unseren Sozialstaat überhaupt erst aufrechterhaltbar macht? Vom mehr als nur ein Jahrzehnt währenden Wahn grüngeliebter Migrationspolitik sei ohnehin geschwiegen, denn in den kommenden Jahrzehnten der Reue wird man jene Irrungen und Wirrungen noch genug erörtern. Jedenfalls ist es wohlverdient, dass man vom Ausland her unser ergrüntes Land als migrantenseligen Hippie-Staat belächelt, als in Sachen Staatsraison wenig trittsicher beargwöhnt, auch bemitleidet als traditionell befangen in deutscher Lust am selbstschädigenden Übertreiben.
Auf solche Ergebnisse grüner Politik stolz zu sein ist nicht nur überheblich, sondern auch dumm. Derlei Politik anderen gar als vorbildlich anzudienen ist anmaßend. Vermutlich sind Leute wie Annalena Baerbock, Ricarda Lang und Claudia Roth zwar gutwillig, doch überfordert von Dingen, auf die sie nichts im Studium oder Leben wirklich vorbereitete. Oder sie sind nett, ohne Ratgeber aber sachlich hilflos wie Robert Habeck. Dann bleibt immer noch zu klären, was in einem Milieu wohl falsch läuft, in dem man mit solchen Qualifikationen zum Hoffnungsträger und gar Teil der deutschen Machtelite werden kann. Und was nicht stimmt mit einem Land, das derlei mit sich so geschehen lässt, als würde nun alles neu und alles gut?
Prof. Dr. Werner J. Patzelt war von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden und ist derzeit Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegiums in Brüssel. Zu seinen Werken gehören „CDU, AfD und noch mehr politische Torheiten. Neue Analysen, Interviews und Kommentare 2019–2024“ (Weltbuch 2024) sowie „Ungarn verstehen“ (Langen Müller 2023). wjpatzelt.de