Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Nach Corona-Pandemie und Ukrainekrieg nun die Inflation – die Zeitenwende kommt bei den Deutschen an. Notizen aus einem Alltag, der so ganz anders ist, als es sich die neue Regierung bei ihrem Start noch vor wenigen Monaten ausgemalt hatte
Zu allen Zeiten haben frisch gebackene Regierungen mehr versprochen, als sie halten konnten. Unvergessen Willy Brandts berühmte Worte in der Regierungserklärung von 1969, noch unter dem Eindruck der 68er-Revolte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ Doch die Realität ist rauer, gemeiner und gnadenloser als jede schöne Utopie von Frieden und Gerechtigkeit, Freiheit und Wohlstand – vor allem aber hält sie unschöne Überraschungen bereit für jene, die sich aufmachen, das Land zu verändern. So war etwa die rotgrüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer gleich mit zwei Großkatastrophen konfrontiert, dem Kosovokrieg 1999 und den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001.
Wachsende Existenzängste
Nun also die noch nicht ganz gebändigte Pandemie, der Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine, die ukrainischen Flüchtlingsströme und eine jahrzehntelang nicht dagewesene Inflationsrate von derzeit acht Prozent, aus der sich neue Armutsrisiken und womöglich Lebensmittelknappheit, gar eine Rezession ergeben können: Die frohgemut gestartete neue Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP wird mit geradezu archaischen Realitäten konfrontiert. Plötzlich geht es nicht mehr vorrangig darum, die vollständige „Gleichstellung von Frauen und Männern“, was immer das genau heißen soll, binnen zehn Jahren zu erreichen, wie es im Koalitionsvertrag heißt, sondern erst einmal dafür zu sorgen, dass Brot, Butter und Milch, Gas, Strom und Benzin für die große Mehrheit der Bevölkerung erschwinglich bleiben. Inzwischen sorgt sich laut Schufa jeder Dritte um seinen Lebensunterhalt.
In den Supermärkten wird wieder gehamstert, und auch die gutverdienende Osteopathin von nebenan achtet jetzt auf die Sonderangebote, die sie früher souverän ignoriert hatte. Plötzlich sind existentielle Probleme zurück. Man versucht, das Geld zusammenzuhalten, so gut es geht. Nicht wenige Bürger geraten in Zahlungsschwierigkeiten bei Miete, Strom und Sprit, und das neue E-Auto rückt in genauso weite Ferne wie der eigentlich geplante nächste Sommerurlaub. Nicht nur Winzer und Spargelhöfe melden dramatische Umsatzeinbußen, auch der Einzelhandel fürchtet nach Corona den nächsten Schlag ins Kontor.
Kein Zweifel: Die fetten Jahre sind vorbei. Das westliche Modell von freiheitlicher Demokratie und sozial ausgestalteter Marktwirtschaft steht innen- wie außenpolitisch unter Druck. So geeint das freie Europa auf Putins Angriffskrieg reagiert hat, so schwierig wird es sein, die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Folgen zu meistern. Und die Populisten an den Rändern warten nur darauf, die Früchte von Angst, Unzufriedenheit und Desorientierung zu ernten. Die militanten Proteste der französischen „Gelbwesten“ von 2018 waren ein Vorschein auf das, was kommen könnte, wenn sich soziale Spannungen verschärfen und die handelnden Regierungen an Glaubwürdigkeit und Autorität verlieren.
Sorgen vor dem Verlust des Geldwerts
Gerade das Thema Inflation ist in Deutschland angesichts der ungeheuren Geldentwertung vor fast 100 Jahren, anno 1923, eine sehr prekäre Angelegenheit. Umso mehr, da der Geldwert seit vielen Jahren stabil geblieben ist, ähnlich wie die Nullzinsen. Noch vor Kurzem versicherten die Währungsexperten der EZB hoch und heilig, die steigende Inflation werde bald zurückgehen. Nun ist das genaue Gegenteil eingetreten. Und es war die EZB, die seit Jahren Hunderte Milliarden Euro in die Finanzmärkte gepumpt hat und durch den massenhaften Ankauf von Staatsanleihen de facto illegale Staatsfinanzierung betrieb.
„Unter ihrer Präsidentin Christine Lagarde wurde die Inflation systematisch bagatellisiert“, kritisiert die „Neue Zürcher Zeitung“. „Während die Teuerungsraten im Euro-Raum bereits steil in die Höhe schossen, drängte Lagarde stets auf weitere Daten. Mit solcher Verzögerungspolitik nährte die frühere französische Finanzministerin den Verdacht, ihr seien günstige Zinsen für überschuldete Euro-Staaten weit wichtiger als niedrige Inflationsraten.“
Stefan Zweig schrieb in seinem 1942 postum erschienenen Buch „Die Welt von gestern“: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“ Das Volk habe sich deshalb „beschmutzt, betrogen und erniedrigt“ gefühlt. Ein Trauma, das bis heute nachwirkt.
Rot-grüne Träume verblassen
Die „Zeitenwende“, die Kanzler Scholz anlässlich des Ukrainekrieges annoncierte, hat den Alltag der Menschen erreicht. Schmerzhafte Wohlstandsverluste drohen ebenso wie eine perspektivische Verdüsterung der nahen Zukunft, die nur noch aus Risiken und Gefahren zu bestehen scheint. Und das in jenem Augenblick, da die über zwei Jahre andauernde Corona-Depression sich gerade zu lockern begann.
All die schönen Pläne des regierungsamtlichen Zeitgeists verblassen vor dieser Wirklichkeit – ob es um das Demokratiefördergesetz geht, das omnipräsente Nachhaltigkeits- und Verkehrswendemantra, Queerness-, Gendergerechtigkeit oder Antidiskriminierungspostulate, Paritätsgebote und Transmenschen-Wokeness. Nicht einmal eine gestandene „Fachpromoterin für Empowerment und interkulturelle Öffnung“, Talkgast beim 102. Katholischen Kirchentags in Stuttgart, kann daran etwas ändern.
In weiten Teilen der Republik wächst die Unsicherheit darüber, wohin die Reise geht. Schon der tägliche Blick ins „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF verschiebt die gewohnte Eigen-Wahrnehmung der wohlstandsverwöhnten Republik, die eben noch gehofft hatte, die alte Normalität werde bald zurückkehren.
Die Regierung bleibt sprachlos
Kein Wunder, dass sich die materiellen Sorgen der Bevölkerung in Wahlergebnissen und Umfragen spiegeln. Die spektakulären Niederlagen der SPD bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind ein ebenso klares Zeichen für eine politische Entfremdung zwischen großen Teilen der Bevölkerung und der politischen Elite wie die sinkende Wahlbeteiligung und die Umfragewerte des Bundeskanzlers, der nicht nur im Kampf gegen die russische Aggression zögerlich, ja regelrecht kleinmütig und verdruckst erscheint, in merkwürdiger Kombination mit einer Arroganz, deren Quelle sich nicht wirklich ausfindig machen lässt. Da sowohl sein rhetorisches als auch sein kommunikatives Vermögen insgesamt recht überschaubar sind, werden mangelnde Klarheit und wortreich untermalte Intransparenz zu echten Hindernissen für entschlossenes politisches Handeln.
Die Trümmerlandschaften in der Ostukraine sind derweil zur Folie einer längst vergangen geglaubten Bedrohung geworden, die die Zukunftsängste noch verstärkt. Die diffuse Kommunikation des Bundeskanzlers verschärft die Ungewissheit dort, wo Klarheit das Gebot der Stunde wäre. War schon bei Angela Merkel die klare Ansage Mangelware, so setzt sich die Unfähigkeit zum ergebnisoffenen Gespräch mit den Bürgern des Landes fort.
Geschenke als Politikersatz
So kommt es zu ebenso verschwenderischen wie symbolischen Ersatzhandlungen, die der stets apostrophierten nachhaltigen Wirkung geradezu Hohn sprechen. Ein typisches Beispiel ist das „9-Euro-Ticket“. Der gnädige Staat wirft dem Volk ein Geschenk zu, freilich auf drei Monate befristet, das ein wenig an hochprozentiges „Feuerwasser“ und jene Glasperlen erinnert, die man einst den Indianern im Wilden Westen zukommen ließ, um sie zu besänftigen.
Dabei werden große Teile der Bürger wie die Landbevölkerung mangels öffentlicher Verkehrsanbindung kaum davon profitieren – während großstädtische E-Bike-Bataillone, Kegelvereine und mit Dosenbier bewaffnete Jungmännerhorden sich um die Plätze in den überfüllten Regionalzügen balgen werden, von Fußballfans und anderen Abenteuerlustigen einmal abgesehen, die ausprobieren wollen, ob man für so gut wie umsonst von Frankfurt nach Berchtesgaden kommt oder von Braunschweig nach Kampen auf Sylt.
Schon gibt es „Notfallpläne“ für die Bahnhöfe, wie der stellvertretende EVG-Bahngewerkschaftsvorsitzende Martin Burkert mitteilt: „Wenn sich zu viele Menschen auf einem Bahnsteig befinden, wird dieser von der Bundespolizei geräumt, damit Züge gefahrlos einfahren können“, sagte er. „Wenn einem ganzen Bahnhof die Überfüllung droht, wird er geschlossen. Und wenn Züge zu voll sind, müssen sie geräumt werden.“
Rund drei Milliarden Euro kostet der Spaß die Steuerzahler – eine Summe, die blitzschnell verpuffen wird und der überforderten Infrastruktur der Bahn an anderer Stelle fehlt. Motto: Kurzfristig konsumieren statt langfristig investieren.
Sozialstaat an der Belastungsgrenze
So versucht die Politik, nicht nur, auf gut Wetter zu machen angesichts all der Krisen und Unwägbarkeiten – sie vermittelt auch den Eindruck, fast alle Lebensrisiken staatlich abfedern zu können. Immer neue Subventions- und Ausgleichspakete werden auf den Weg gebracht, darunter – neben dem notorischen 9-Euro-Ticket – Tankrabatte, Kinderbonus, Energiepauschale, Wegfall der EEG-Umlage und ein „soziales Klimageld“, das zum Ausgleich des erhöhten CO2-Preises zwar schon geplant war, nun aber weitere Milliarden verschlingen wird. DIW-Chef Marcel Fratzscher verlangt gar noch höhere Subventionen für die unteren Einkommensklassen. Wie das alles ohne eine dauerhaft exorbitante Verschuldung finanziert werden soll, weiß niemand.
Gerade hat der Bundesrechnungshof eine unmissverständliche Warnung ausgesprochen. In den kommenden Jahren werde die Finanzierung der drei großen Sozialversicherungssysteme – Rente, Krankenversicherung, Pflege – Beitragszahler und Steuerzahler immer stärker belasten, sagt ein aktueller Sachstandsbericht, aus dem die „Welt“ zitiert. Die traditionsreiche Behörde prophezeit, dass der Sozialbeitragssatz von derzeit knapp 40 Prozent auf 53,3 Prozent im Jahr 2060 steigen könnte, wenn die Politik nicht rasch Gegenmaßnahmen ergreife. Der Bundeszuschuss drohe, sich auf 454 Milliarden Euro nahezu zu vervierfachen und damit künftigen Finanzministern jeglichen Handlungsspielraum zu nehmen. Nur durch höhere Sozialversicherungsbeiträge und durch Leistungsminderungen, ergänzt durch Bundeszuschüsse, könnten die Sozialversicherungen „zukunftsfest“ gemacht werden.
Zeitenwende, wohin man schaut. Und die Zeit drängt tatsächlich. Das angemessene Motto einer Regierungserklärung müsste jetzt lauten: „Wir wollen mehr Entschlusskraft wagen!“
• Reinhard Mohr war von 1996 bis 2004 Redakteur des „Spiegel“ und bis 2010 Autor von „Spiegel Online“. Zuletzt erschien „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag 2021).
www.europa-verlag.com
sitra achra am 11.06.22, 16:23 Uhr
Für die wohlversorgten Meritokraten sind die fetten Jahre noch längst nicht vorbei. Dafür sorgen sie achtsam bei jeder Erhöhung der Diäten und Dienstbezüge in den von ihnen zu Unrecht usurpierten Parlamenten. Dem Volk wirft man wie Hunden nur die Knochen vor (9-Euroticket, Spritpreissenkung, Heizkostenzuschuss, panem et circenses).
Waffenstudent Franz am 07.06.22, 17:30 Uhr
Irrtum! Es geht nicht um Wohlstandsverlust sondern um nackten Existenzverlust. Wohlstandsverlust, ohne Existenzverlust den gab es nach der Regierung Dönitz. Die meisten, von denen, die damals alles verloren hatten, kamen in Lagern und bei Verwandten unter. Und bald wurden fleißige Hände gesucht.
Das ist heute anders. Dieses mal vertreiben die Banken die Deutschen aus ihrer Wohlstandsheimat in die Gosse. Lager gibt es nicht. Verwandte sind verstorben oder alt. Kinder sind auf "Buckelige Verwandtschaft" nicht eingestellt, und neue Arbeit gibt es auch nicht.
Henry Bleckert am 07.06.22, 08:10 Uhr
Eine realistische Prognose auf die kommenden Jahrzehnte unseres Landes gefällig? Gern. Dafür einfach nur die vergangenen Jahrzehnte des Libanon betrachten.
Es wird nicht alles genauso kommen. Aber doch sehr vieles wohl so ähnlich: Armut und Elend für die Mehrheit, Staatsversagen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen, Gewalt und Kriminalität.
Ich würde mich freuen, mit meiner Sicht daneben zu liegen. Aber das Hier und Heute unseres Landes spricht wohl leider eher doch dafür. Kassandra ...
Thomas Roe am 05.06.22, 08:50 Uhr
Die Arbeitsagentur meldet 410.000 arbeitslose Ukrainer, schreibt die WELT.
Polen stellt die Sozialleistungen für Ukrainer zum 1.Juli ein, zitiert der ANTI-SPIEGEL die Agentur TASS.
Beide Sachverhalte werden das deutsche Sozialsystem weiter belasten.
Eine Rentnerin klagt wegen der Regelung der 300€-Hilfe, die sie und ihr pflegebedürftiger Ehemann nicht bekommt aber die wohlbestallten Abgeordneten des Bundestages schreibt der FOCUS.
In Nigeria spielt eine Blaskapelle beim Empfang der BK Scholz die Nationalhymne in einer Fassung, die genau den Zustand unseres Staates interpretiert. Nachzuhören bei Boris REITSCHUSTER in YouTube oder GETTR.
Graf Kack am 05.06.22, 06:49 Uhr
"Die guten Jahre sind vorbei"
Ach, gar? Für wen waren es denn "gute Jahre"? Für den Flaschenpfand sammelnden Rentner? Für den zu Tode sanktionierten Hartz IV Empfänger? Oder doch eher für den Minijobaufstocker? Ihr habt sie doch nicht mehr alle.