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Auf den Spuren der vor 925 Jahren geborenen Hildegard von Bingen – Über Pilgerwege zu einer Ausstellung in Bingen
Gerade einmal 125 Jahre alt ist das ehemalige Elektrizitätswerk in Bingen, in dem das historische „Museum am Strom“ untergebracht ist, das auch eine Dauerausstellung über Hildegard von Bingen sein Eigen nennt. Das Geburtsjahr der Hildegard hingegen hat schon ganz andere Dimensionen: Im Jahr 1098, also vor 925 Jahren, wurde sie vermutlich nahe Alzey in Bermersheim vor der Höhe geboren, wo ihre adlige Familie lebte.
Mittlerweile genießt die Äbtissin, Dichterin, Visionärin, Theologin, Natur- und Heilkundlerin, die nach heutigen Maßstäben ein wahres Multitalent war, eine große Popularität. Menschen entdecken die innere Einkehr, die „Auszeit“, und besuchen bereitwillig Klöster, Abteien und deren Kräutergärten.
Wenn man sich ernsthaft auf die Spuren der 2012 durch Papst Benedikt XVI. heiliggesprochenen Hildegard begeben will, empfiehlt sich der Besuch des Museums am Binger Rheinufer. Die sehr anschauliche Ausstellung informiert über Leben und Werk Hildegards. Im Außenbereich lockt der heilsame „Hildegarten“ und gibt Zeugnis ab über Hildegards Lehre von der Heilkraft der Pflanzen.
Und das kann manchmal durchaus seltsam sein: Vom warmen Blut und schwarzer Galle und der Magie der Pflanzen ist hier die Rede. Es steht auch geschrieben in dem legendären naturkundlichen Werk „Physica“ der Hildegard von Bingen aus dem Jahr 1133, von der das Museum das Original besitzt. Modelle historischer Klöster mit Hildegard-Bezug zeugen von der einstigen Pracht. So gibt es zum Beispiel eine Rekonstruktion des Klosters am Rupertsberg, das im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde. Graphiken machen das Leben und das Wirken Hildegards anschaulich.
In Anbetracht der milde angestrahlten Kirchenfenster, die es dort auch zu sehen gibt, kommt sogar etwas wie Besinnlichkeit auf. Auf einem sieht man Hildegard, wie sie Noten auf ein Papier malt, denn komponiert hat sie außerdem. Leise wird der Besucher im Hintergrund von mittelalterlicher Kirchenmusik beschallt, während er dann vielleicht die mystischen Motive des Bildzyklus „Scivias“ auf sich wirken lässt. „Wisse die Wege des Herren“, ist eines der Leitmotive Hildegards und zugleich Titel ihres ersten theologischen Werkes aus dem Jahr 1151 oder 1152, das ihre 26 Visionen mit Illustrationen beschrieb.
Wer die Wege danach immer noch nicht so genau weiß, kann sich in der örtlichen Touristen-Information mit Karten- und Informationsmaterial versorgen, denn es gibt viel zu tun: In Bingen, an der Nahe, in Rüdesheim und so weiter und so fort. Wer gut zu Fuß ist, kann auf dem 2017 eröffneten Hildegard-Pilgerwanderweg von Idar-Oberstein bis Bingen auf
137 Kilometern über Hildegard und ihre Lehren sinnieren. Auf zehn Etappen inklusive Hildegardwege in Bingen und Rüdesheim führt er an ihren wichtigsten Lebensstationen vorbei.
Von Mönchen misstrauisch beäugt
Disibodenberg in Odernheim am Glan, ungefähr auf halber Strecke des Hildegard-Pilgerwegs: Dort gründete Hildegard im Alter von gerade einmal 14 Jahren mit ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim, der die Eltern Hildegards das achtjährige Mädchen zur religiösen Erziehung übergeben hatten, eine Frauenklause und übernahm nach Juttas Tod deren Leitung. Dort soll sie durch eine Vision den Auftrag erhalten haben, ihr Wissen stets niederzuschreiben, für die Menschheit und für die Nachwelt. Reist man früh an, um den Besucherströmen zu entgehen, so kommt sogar etwas wie kontemplative Stimmung auf. Reste der Klostermauern zeugen von der einstigen Größe der Anlage, durch die Hildegard und ihre Mitschwestern wandelten.
Vor allem das ehemalige Hospiz ist eine visuelle Reise in die Vergangenheit, eingebettet in die schöne Landschaft an den Ufern der Nahe. Damals wurde die klösterliche Harmonie hingegen durch einen Disput mit Abt Kuno von Disibodenberg zunichtegemacht, weil Hildegard die klösterliche Askese lockern wollte, was von den am Disibodenberg lebenden Benediktinermönchen misstrauisch beäugt wurde. Und so verließ Hildegard um 1150 ihren geliebten Disibodenberg, um auf dem Rupertsberg in Bingen, dort, wo die Nahe in den Rhein mündet, ihr eigenes Kloster zu gründen, das zu ihrer zentralen Wirkungsstätte wurde.
1147 hatte sie noch von Papst Eugen III. die Erlaubnis erhalten, ihre Visionen niederzuschreiben, die sie zunächst aus Unwissenheit über deren Bedeutung tief verstört und krank gemacht hatten, bis sie sie als gottgegeben akzeptierte: „Und ich sprach und schrieb diese Dinge nicht aus Erfindung meines Herzens oder irgendeiner anderen Person, sondern durch die geheimen Mysterien Gottes, wie ich sie vernahm und empfing von den himmlischen Orten.“
1179 ist Hildegard in ihrem Kloster auf dem Rupertsberg gestorben. Auf der anderen Seite des Rheins lockt die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard auf dem Berg und wartet auf Besuch. Doch ob der immer aus spirituellen Gründen vorbeischaut, ist ungewiss, denn die freundlichen Schwestern sind für ihren guten Wein bekannt, den sie selber anbauen und der dann kistenweise aus dem Klostergeschäft gekarrt wird. Doch die religiöse Gemeinschaft bestreitet so ihren Lebensunterhalt. Der Laden ist mittlerweile vergrößert und durch ein Café ergänzt worden.
Eine Stärkung ist sowieso vonnöten, denn der Gedanke, dass jedes Jahr am 17. September, am alljährlichen Hildegardisfest, im unweit gelegenen Eibingen Hildegards Reliquienschatz durch die Gegend getragen wird, darunter auch der Arm des heiligen Rupert von Bingen, ist etwas befremdlich. Memento mori. Hildegards Reliquien hingegen, die in einem goldenen Schrein aufbewahrt werden, dürfen für immer in der Pfarrkirche von Eibingen bleiben. Im Land der Hildegard.