Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Ostpreuße Josef Wiener-Braunsberg reiste vorm Ersten Weltkrieg nach Capri – Er traf dort auf eine illustre deutsche Kolonie
In den frühen 1910er Jahren reiste der Ostpreuße Josef Wiener-Braunsberg mit seiner Frau Anna zwei Jahre lang durch Europa, finanziert durch das Erbe seines 1904 in Berlin verstorbenen Vaters, dem Sanitätsrat Dr. Wilhelm Wiener. Schon länger haderte der seit der Jahrhundertwende in Berlin lebende Schriftsteller und Redakteur mit seinem Schicksal. Innerhalb weniger Jahre hatte er Vater, Mutter und Schwester auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee begraben müssen, seine Karriere stagnierte, seine Ehe kriselte.
Die Insel Capri wurde für das Ehepaar zum Sehnsuchtsziel, das sie jedoch mit vielen anderen Literaten wie Joseph Conrad, Gerhart Hauptmann, D.H. Lawrence und Rainer Maria Rilke teilen mussten, die alle im Laufe der Jahre dem Charme der Insel erlegen waren.
Der westlich von Neapel gelegene Küstenort Pozzuoli ließ den 1866 als Josef Wiener in Braunsberg geborenen und eher bodenständigen Schriftsteller zum ersten Mal ins Schwärmen geraten: „Paradiesisch schön! In Pozzuoli speist man am besten in dem auf das Meer hinausgebauten Restaurant besonders Fische und Langusten. Der schönste Spaziergang ist gegen Sonnenuntergang auf dem Corso Vittore Emanuele. Man beachte den Sonnenuntergang und später, bei eintretender Dunkelheit, wie, während man selbst noch im Sonnenlichte wandelt, tief unten in den Menschenwimmelnden Strassen bereits die Gaslaternen brennen.“
Der unveröffentlichte Italien-Reiseplan aus seinem Nachlass, der sich im Besitz der Autorin befindet und den sie vom Sohn des Stiefsohnes des Schriftstellers erhalten hat, war zunehmend mit lyrischen Anwandlungen gespickt, je weiter die Reise fortschritt. Doch Obacht, der wohl eher misstrauisch veranlagte, pragmatische Ostpreuße versäumte auch nicht zu warnen: „Man sei in Neapel stets auf der Hut vor falschem Geld und Spitzbuben und sonstigen Gaunern. Wertsachen nicht sichtbar tragen!“
Wiener-Braunsberg war zudem wohl auch ein penibler Zeitgenosse und dabei allzu vorausschauend, um bloß nichts zu verpassen. Und so überfrachtete er den Reiseplan so dermaßen, bis kein Raum mehr für spontane Aktivitäten blieb.
Das Ehepaar war mit einem Dampfer des Norddeutschen Lloyd, der seit 1889 Neapel mit der Insel verband, nach Capri gereist. Vor allem deutsche Touristen strömten seitdem in Scharen herbei und hinterließen reichhaltige Spuren, bis sogar deutschsprachige Verkehrsschilder zur Normalität wurden. Die einheimische Bevölkerung stellte sich komplett auf die Reisenden ein: Wirte, Kellner, Droschkenkutscher und Verkäufer – sie alle lernten fleißig Deutsch, um den Gästen allen Komfort bieten zu können, und das möglichst ohne jegliche Sprachbarrieren.
Noch im selben Jahr musste der örtliche Bürgermeister Serena konsterniert konstatieren, während er doch allzu gerne den klingelnden Kassen im Hintergrund lauschte: „L'isola è tedesca“ („Die Insel ist deutsch“).
Besonders fürsorglich wurden die Deutschen im „Kater Hiddigeigei“ von dem geschäftstüchtigen Ehepaar Lucia und Giuseppe Morgano umsorgt. Der tierische Name ihres in den 1860er Jahren gegründeten Etablissements, einem Gasthof mit Restaurant, stammte aus dem Versepos „Der Trompeter von Säckingen“ von Joseph Victor von Scheffel, in dem ein Kater mit stets hochmütigem Antlitz seine Weisheiten verkündete: „Und am Tore von Pompeji / Saß der Kater Hiddigeigei. / Knurrend sprach er: ‚Laß die Studien, /Was ist all antiker Plunder, / ... Gegen mich, die selbstbewußte / Epische Charakterkatze?'“
Für die deutschen kaiserlichen Untertanen wurde die Lokalität durch die Überfürsorge ihrer Gastgeber zu einer Art „Traumschiff“ auf trockenem Boden, wo man ihnen vor allem jegliche lästige Organisation abnahm und das Ganze zu einer Vorform des „All-Inclusive-Urlaubs“ mutierte, ob mit Alkoholexzessen oder ohne, ist nicht überliefert.
Zu Gast beim „Alten Fritz“
Wiener-Braunsberg notierte: „Uebrigens ertheilt das Café ,Zum Kater Hiddigeigei' alle gewünschte Auskunft. Die jungen Morganas, die zu grüssen bitte, sprechen vorzüglich deutsch und nehmen sich in liebenswürdigster Weise besonders der Deutschen an. Sie sind jederzeit erbötig, alle möglichen Dienstleistungen unentgeltlich zu übernehmen und im Bedarfsfalle den Dolmetscher zu machen. Sie sind sozusagen die Managers von Capri, wie auch das Prinzip des Warenhauses von ihnen auf Capri im Kater Hiddigeigei seit Jahren verwirklicht worden ist.“
Der deutsche Lebensstil war somit allgegenwärtig: Deutsches Bier, zünftiges Essen in der Gaststube mit bayerischer Wirtshausatmosphäre, aber auch – recht preußisch – im Restaurant „Zum alten Fritz“. Abenteuerlust suchte man da wohl vergeblich bei den kaiserlichen Untertanen. Und wenn den Deutschen der Sinn nach „Abwechslung“ stand, wechselten sie einfach die Räumlichkeiten und kehrten in das Café „Pilsener Urquell“ oder in die Weinstube „Gaudeamus“ ein.
„Die schöne Insel Capri ist deutsch“, hatte schon der Autor Hanns Heinz Ewers am 12. April 1904 in seinem Artikel „Das Fremdenbuch“ auf Capri im „Berliner Tageblatt“ festgestellt. Der Mann war rabiat. Ein Jahr später biss er einem Pester Architekten nach einer Prügelei im „Bunten Vogel“ einen Teil der Nase ab, woraufhin man ihn zu 13 Monaten und sieben Tagen Gefängnis sowie zu einer Geldstrafe von 1000 Lire verurteilte.
Zufällig wurde auch Wiener-Braunsberg Zeuge dieser Auseinandersetzung, die er umgehend der „Neuen Hamburger Zeitung“ petzte und Ewers später noch in einem anderen Zusammenhang erwähnte: „Zu versäumen keinesfalls außer dem Besuch der ,blauen Grotte' eine Grottenfahrt um die Insel. Die besten Badestellen sind die Bagni di Tiberio und eine Stelle nahe bei der Grotta bianca. Man rudert zu beiden hin. Die Besitzer des Ristorante Tiberio sind mit H.H. Ewers verwandt. Eine ihrer Töchter ist mit dem Bruder der Frau Dr. Ewers, dem Maler Wunderwald verheiratet.“ Ewers sollte später mit den Nationalsozialisten sympathisieren.
Josef Wiener-Braunsbergs Ehe war trotz Capri-Idylle nicht mehr zu retten und wurde 1913 geschieden. Vier Jahre später starb seine Ex-Frau im Alter von nur 44 Jahren an einer Lungenentzündung. 1920 übernahm Wiener-Braunsberg von Kurt Tucholsky die Chefredaktion der Zeitschrift „Ulk“, der satirischen Wochenbeilage des Berliner Tageblatts. Acht Jahre später verstarb er an einem Hirnschlag. Die Glanzzeit des „Kater Hiddigeigei“ ebbte kontinuierlich ab, der Kater war aus der Mode geraten.