19.09.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Gestapelte Sandsäcke als Flutschutz am Klodnitzkanal in Klodnitz
Foto: WagnerGestapelte Sandsäcke als Flutschutz am Klodnitzkanal in Klodnitz

Östlich von Oder und Neiße

Die Jahrzehnte der Leichtfertigkeit sind vorbei

Die aktuelle Oderflut offenbart, dass diese Überschwemmungen immer wieder vorkommen werden

Chris W. Wagner
19.09.2024

Schlesien hatte sich auf das große Wasser vorbereitet. Die polnische Staatsbahn PKP hatte – natürlich am Freitag, dem 13. – den Zugverkehr zunächst auf den Strecken von Hirschberg im Riesengebirge [Jelenia Góra] nach Oberschreiberhau [Szklarska Poręba Górna] sowie von Neustadt O.S. [Prudnik] nach Neisse [Nysa] gestoppt. In Liegnitz [Legnica], Goldberg [Złotoryja] und Schönau an der Katzbach [Świerzawa] wurde zuerst auf Evakuierungen vorbereitet. Die Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Schönau und die eines Hotels in Bad Warmbrunn [Cieplice-Zdrój] traf die Evakuierung dann auch tatsächlich als erste. Im Landkreis Glatz [Kłodzko] versicherte Landrätin Małgorzata Jędrzejewska-Skrzypczyk zu diesem Zeitpunkt noch, man sei dort lokale Überschwemmungen gewohnt, allein deshalb sei man auch gut vorbereitet.

Am 14. September haben sich in Glatz der Minister für Infrastruktur Dariusz Klimczak (Polnische Bauernpartei) und der Chef des Innenministeriums Tomasz Siemoniak (Bürgerkoalition) vor Ort ein Bild von der Lage gemacht. Man wusste, dass die Nebenflüsse der Oder ihr Wasser noch gesammelt durch Breslau führen – so wie beim Jahrhunderthochwasser 1997. Die Stadt sei gut vorbereitet, sagte der Pressesprecher des Magistrats, Tomasz Sikora. Sämtliche Rückhaltebecken und Regenwasserkanäle in Breslau seien vorsorglich entleert worden.

In Oberschlesien trat die Hotzenplotz [Osobłoga] in Deutsch Rasselwitz [Racławice Śląskie] am Sonntag über die Ufer. Auch in weiteren Gemeinden, die an der Hotzenplotz oder ihren Zuflüssen liegen, war man in Bereitschaft. In den Gemeinden Klein Strehlitz [Strzeleczki] und Krappitz [Krapkowice] wurde die höchste Alarmstufe ausgerufen. Die Situation wurde ähnlich wie 1997 bewertet. „Das bedeutet nicht, dass die Einwohner in der gleichen Situation sind wie damals“, so der Krappitzer Bürgermeister Maciej Sonik gegenüber Radio Oppeln (Radio Opole). Für die großen Fluten von 1903 und 1917 gibt es heute keine persönlichen oder familiären Erfahrungen mehr, für die Jahrhundertfluten 1985 und 1997 hingegen schon. Doch wurden sie als Ausnahme betrachtet, da die Intervalle vermeintlich seltener auftraten. Ein Trugschluss. Heute ist klar, dass solche Fluten immer wiederkehren werden.

Im Jahr 1997 schien nichts unter Kontrolle zu sein. Fast alle Dämme brachen, die großen Speicherbecken der Glatzer Neiße versagten. Die bebauten oder landwirtschaftlich genutzten Polder konnten die Wasserstände nicht senken. Die Bevölkerung, die, anders als in den Jahrhunderten gemachter Erfahrungen zuvor, Neubaugebiete mittlerweile auch in Flutgebieten errichtet hatte, wurde kaum gewarnt. Die Krisenstäbe arbeiteten chaotisch. Evakuierungsaktionen scheiterten wegen fehlender Vorwarnung und aus mangelndem Vertrauen der Betroffenen gegenüber den Behörden. Die Stromversorgung fiel aus. Das Telefonnetz brach zusammen. Wer noch Vorräte an Batterien hatte, informierte sich im Radio. Vor 27 Jahren lebten aber zumindest im westlichen Oberschlesien – also dem Schwerpunktgebiet nicht vertriebener Bevölkerung – noch einige „Alte“, die aus deutscher Zeit wussten, welche Hochwasservorkehrungen früher getroffen wurden.

So etwa im Klodnitzer [Kłodnica] Ortsteil Zabienietz [Żabieniec], der mit Klodnitz 1975 zu Kandrzin-Kosel [Kędzierzyn-Koźle] eingemeindet worden war. Während Klodnitz im Juli 1997 bereits unter Wasser stand, war Zabienietz noch trocken. Doch das Wasser kam bedrohlich näher. Heute kann auch beim DFK Klodnitz niemand mehr genau sagen, wem eigentlich ein Lämpchen aufging. Die Altvorderen hatten damals jedoch in letzter Sekunde kräftige Männer zu den mittlerweile überwucherten Verschlüssen unter dem Bahndamm geführt. Diese legten die fast vergessenen Anlagen frei, sodass die Wassermassen abfließen konnten. Ob die Fluten heute letztlich ähnliche Schäden wie 1997 verursachten, dürfte bald absehbar sein. Sicher ist, dass das dritte große Hochwasser zu polnischer Zeit nun endgültig einen Erfahrungsschatz unter den polnischen Neusiedlern implementiert hat. Die Sorg- und Leichtfertigkeit der ersten Nachkriegsjahrzehnte dürfte nun endgültig der Vergangenheit angehören.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS