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Was für die Rückkehr zur Atomkraft und gegen eine einseitige Fokussierung auf die Erneuerbaren Energien spricht
Unter den Stimmen, die für eine Rückbesinnung auf die Kernenergie werben, sticht Anna Veronika Wendland als frühere Anhängerin der Anti-Atomkraftbewegung heraus. In den vergangenen Jahren forschte sie in Atomanlagen über Reaktorsicherheit und nukleare Arbeit. Im Ergebnis dieser Erkundungen sagt sie heute „Atomkraft? Ja bitte!“
Frau Wendland, zum Ende dieses Jahres gehen die letzten drei deutschen Reaktoren vom Netz. Ausgerechnet jetzt plädieren Sie für ein Comeback der Atomkraft. Warum?
Weil ich vom politischen Ziel her denke. Bis 2050 soll unsere Industriegesellschaft CO2-neutral sein. Weil Strom dann zahlreiche heutige Energiequellen ersetzen muss, hat dies zur Folge, dass wir in wenigen Jahren etwa dreimal mehr Strom verbrauchen werden als heute.
Unsere Bundesregierung glaubt, sie könne diese Herausforderung allein mit Erneuerbaren Energien bewältigen. Ich fechte diese Auffassung an und empfehle, lieber auf ein komplementäres System zu setzen, bei dem die „Erneuerbaren“ 60 Prozent des Strombedarfs tragen und die Atomkraft 40 Prozent. Das große Problem der Erneuerbaren ist und bleibt, dass sie nicht ganzjährig rund um die Uhr zur Verfügung stehen und somit auf eine fossile Absicherung oder eine teure und noch nicht in Ansätzen vorhandene Speicher-Infrastruktur angewiesen sind. Und das einzige Backup, das versorgungssicher und zugleich CO2-arm ist, ist die Kernkraft.
Ihr Argument, dass die Erneuerbaren nicht nur die bisherigen Arten der Stromgewinnung ersetzen müssen, sondern auch die bisherigen Leistungen der „Verbrenner“, spielt in den Debatten zur Energiewende kaum eine Rolle.
Das stimmt. Dabei prognostizieren Institutionen wie das Solarforschungsinstitut Fraunhofer ISE für 2050 konservativ geschätzt einen Jahresstrombedarf in Deutschland von bis zu rund 1500 Terrawattstunden, also ungefähr dreimal mehr ist, als wir heute verbrauchen. Vielen Befürwortern der Erneuerbaren ist schlichtweg nicht klar, was es heißt, Stahl- oder Chemiewerke mit Strom zu betreiben.
Die vollständige Versorgung der Industrie mit Erneuerbaren hätte neben dem enormen Strombedarf auch eine irrsinnige Rohstoffbilanz zur Folge. Es ist ja nicht so, dass uns – wie der beliebte Slogan lautet – Sonne und Wind keine Rechnung schicken würden. Die Anlagen für die Ernte von Wind und Sonne haben einen enormen Rohstoffverbrauch. Aller Voraussicht nach sind die künftigen Rohstoffströme sogar wesentlich größer als die bisherigen, weil für die Erneuerbaren deutlich mehr Material mobilisiert werden muss, um dieselbe Menge Strom zu ernten und zu speichern.
Das könnten wir uns ersparen, wenn sich die deutsche Politik – die Kernkraft wird ja nur in Deutschland verteufelt – nicht mehr in die Tasche lügen und stattdessen nach pragmatischen Lösungen suchen würde.
Bundesfinanzminister Lindner hat vor ein paar Tagen angeregt zu prüfen, ob man die drei noch bestehenden Kernkraftwerke nicht doch weiterbestehen lassen sollte. Aus dem Haus von Wirtschaftsminister Habeck kam prompt die Antwort, es sei alles geprüft, die Atomkraft sei nicht nur gefährlich, sondern auch zu teuer, zu ineffizient und zu wenig nachhaltig. Wie realistisch ist angesichts dieser Aussagen Ihre Forderung, zur Kernkraft zurückzukehren?
Realistisch im Sinne einer baldigen Umsetzung ist sie natürlich nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Grünen in der Regierung sitzen. Die Argumente von Herrn Habeck stammen aus dem Bundesumweltministerium, wo faktisch seit Jahren die bürokratisierte Anti-AKW-Bewegung sitzt, die nun auf ministerieller Ebene Politik macht. Natürlich bringen diese Leute alle möglichen Vorwände gegen eine Rückkehr der Kernenergie vor. Aber die Vorwände sind alle entkräftet, sowohl von den kerntechnischen Fachgesellschaften als auch durch ein juristisches Gutachten.
Im Grunde ihres Herzens wissen die Grünen und insbesondere Herr Habeck, dass es Wahnsinn ist, was sie treiben. Der Wirtschaftsminister trennt sich mit lautem Getöse vom Gas-Despoten Putin, nur um dann bei den Gas-Despoten aus Katar einzukehren. Gleichzeitig kündigt er mit in Sorgenfalten gelegter Stirn an, wir müssten leider, leider weiter Kohle verbrennen.
Warum handelt Habeck Ihrer Meinung nach wider besseres Wissen?
Robert Habeck will 2025 Kanzler werden – und dafür braucht er seine grünen Reihen in einem intakten Zustand. Deshalb scheint er seinen Anhängern nicht zumuten zu wollen, neben Waffen für die Ukraine auch noch die Rückkehr zur Kernenergie schlucken zu müssen.
Das Paradox ist: Die Kernenergie hat in Deutschland – wir reden nicht von der Ukraine oder Japan – einen exzellenten Job gemacht. Sie hat nicht nur zuverlässig Strom geliefert, sondern auch ihren Müll säuberlich geordnet bei sich behalten, anstatt ihn irgendwo in die Natur zu kippen oder in die Luft abzulassen. Das unterscheidet die Kerntechnik von vielen anderen Industrien und deren Altlasten. Die Kohleverstromung zum Beispiel tötet allein durch die Abgase etliche tausend Menschen pro Jahr. Dennoch ist sie von den Grünen immer stillschweigend als kleineres Übel akzeptiert worden.
Gegen die Kernenergie wird immer wieder auch das Problem der aufwendigen Endlagerung angeführt.
Auch dieses Argument zieht bei genauerer Betrachtung nicht. Der Atommüll ist wegen seiner Leistungsdichte kompakt und relativ einfach handhabbar. Es ist, anders als vielfach behauptet, auch kein Hexenwerk, mit diesem Atommüll umzugehen.
Das Problem ist, das an den Spitzen der zuständigen Umweltbehörden grüne Funktionäre sitzen, die über die Atomkraft nur Angstbotschaften verbreiten. Diese Leute werden voraussichtlich nie ein Endlager finden.
Halten Sie die Negativfixierung der Grünen auf die Atomkraft für echte Sorge um deren Gefahren – oder eher für Kalkül, weil sie wissen, dass sich mit der Angst Wähler mobilisieren lassen?
Ich glaube, es ist beides. Die Frage ist, ob und wie eine aufgeklärte Gesellschaft es schaffen kann, diese Angstpolitik zu knacken. Wer sich unvoreingenommen die Bilanz der deutschen Kerntechnik anschaut, kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass diese alles andere als katastrophal ausfällt. Die Erzählung über die entsetzlichen Gefahren der Atomkraft hat mit der in diesem Land erlebten Erfahrung nichts zu tun. Aber sie funktioniert als politische Botschaft und sie mobilisiert Wähler.
Die Politik tut seit Jahren so, als ob die schrittweise Abschaltung der Kernkraftwerke ohne Probleme verlaufe. Sehen Sie das auch so?
Wenn Sie in die Berichte der Netzagenturen schauen, heißt es in den Vorworten stets, dass die Verantwortlichen alles im Griff hätten. Im Kleingedruckten liest man dann von den Unterdeckungen in vielen Leitungsabschnitten und von der Notwendigkeit, die alten Kohlebuden wieder zu reanimieren. Nahe dem zum Jahresende abgeschalteten Kernkraftwerk Grohnde zum Beispiel muss das uralte Kohlekraftwerk Heyden ständig in Reserve gehalten werden und regelmäßig Wirkleistung einspeisen, damit das Netz nicht zusammenbricht. Jetzt pustet halt Heyden sein CO2 und eine Reihe von Luftschadstoffen in die Gegend, weil das Kernkraftwerk stillstehen muss. Nicht weit entfernt davon soll die Georgsmarienhütte bei Osnabrück „grünen Stahl“ produzieren und sucht verzweifelt nach einem Standort für 60 Windkraftanlagen, die sie bräuchte, um mit Öko-Strom ein Elektrostahlwerk laufen zu lassen. Ein Stromliefervertrag mit einem Kernkraftwerk würde ihnen das alles sofort ermöglichen, die CO2-Bilanz der Kernenergie ist dieselbe wie die von Windkraft.
Allerdings ist mit Klaus Müller auch der Chef der Bundesnetzagentur ein Grüner. Und der wird den Teufel tun und erzählen, dass die Netzstabilität ernsthaft gefährdet ist. Stattdessen wird auch er behaupten, dass es sich hier nur um Übergangsschwierigkeiten handle.
Bei den Debatten der letzten Wochen fällt auf, dass sich die Betreiber der noch bestehenden AKW sehr zurückhaltend äußern und den Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung teilweise sogar eine klare Absage erteilen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das sind gebrannte Kinder. Die Kraftwerksbetreiber haben wiederholt erlebt, wie die Politik mal „Hü“ und mal „Hott“ gerufen hat. Deshalb trauen sie der Politik nicht mehr und lehnen sich schon gar nicht aus dem Fenster. Hinzu kommt, dass sich die Unternehmen den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie mit Entschädigungen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro teuer haben bezahlen lassen. Vielleicht befürchten sie, im Falle eines Ausstiegs aus dem Ausstieg aus der Kernenergie dieses Geld wieder zurückzahlen zu müssten.
Das bedeutet aber nicht, dass die Industrie nicht in der Lage wäre, im Falle eines klaren Signals der Politik die Leistungen wieder hochzufahren. Dafür bräuchte sie noch nicht einmal große Fördermittel, weil angesichts der jetzigen Strompreise ein Kernkraftwerk eine Lizenz zum Gelddrucken wäre. Das einzige, das die Kraftwerksbetreiber brauchen, ist Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum.
Damit sind wir bei einer anderen spannenden Frage, nämlich wie ehrlich die Forderungen der Herren Lindner, aber auch Söder und Merz nach einer Rückkehr zur Atomkraft wirklich gemeint sind. Sie hätten ja längst im Bundestag entsprechende konkrete Anträge stellen können. Erstaunlich ist auch, dass sie erst jetzt auf der Bühne erscheinen. Im März haben die Kraftwerksbetreiber gesagt, dass sie prinzipiell zu einer Laufzeitverlängerung bereit wären, jedoch für die Bestellung der Brennelemente einen Vorlauf haben und das dafür benötigte Zeitfenster Ende Mai schließe. Und punktgenau Ende Mai fängt Herr Lindner mit der Kernkraftdiskussion an. Da fragt man sich, wo der Minister eigentlich die ganze Zeit vorher war.
Was sollte Ihrer Meinung nach aus den Erneuerbaren Energien werden? Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass Sie kein Interesse daran haben, diese schlechtzureden, dass Sie jedoch auch keines „am Gesundbeten von offensichtlichen Schwächen“ haben.
Genau das ist ein Punkt, der in der Diskussion leider sehr oft verwechselt wird. Ich kritisiere nicht die Erneuerbaren Energien, sondern die alleinige Fixierung darauf. Die Erneuerbaren haben Stärken – sie haben in den letzten Jahren ungeheure technologische Fortschritte gemacht, sind relativ schnell, einfach und kostengünstig zu errichten und daher auch gut geeignet für Bürger-Energiegenossenschaften. Doch haben sie – wie alle anderen Arten der Energiegewinnung auch – inhärente Schwächen, die in einem klugen Mix ausgeglichen werden können. Wenn man das ausspricht, wird man jedoch schnell als Hetzer dargestellt, der eine fortschrittliche Technologie schlechtreden will. Die Erneuerbaren werden von Politikern wie Habeck zur Staatsraison erklärt. Doch das sind sie nicht. Sie sind eine von mehreren Alternativen zur Erzeugung von Strom, und sie müssen sich selbstverständlich dem Vergleich mit allen anderen Erzeugern stellen.
Wer die Kritik an den Erneuerbaren unterdrückt, riskiert nicht nur technischen Stillstand, sondern auch – etwa bei den Windparks, die jetzt massiv ausgeweitet werden sollen –, dass die vor Ort Betroffenen auf die Barrikaden gehen. Doch mit der Brechstange lässt sich kein gesellschaftlicher Konsens erzielen. Das gilt allerdings genauso für den Bau von Atomkraftwerken. Deshalb ist es so wichtig, eine wahrhaft offene Diskussion über die uns zur Verfügung stehenden Arten der Energiegewinnung zu führen – und am Ende einen die Chancen und Risiken am besten ausgleichenden Energiemix zu entwickeln.
Das Gespräch führte René Nehring.
• Dr. habil. Anna Veronika Wendland ist Technik- und Osteuropahistorikerin in Marburg und wurde im Dezember 2021 mit einer Arbeit über die Kerntechnische Moderne habilitiert. Im Frühjahr 2022 erschien ihre Streitschrift „Atomkraft? Ja bitte! Klimawandel und Energiekrise. Wie Kernkraft uns jetzt retten kann“ (Quadriga Verlag).
www.luebbe.de/quadriga