Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Das Jahr 2024 steht im Zeichen zweier großer Jubilare: Immanuel Kant und Caspar David Friedrich. Der Königsberger Philosoph wurde vor 300 Jahren geboren, der Maler des berühmten „Kreidefelsens auf Rügen“ vor 250 Jahren. Wie bedeutend beide für unsere heutige Zeit noch sind, zeigt die Tatsache, dass es so etwas wie einen Wettstreit um die frühest mögliche Ehrung gibt, wobei das meiste Pulver fast im alten Jahr verschossen wurde. Denn schon im November eröffnete die Bundeskunsthalle eine umfassende Kant-Ausstellung (die PAZ berichtete).
Friedrichs Gemälde hingegen sind schon seit über einem halben Jahr auf strapaziösen Reisen: Von Schweinfurt über Winterthur erreichten sie kurz vor Weihnachten die Hamburger Kunsthalle, wo sich sogar der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ehre gab, um die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ zu eröffnen.
Denn die Hamburger Jubiläumsschau bildet den Auftakt des Caspar-David-Friedrich-Festivals, das ab den 19. April in der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und ab dem 24. August im Albertinum sowie im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden fortgesetzt wird. Das Pommersche Landesmuseum in Friedrichs Geburtsstadt Greifswald sekundiert ab April nacheinander mit drei weiteren Sonderausstellungen über „CDF“, so sein Kürzel.
Weil sich der „Kreidefelsen“ nicht zerteilen lässt, ist er bei den gleichzeitig laufenden Ausstellungen in Dresden und Greifswald nur am letzteren Ort zu sehen. In Hamburg allerdings auch. Kurz gefasst lässt sich über die in dem eigentlich der zeitgenössischen Kunst vorbehaltenen Erweiterungsbau der Kunsthalle, der Galerie der Gegenwart, gezeigte Schau sagen, dass sie keine Wünsche offenlässt: Unter den 70 Gemälden und 100 Zeichnungen ist ziemlich alles da, was man von Friedrich gemeinhin kennt.
Die Kunsthalle kann dabei selbst aus dem Vollen schöpfen, trägt sie doch mit dem „Wanderer über dem Nebelmeer“, dem „Eismeer“ und den „Wiesen bei Greifswald“ selbst drei hochkarätige Gemälde aus der eigenen Dauerausstellung bei. Vor allem das 1823/24 entstandene „Eismeer“ ist ikonisch für die Kunsthalle und darf aus konservatorischen Gründen, wie Kurator Markus Bertsch begründet, die Hansestadt eigentlich nicht verlassen. Für das Friedrich-Festival in den Folge-Städten wird man aber eine Leih-Ausnahme machen.
Portraits waren seine Sache nicht
Im Bild sind turmhoch aufgeschichtete Eisschollen im Polarmeer zu sehen, die ein Segelschiff zermalmt haben, von dem gerade noch ein paar Masten und der Rumpf aus dem Eis ragen. Dieses Urbild einer Katastrophe als Ausdruck menschlicher Hybris ist reinste Phantasie. Friedrich selbst hat nie die Arktis bereist. Die zerklüfteten weißen Eistürme erinnern an seine „Kreidefelsen auf Rügen“ mit ihren ebenso spitzen Felsnadeln oder an seine Ansichten vom Elbsandsteingebirge. Von hier bezog er seine Inspiration für viele seiner frei erfundenen Landschaftsansichten. Obwohl er nie in den Alpen war, wagte er es – nach Vorlage anderer Künstler –, den Watzmann zu malen, dessen schneebedeckter Gipfel wiederum wie ein „Eismeer“ aus der Landschaft hervorragt.
Dieser selbstständige Blick auf die Natur, so will uns die Ausstellung erzählen, sei das Neue bei Friedrich gewesen. Weil er die Welt nicht wie andere romantische Kollegen eins zu eins abmalte, war er von den Zeitgenossen unverstanden gewesen und schließlich auch fast vergessen worden. Erst die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 rückte ihn wieder ins Rampenlicht. Man sah ihn nicht mehr als den mythisch die Natur verklärenden Romantiker, sondern als einen Maler, der dem Betrachter die Landschaft neu erkennen lässt. Beispielhaft dafür ist sein „Wanderer über dem Nebelmeer“, bei dem die Figur in der Mitte uns den Rücken zukehrt. Mit einem Blick über seine Schulter hinweg eröffnen sich neue Horizonte.
Auffällig oft finden sich in Friedrichs Gemälden Personen mit dem Rücken zum Betrachter. Auch das menschliche Trio im „Kreidefelsen“ blickt mit uns über einen tiefen Abgrund hinweg. Weil Personenzeichnung nicht seine Stärke war, setzte Friedrich oft einsame Menschen wie ein Requisit in die Landschaftskulisse ein.
Manchmal gleicht es einem Suchbild wie beim „Mönch am Meer“ (1808–1810), in dem der Geistliche am Strand vor der scheinbaren Unendlichkeit des Meeres und Himmels verloren und unscheinbar wirkt. Um zu veranschaulichen, wie mächtig die Natur gegenüber dem Menschen ist, übermalte Friedrich in einigen seiner Gemälde Objekte wie etwa Schiffe. Das zeigten Röntgenanalysen. Die Reduktion auf das Wesentliche nahm bei ihm moderne abstrakte Formen an.
Diese Modernität ist zumindest eine Deutung der Kunstwissenschaft, die uns im Nachhinein erklären will, was Friedrich von anderen Landschaftsmalern der Romantik abhebt. Tatsächlich galt Friedrich bereits bis zu seinem Schlaganfall 1835, als er wegen einer gelähmten Hand nur noch Zeichnungen anfertigen konnte, unter Kollegen als Malerstar, dem viele andere nacheiferten. Das zeigt die Hamburger Ausstellung mit 21 Gemälden von Zeitgenossen wie Carl Gustav Clarus, der in Friedrich-Manier „Das Eismeer von Chamonix“ (1825–1827) abbildete.
Es klimawandelt gewaltig
Diese Gegenüberstellung von zeitgenössischen Künstlern ist lobenswert, lässt es räumlich aber ziemlich eng werden. Hätte man die Friedrich-Werke für sich selbst sprechen lassen, so hätte man sie nicht in relativ kleine, kammerähnlich unterteilte Abteilung einpferchen müssen. Der „Kreidefelsen“ muss sich so ein paar wenige Quadratmeter Raum mit dem „Wanderer“ teilen. Friedrichs unendliche Aussichten beschränken sich hier für den Besucher auf kurze Nahblicke.
Unvermeidbar scheint heutzutage die Kuratoren-Sitte zu sein, alte Kunst immer in einem Kontext zur Gegenwart setzen zu müssen. Der Untertitel der Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“ deutet an, dass man Friedrichs „Aktualität“ in den Vordergrund rücken will. Als Prélude zur eigentlichen Schau werden im Makart-Saal der alten Kunsthalle zwei monumentale Gemälde des 1977 geborenen Kaliforniers Kehinde Wiley präsentiert, in denen er quasi parodistisch einen Wanderer im Trenchcoat und zwei Dunkelhäutige vorm Kreidefelsen in Szene gesetzt hat.
Es lässt sich mit Friedrich eben sowohl divers-, als auch aufdringlich viel Klima-bewussten Quatsch machen. Das zeigt der den Friedrich-Bildern folgende Ausstellungsteil mit Werken von Gegenwartskünstlern im nächsten Stockwerk der neuen Kunsthalle, in dem Friedrich in die Nähe zur Umwelt- und Naturschutzbewegung gerückt wird. Die bei Friedrich wiederkehrenden Motive „Wolken“, „Nebel“ oder „Eis“ werden neuzeitlich umgedeutet in Themen wie Smog oder Erderwärmung. Es klimawandelt jedenfalls gewaltig in den Bild- und Videospielereien dieser Öko-bewegten „Letzten Generation“ von Friedrich-Epigonen.
Das Gute für den Besucher ist, dass er nicht gezwungen ist, sich diesen Ausstellungsteil anzusehen. Wer darauf verzichtet, hat mehr Zeit, sich in Friedrichs Landschaftsuniversen zu vertiefen. Und die Zeit verrinnt bei Friedrich langsam, aber nicht quälend, sondern immer verbunden mit einem Wohlgefühl fürs Dasein.