10.10.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Rund ums kurische Haff

Die Kuren gelten als Preußens wahre Ureinwohner

Einst aus Klimagründen aus der Heimat geflüchtet, kehrten sie zu Beginn des 15. Jahrhunderts aus dem eisigen Norden zurück

Wolfgang Kaufmann
09.09.2024

Die Prußen waren nicht der einzige baltische Volksstamm, der im heutigen Ostpreußen lebte, bevor der Deutsche Orden die Region eroberte. Vielmehr siedelten hier bereits die Kuren, deren Namen sich wahrscheinlich von der indo-europäischen Wurzel „krs“ für „schnell“ oder „beweglich“ ableitet. Sie gelten als die wahren Ureinwohner von Ostpreußen.

Die Vorgänger der Kuren drangen ab etwa 2500 v. Chr. aus der Dnjepr-Region im heutigen Weißrussland kommend an die Ostseeküste vor. Später, etwa in der Zeit zwischen dem 2. und 5. Jahrhundert n. Chr., erlebten die Kuren – und mit ihnen die übrigen Baltenstämme – ihr Goldenes Zeitalter. Zahlreiche archäologischen Belege für eine langandauernde ungestörte Besiedlung beweisen das. Dann aber wurden sie zusammen mit den Prußen im Osten und Süden durch die Expansion der Slawen und von der Ostsee her durch Angriffe der Wikinger und Schweden heftig unter Druck gesetzt. Beide verteidigten ihr Land energisch gegen die Eindringlinge, wobei sie mächtige Spuren hinterließen, indem sie zahlreiche Burgen errichteten.

Ohne Schriftsprache
Schließlich gerieten die Kuren aber im 7. Jahrhundert unter die Herrschaft des schwedischen Königs Ivar Vidfamne aus dem Geschlecht der Sköldungar. So jedenfalls berichten dies die isländische „Egils saga Skallagrímssonar“ sowie der Erzbischof Rimbert von Bremen und Hamburg in seiner „Vita sancti Ansgarii“ aus dem Jahre 867. Letztere stellt zugleich das erste schriftliche Zeugnis über die Kuren überhaupt dar, denn diese kannten keine eigene Schriftsprache. Nach dem Tode von Vidfamnes Enkel Harald Hildetand im späten 8. Jahrhundert wurden die Kuren wieder unabhängig und lieferten sich fortan ständige Scharmützel mit den Wikingern, welche am Ende mindestens drei Stützpunkte am Kurischen Haff errichteten. Ab dem 11. Jahrhundert mutierten die Kuren ihrerseits zu den Wikingern unter den Balten und starteten etliche große Raubzüge gegen Dänemark und Schweden, bei denen sie plünderten und Metallgegenstände wie Kirchenglocken mitnahmen.

Menschenleere Landschaften
Parallel hierzu setzte im 12. Jahrhundert eine Entvölkerung der südkurischen Landschaften an der Ostsee ein, weil deren Bewohner allesamt nach Norden abwanderten, um dem immer feuchter werdenden Klima in ihrer ursprünglichen Heimat zu entfliehen. Deshalb stießen die Ritter des Deutschen und Livländischen Ordens, welche im 13. Jahrhundert von Norden und Süden her anrückten, oftmals in nahezu menschenleere Gebiete vor. Das verrät unter anderem ein Vertrag zwischen dem päpstlichen Legaten in den Ostseeländern, Baudoin d'Aulne, und dem kurischen König Lamekins vom 28. Dezember 1230, in dem von „bebauten“ und „unbebauten Landschaften“ die Rede ist. 1291 wiederum beklagte eine andere Urkunde das fortdauernde Fehlen von nennenswerten zivilisatorischen Fortschritten im Süden der Kurengebiete. Außerdem galt die Region zwischen Preußen und Livland als derart unsicher, dass der zunächst hier herrschende Livländische Orden große Teile des Territoriums der Kuren 1328 desillusioniert an den Deutschen Orden übertrug.

Kein Genozid
Danach änderten sich die Zustände aber ebenfalls nicht, wie die „Ältere Hochmeisterchronik“ von 1372 und eine Wegbeschreibung der Ordensritter vom Dezember 1384 verraten. Insofern ist der Vorwurf an den Deutschen Orden, er habe die Kuren dezimiert beziehungsweise gar ausgerottet, aus der Luft gegriffen. In den entvölkerten und von den Ordensleuten gemiedenen Gebieten konnte nach Lage der Dinge überhaupt kein Genozid stattfinden. Zwischen 1409 und 1481 setzte dann eine starke Rückwanderung der Kuren aus dem Norden in das Memel- und Samland beziehungsweise den Bereich rund um das Kurische Haff ein, welche aus den Klimaveränderungen nach der Zeit des mittelalterlichen Klimaoptimums resultierte. Dabei trafen die Kuren auf ihre alten Nachbarn, die Prußen, sowie deutsche und andere Siedler, welche die fremd wirkenden Neuankömmlinge misstrauisch beäugten, während Ordensbeamte sich beim Hochmeister über den Zustrom der Fremden beschwerten.

Kants Urgroßvater war mit dabei
Ungeachtet dessen wurden die kurischen Rückkehrer unter anderem im Raum Memel, Ragnit, Tilsit, Rossitten und Insterburg ansässig – und der livländische Chronist Paul Einhorn behauptete in seiner „Historia Lettica“ von 1649 sogar, dass manche der kurischen Remigranten bis nach Danzig gelangt seien. Zu den zurückgewanderten Kuren aus dem Norden gehörte wohl auch ein Urgroßvater des Philosophen Immanuel Kant, der von Lettland aus nach Kantwaggen im Memelland übersiedelte.

Ab dem 16. Jahrhundert gab es dann verstärkte Versuche, die weiterhin zäh an ihrem „Heidentum“ festhaltenden Kuren auf unumkehrbare Weise zu christianisieren. Das misslang allerdings, weil diese streng konservative Ethnie auch an ihrer urtümlichen Sprache festhielt, sodass selbst noch zum Ende des 18. Jahrhunderts nur jeder fünfte Kure einem auf Deutsch abgehaltenen Gottesdienst folgen konnte. Letztlich praktizierten die Kuren ihr althergebrachtes Brauchtum bis ins 20. Jahrhundert hinein. Dann aber assimilierten sie sich doch zunehmend und verschwanden durch eine fortschreitende Vermischung mit den übrigen Einwohnern des Memel- und Samlandes als eigenständige Volksgruppe.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS