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Östlich von Oder und Neiße

Die Lausitzer als neue Indianer Polens

Die Lausitz ist mittlerweile Vehikel, mittels slawischer Geschichte Identität zu konstruieren

Till Scholtz-Knobloch
23.09.2025

Nach Jahrzehnten der kommunistischen Zentralisierung erlebte Polen 1999 nicht nur mit den 16 neuen Woiwodschaften viele Rückgriffe auf größere historische Regionen wie Kleinpolen oder Niederschlesien, sondern in etwa zeitgleich in schulischer Heimatkunde sogar die Vermittlung kleinräumigerer historischer Einheiten. So ist westlich des Flüsschens Queis [Kwisa] in polnischen Schulatlanten spätestens seit 1998 – und anders als bezogen auf die politischen Grenzen der heutigen Woiwodschaft Niederschlesien – in anderer Flächenfärbung nun die historische Zugehörigkeit zur Nieder- und der Oberlausitz verzeichnet.

In Lauban [Lubań] wurde 2019 der örtliche Fußballklub von Górnik (Bergarbeiter) in Łużyce (also Lausitz) unbenannt, es gibt in Lauban eine Schrebergartenkolonie Łużyce, seit einigen Jahren die Lausitzer Genossenschaftsbank oder in Sagan [Żagań] seit 2013 das Museum der Schlesisch-Lausitzer Grenzregion [Muzeum Pogranicza Śląsko-Łużyckiego]. Im Herbst 2021 bildete sich gar die Lausitzer Allianz [Łużycki Alians], die in Polen aus slawischer Verbundenheit eine Interessenvertretung für Lausitzer Regionalisierungsbestrebungen installierte. Damit bildet sie faktisch auch einen Puffer, der es unmöglich machen soll, auf deutscher Seite an den Restteil Schlesiens anzuknüpfen. Das findet Unterstützer etwa beim deutschen Lusatia-Verband in der Oberlausitz, dem ein paralleles schlesisches Bekenntnis in der nördlichen Oberlausitz nicht geheuer ist und der auf eine vorrangige Oberlausitzer Identität drängt. Wenn westlich von Schlesien schon in Polen nur die Oberlausitz liegt, gibt es für Schlesien damit in Deutschland quasi erst recht keine Existenzberechtigung mehr.

In der Praxis verstehen manche deutsche Partner die aus Polen stammende slawisierende Umdeutung oft nicht recht. Ein Beispiel: Obwohl Welkersdorf [Rzasiny] bereits hinter dem Queis [Kwisa] – also bereits außerhalb der Oberlausitz – liegt, wurde dort vor 20 Jahren in slawischer Verbundenheit ein Bogen zur Oberlausitz geschlagen. Die Grundschule des polnischen 570-Seelen-Dorfes trägt seit 2005 den Namen des 2011 durch Benedikt XVI. selig gesprochenen Alois Andritzki. Der wurde 1914 in Radibor bei Bautzen, im heute deutschen Teil der Oberlausitz, geboren und 1943 im KZ Dachau ermordet. Der sorbisch-katholische Priester gilt als Märtyrer im Bistum Meißen.

Zur feierlichen Namensgebung der Grundschule von Welkersdorf fand damals ein Treffen der Einwohner mit Ex-Welkersdorfern an der Burgruine Talkenstein [Zamek Podskale] statt – verbunden mit einem deutsch-polnischen Gottesdienst. Diese Verbundenheit fand 2012 in der Bildgestaltung am Schulhaus noch eine Fortsetzung. Zum ersten Jahrestag der Seligsprechung im Juni 2012 ließ die Schule ein Porträt Alois Andritzkis anfertigen. Das Gemälde wurde bewusst so gestaltet, dass es im marianischen Andritzki-Gedenkraum in der Pfarrkirche von Radibor einen zentralen Platz erhielt – und motivierte zugleich die Partnerschaft zwischen der Schule in Welkersdorf und der sorbischen Gemeinschaft in Radibor. Faktisch hat Welkersdorf so jedoch im Fehlen eines passenden slawischen Bezugs einen anderen slawischen Bezug herbeigezaubert. Die Bezugnahme auf Andritzki mag vielen alten Welkersdorfern und erst recht den Sorben in der deutschen Nachbarschaft schmeicheln, doch faktisch hätte auch jeder Indianer oder Eskimo einen gleichen Umfang an echter historischer Verbundenheit mit Welkersdorf dokumentieren können. Ein solcher fehlt also, wenn man von allgemeinen Bezügen innerhalb benachbarter Regionen einmal absieht.

Für das wirtschaftsschwache polnische Randgebiet zwischen Lausitzer Neiße und Queis indes erfüllt die Aufwertung auch eine andere Rolle. Mit der Begründung einer vom übrigen Niederschlesien unabhängigen Identität öffnen sich neue Fördertöpfe und die Hebung eines engermaschigen regionalen Selbstbewusstseins. Und so ist bei der verbogenen Identitätssuche zumindest positiv festzuhalten, dass der Lausitzhype auch eine Ausdrucksform ist, dem traditionellen Zentralismus etwas entgegenzusetzen und eine dauerhafte Verbundenheit der Einwohner mit ihrem Lebensumfeld zu schaffen.


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