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Über den Volkssport „Israelkritik“ – und warum das Wort vom Antisemitismus irreführend ist
In dieser Woche, in der sich das Hamas-Massaker an 1200 Juden vom 7. Oktober 2023 zum zweiten Mal jährte, hat sich wieder einmal gezeigt: Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise gut 80 Millionen Nahostexperten, die, wenn es nach ihnen ginge, den schier endlosen, heillos tragischen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern längst geregelt hätten. Die beliebteste Zauberformel heißt „Zwei-Staaten-Lösung“. Sie klingt so plausibel wie die Fußballregel, nach der das Spielfeld in zwei genau gleich große Hälften aufgeteilt ist, der Schiedsrichter eine Trillerpfeife um den Hals trägt und nach 90 Minuten (plus Verlängerung oder Elfmeterschießen) Schluss ist.
Unter den Nahostexperten sind viele, die nebenberuflich oder hauptberuflich einer Tätigkeit nachgehen, die als „Israelkritik“ notorisch geworden ist. Zu diesem Beruf braucht man, anders als bei Literatur- oder Theaterkritik, allerdings keinerlei Ausbildung. Viel Gefühl und eine starke Meinung genügen.
Israelkritik gibt es, seit Israel im Mai 1948 gegründet wurde. Sie hat alle Krisen und Kriege überstanden, alle verpassten Friedenschancen (etwa das Camp-David-Abkommen oder der Oslo-Friedensprozess), alle palästinensischen „Intifadas“ samt hundertfachen Selbstmordanschlägen sowie alle Appelle an „beide Seiten“, dem Frieden endlich eine Chance zu geben.
Die Israelkritik hat auch das mörderische Pogrom vor zwei Jahren unbeschadet überstanden – nach einem ganz kurzen Innehalten, begleitet von Relativierung, Beschönigung oder gar Leugnung des größten Massenmords an Juden seit dem Holocaust. Danach ging es schon wieder weiter, und nur wenige Zeitgenossen fragten sich, was zur gleichen Zeit eigentlich mit der Kubakritik, der Irankritik (1000 Hinrichtungen bislang in diesem Jahr), der Nordkorea- und Venezuelakritik passiert sei, vom exotischen Metier der Chinakritik zu schweigen. Nicht einmal das Lieblingsfach zahlreicher Erdbewohner – die Trumpkritik – ist derart sprichwörtlich zur normativen Selbstverständlichkeit geworden.
Inzwischen hat die Israelkritik in weiten Teilen Europas und der Welt eine neue Dimension erreicht. Der Krieg gegen die Hamas in Gaza, der zehntausende Opfer gefordert hat, darunter ungezählte Kämpfer der Hamas, und flächendeckende Zerstörungen hinterließ, hat die Lage gleichsam auf den Kopf gestellt. Israel ist nicht mehr das Opfer, sondern der Täter, dem Völkermord vorgeworfen wird. Dass die Hamas mit Milliarden Euro westlicher Entwicklungshilfe den gesamten Gaza-Streifen untertunnelt und zu einer einzigen Kampfzone gemacht hat, in der die Bevölkerung zur beliebig einsetzbaren Verfügungsmasse geworden ist, wird verschwiegen.
Rückkehr der Boykottaufrufe
Sogar etliche EU-Staaten fordern inzwischen einen weitgehenden Abbruch der Beziehungen zu Israel. Auch bei Sport- und Musikveranstaltungen soll die einzige Demokratie im Nahen Osten ausgeschlossen werden.
Selbst in Deutschland, wo Antisemitismus seit Mai 1945 offiziell „keinen Platz mehr hat“, werden jüdische Einrichtungen angegriffen – von Synagogen und Kultureinrichtungen bis zu Gaststätten wie dem „Bajzel“ in Berlin-Neukölln. Auf Plakaten wurde letzte Woche den drei Betreibern der kleinen Kneipe die „Unterstützung für den Kolonialstaat Israel“ vorgeworfen. Explizite Drohungen an die namentlich Genannten folgten: „Wer sich während eines Völkermordes auf die Seite der Täter stellt, sollte sich nirgendwo sicher fühlen“, heißt es. Und: „Wir wollen, dass diese drei für immer schweigen und als Warnung für alle Zionisten in Berlin und Neukölln gelten können.“ Eine klare Morddrohung in der Tradition von SA und SS. Unterdessen wurden drei Hamas-Sympathisanten beim Waffenaustausch festgenommen, die Anschläge in Berlin planten. So geht das Tag für Tag.
Selbst linke und liberale Juden, die mit der auch in Israel scharf kritisierten Regierung Netanjahu absolut nichts zu tun haben, werden kollektiv in Mithaftung genommen. Das Tragen der Kippa in Teilen Berlins, vor allem im arabisch dominierten Neu-Gaza rund um die Sonnenallee, kommt einem Selbstmordversuch gleich. Doch auch harmlosere Alltagsverrichtungen wie das Bestellen eines Taxis können zur Mutprobe werden. Deshalb steigt man häufiger mal eine Ecke von der eigenen Wohnung entfernt ein. Der Satz „Ich weiß, wo Du wohnst!“ wurde ja schon dem Ex-Tagesschau-Sprecher und Israel-Freund Constantin Schreiber entgegengeschleudert.
Angesichts des neuen antijüdischen Furors nehmen sich die unzähligen Antisemitismusbeauftragten wie Überbleibsel einer vergangenen Zeit aus. Und während jede Synagoge und jede jüdisch-israelische Einrichtung mit Pollern und Polizei geschützt werden muss, sieht man vor den zahlreichen Moscheen in der Regel keinerlei Schutzvorkehrungen. Warum? Weil sie nicht nötig sind.
Vor allem an den Universitäten haben sich Linksradikale und Islamisten verbündet. Sie eint der Hass auf Israel, Amerika und den Westen insgesamt. Er mündet in einen neuen, bedrohlich anschwellenden Antisemitismus, der im moralischen Gewand des Völkerrechts und der Menschenrechte daherkommt, die ihnen andernorts völlig egal sind. Dass im Sudan gerade ein Massenmord von Muslimen an Muslimen stattfindet, ist kein Thema. Warum? Weil Israel damit nichts zu tun hat.
Derweil ist das Palästinensertuch, die „Kufiya“, zum neuen „radical chic“ geworden. Schon die Terroristen der „Bewegung 2. Juni“ und der „Rote Armee Fraktion“ hatten sich 1969/70 das emblematische Tuch übergeworfen, als sie ihre Schießübungen in einem palästinensischen Ausbildungslager absolvierten. Jassir Arafat schaute damals vorbei.
Heute werden in der „Regenbogen-Community“ sogar jene „Queers for Palestine“ gefeiert, die in Gaza „keine halbe Stunde überleben“ würden, wie die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller der „Welt am Sonntag“ sagte. Schon auf einem Schiff der „Flotilla“ nach Gaza mit der propalästinensischen Leichtmatrosin Greta Thunberg wurden die wenigen „queeren“ – also schwulen, lesbischen oder sonstwie non-binären – Mitreisenden ausgesondert, weil sie „unislamisch“ seien und Palästina beschmutzen würden.
Schon deshalb ist das Wort vom Judenhass deutlich angemessener als die mehr und mehr zur Phrase gewordene Rede vom „Antisemitismus“ als jahrhundertealtes Ressentiment. Was wir jetzt erleben, ist eine Art Coming-out. Alles muss raus, was man in Sachen Israel schon immer loswerden wollte, auch im woken, queeren, links-rot-grün-feministischen Kulturbetrieb, wo man die Stimmen für Israel an einer Hand zählen kann. Die übergroße Mehrheit dort „leidet mit den Menschen in Gaza“ und redet vom „Genozid“, als gehe es um ein rhetorisches Accessoire für den Smalltalk am Büffet nach der Fernsehpreis-Gala.
Zuweilen drängt sich ein Gedanke auf: Was wohl bloß wäre, wenn es diesen kleinen, renitenten, aber militärisch so starken jüdischen Staat nicht gäbe. Kehrten dann endlich Ruhe und Frieden ein und die arabische Welt würde zum Paradies auf Erden? Wohl kaum.