10.10.2024

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Polizisten kontrollieren auf dem Rastplatz „Am Heideholz“ nahe der deutsch-tschechischen Grenze einen Pkw
Foto: picture alliance/dpa | Sebastian KahnertPolizisten kontrollieren auf dem Rastplatz „Am Heideholz“ nahe der deutsch-tschechischen Grenze einen Pkw

Asylproblematik

Die neue Zeit der Schlagbäume

Das Zurück zu echten Grenzkontrollen lenkt den Blick auf das fragile EU-System

Sverre Gutschmidt
20.09.2024

Die Union und die regierende Ampel reden aktuell sehr viel über Asyl und Grenzkontrollen. Die Regierungsparteien, allen voran die Grünen, lehnen jedoch Zurückweisungen an der deutschen Grenze weiterhin ab. Wenn ein Einreisender „Asyl“ sagt, bleibt seit Montag daher alles beim Alten. Daran haben auch die von Innenministerin Nancy Faeser angeordneten Kontrollen an allen deutschen Bundesgrenzen nichts geändert. Angemeldet hat sie diese bei der EU für sechs Monate – wenngleich zwei Jahre nach gültigem EU-Recht möglich wären.

Anders als im jüngsten CDU-Vorschlag einer dreimonatigen Kontrolle mit Zurückweisungen wird nur stichprobenartig kontrolliert. Nur strafrechtlich Gesuchte bleiben außen vor. Das Gros der Zuwanderer wird also auch weiter einreisen – und somit in Deutschland bleiben. Da echte Zugangskontrollen zum Rechtsraum der EU-Länder nicht zu erwarten sind, können Deutschlands Nachbarn gleichsam aufatmen. Doch die Grundsatzfrage steht im Raum: Ist die Umverteilung endgültig gescheitert, und kommen daher wieder nationale Kontrollen an allen EU-Binnengrenzen?

Kein Willen zur Rücknahme
Polen nannte mögliche deutsche Kontrollen noch während der Gespräche „inakzeptabel“, so Regierungschef Donald Tusk. Besser solle sich seiner Ansicht nach Deutschland stärker im Schutz der EU-Außengrenzen – also auch der polnischen Grenze zu Weißrussland – engagieren. Tusk drohte sogar mit „Konsultationen“ in der EU. Andere, von Deutschlands angedachten Grenzkontrollen betroffene Staaten, sollten sich absprechen, so Tusk.

Die Schweiz lässt ihre Polizisten alle Asylsucher bisher gleich direkt nach Deutschland durchwinken. So jedenfalls sind die Erfahrungen deutscher Ordnungskräfte. Auch wenn Deutschland von sogenannten „Drittstaaten“ umzingelt ist, in denen nach EU-Recht zuerst Asyl zu beantragen wäre, gelangen diese Menschen nach Deutschland und halten hier Sozialsystem und Behörden in Atem.

Nationale deutsche Grenzkontrollen könnten somit den für die EU fast seligen Zustand beenden. Doch Gegenkontrollen sind keine Lösung, selbst wenn das Schengen-Abkommen der EU befristete Freiräume bietet. Schon heute lässt sich nicht begründen, warum Zuwanderer, die zum Beispiel in Frankreich Asyl hätten beantragen sollen, nicht von Deutschland wieder dorthin rücküberstellt werden dürfen.

Ausnahmen als Regel
Genau damit droht Österreich im Fall noch wirksamerer deutscher Kontrolle. Die Polizei des Alpenlandes solle einfach „keine Übernahmen von an der deutschen Grenze Abgewiesenen durchführen“, lässt Wien verlautbaren. Die Niederlande hingegen äußern zwar Verständnis, wollen aber ebenso aus Deutschland Abgewiesene nicht wieder zurückhaben.

Bleiben künftig Menschen im Grenzraum hängen? Das ist zu befürchten. Denn die politisch – insbesondere von Deutschland – oft beschworene gerechte Verteilung der Zuwanderer über Europa kommt gar nicht erst zustande. Bereits acht EU-Staaten führen Grenzkontrollen an ihren EU-Binnengrenzen durch. Der Schengener Grenzkodex von 2006 schreibt die erlaubten Ausnahmen für „Binnenkontrollen“ der EU-Nationen als „schwerwiegende Bedrohung ihrer öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ fest. Das muss angemeldet, aber nicht von der EU genehmigt werden. Experten bestätigen, dass es bereits hunderte Ausnahmen gab. Bisherige Begründungen wie „Schmuggel“ oder „hoher Migrationsdruck“ werden künftig öfter in Brüssel zu hören sein, wenn EU-Staaten den Zugang zu ihren Territorien wieder regelmäßig überwachen. Einzelpersonen bleibt nur der Klageweg dagegen – bisher ohne Grundsatzurteil.

Bayern als eventuelles Vorbild
Ein Austritt aus dem Schengenraum stellt keine Lösung aus Sicht der Nachbarn dar, weil die Folgen für den Waren- und Dienstleistungsaustausch kaum kalkulierbar wären. Der Brexit zeigt es mit seither langen Zollverzögerungen. Überhaupt gelten bei Zollfragen auch bei EU-Binnenkontrollen weitergehende Befugnisse für die Nationen, weshalb sich hier neue Vorbilder auftun. Daraus ergeben sich logistische Probleme. Wohin mit den Waren? Wie die Wartezeiten durch digitale Technik und große Abfertigungsbereiche verkürzen? Technisch ist das möglich, braucht aber Vorlauf, wie der Brexit zeigt. Schengen gar nicht anzugehören bleibt letzte Wahl – Zypern und Irland als reale Fälle haben eine innere Grenze zu Nordzypern und Nordirland, die das erfordert. Bayerns gesonderte Grenzpolizei, trotz Schengen 2018 wiedereingeführt und mit dem Festhalten gesuchter Straftäter im Grenzraum beschäftigt, könnte hier ein Vorbild werden.

Aber auch die unregistrierte Weiterleitung von Zuwanderern könnte als Ventil noch mehr Bedeutung erlangen. Italien und Griechenland halten sich so Zuwanderer mit Ziel Deutschland gleich ganz vom Leib. Denn wer diese Länder offiziell nicht durchquert, kann nicht aufgefordert werden, dort Asyl zu beantragen. Drohende Folge auch hier: Das eigentlich erklärte EU-Ziel, Zuwanderern ein rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren, wird zur Farce. Menschen werden im Abschiebe-Ping-Pong zwischen EU-Staaten oder in Grenzräumen stranden, so wie schon am Ärmelkanal. Lager werden entstehen. In Österreich wird ein „Domino-Effekt“ befürchtet, sollten deutsche Kontrollen tatsächlich wirken, was einer Bestätigung gleichkäme, dass nationale Kontrollen eben doch sein müssen.


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