Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Die Wahl gewonnen – und den Koalitionspoker verloren? So zumindest werten zahlreiche Beobachter das Agieren der Union und ihres Kanzlerkandidaten in den letzten Wochen. Tatsächlich sind die Spielräume für den versprochenen Politikwechsel gering
Nur wenige Tage sind es bis zur Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Ein Traum für ihn ganz persönlich – doch die Last der Hoffnungen und Befürchtungen aller anderen ist jetzt schon spürbar. In seiner eigenen Partei rumort es, die Unzufriedenheit ist mit Händen zu greifen. Wurde Merz über Jahre und bis zuletzt noch von Linken und Grünen als „Mann von gestern“ beschimpft, als reaktionärer Privatflieger und neoliberaler Hard-liner, schließlich als Steigbügelhalter eines neuen Faschismus, so kommt nun die Kritik von rechts: Er sei bei den Koalitionsverhandlungen gegenüber der SPD eingeknickt und nun de facto Teil des „Linkskartells“ geworden, ein Gefangener von Rot-Grün diesseits der ominösen „Brandmauer“ zur AfD.
Auch in der Medienberichterstattung dominieren große Skepsis, scharfe Kritik und düstere Prophezeiungen. Ständig ist von „alarmierenden Schockumfragen“ für CDU und CSU die Rede – „Schwarz-Rot“ habe keine Mehrheit bei den Wählern mehr – und vom angekündigten „Politikwechsel“ und dem definitiven Ende der rot-grünen Zeitgeist-Herrschaft sei nicht mehr viel übriggeblieben. Manche Kritiker sehen Deutschland schon endgültig auf dem absteigenden Ast: „Noch einmal vier Jahre Niedergang und Verarmung“ prophezeit etwa der Blogger Don Alphonso. Für ihn ist Friedrich Merz nur noch „Long Merkel“, die Verlängerung des endemischen deutschen Elends.
Die Skepsis ist groß allerorten
„Wäre Merz tatsächlich ein Mann mit konservativen Prinzipien, hätte er sich nur auf das Wahlergebnis zu stützen brauchen“, meint ein anderer Kommentator. „Eine recht deutliche Mehrheit hat für eine Politik des gesunden Menschenverstandes gestimmt. Auf dieser Grundlage hätte man ein Kabinett mit Fachleuten zusammensetzen können. Ein Expertenkabinett würde dann unter der Richtlinienkompetenz des künftigen Kanzlers dazu beauftragt werden, den Wählerwillen sachkundig umzusetzen.“ Die Frage, mit welcher Mehrheit im Bundestag ein Bundeskanzler Merz gewählt werden würde, stellt sich der Kritiker erst gar nicht, weil die Antwort für ihn auf der Hand liegt: mit den Stimmen der AfD.
Auch der Publizist Boris Reitschuster, von 1999 bis 2015 Leiter des Moskauer Büros von „Focus“, glaubt: „Nur eine Wiedergeburt kann Deutschland noch helfen – nachdem CDU-Chef Friedrich Merz die bürgerlichen Kräfte in diesem Land endgültig verraten hat für seinen Lebenstraum vom Kanzleramt und sich aus lauter Machtgier zum Bettvorleger von rot-grün umdekorieren ließ. Er wollte die Ampel stellen – und wurde selbst zur Fußmatte. Was da an Prinzipien mit Füßen getreten wurde, spottet jeder Beschreibung. Widerstand gegen den rot-grünen Zeitgeist? Fehlanzeige. Einzige Priorität: Irgendwie mitregieren dürfen. Das bürgerliche Lager liegt im Grab.“
All diese endgültigen Urteile werden gefällt, bevor die neue Regierung überhaupt ins Amt gekommen ist. Von der traditionellen 100-Tage-Schonfrist redet in Zeiten der aufgeregten 24-Stunden-Rundumberichterstattung sowieso niemand mehr. Bei aller berechtigten Kritik: Ein bisschen typisch deutsche Hysterie und Untergangsseligkeit ist schon dabei. „Ohne Krise macht das ganze Leben kein Vergnügen. Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen. Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal.“ Das schrieb der konservative Schriftsteller und Literaturkritiker Friedrich Sieburg im Jahr 1956, als die Atomwaffen im „Kalten Krieg“ im Zentrum der Ängste standen. Trotzdem ging es danach steil aufwärts mit der westdeutschen Bundesrepublik – allen Krisen zum Trotz.
Worauf es nun ankommt
Aber natürlich gibt es jenseits aller Übertreibungen und Gefühlsaufwallungen und bei allem notwendigen Verständnis für unausweichliche Kompromisse in der parlamentarischen Demokratie ein grundsätzliches Problem: Was ist im Jahr 2025 eigentlich noch konservativ oder liberal-konservativ? Worin besteht der kategoriale ideologische Unterschied zu SPD und Grünen, von der Linkspartei zu schweigen, die jetzt sogar die Hausaufgaben für Schüler abschaffen will, weil sie angeblich die soziale Ungerechtigkeit verschärfen? Wer nicht selbst darauf kommt: Gebildete Eltern können ihren Kindern mehr helfen als ungebildete: Wissen und Bildung als Feinde der Gleichheit.
Wo also liegt der harte, gleichsam unverhandelbare Kern von Überzeugungen bei den christlichen Demokraten, der keinesfalls preisgegeben, gar „verraten“ werden darf? Was ist heute die kulturelle Identität der Partei Adenauers und Kohls? Ehe und Familie, die soziale Marktwirtschaft, der Glaube an die unveräußerliche Freiheit des Individuums jenseits aller staatlichen Macht und kollektivistischer Organisationen? Westbindung, NATO und westliche Wertegemeinschaft mit Amerika? Das christliche Menschenbild?
Schwer zu sagen, denn das meiste würde inzwischen auch die SPD unterschreiben, freilich sozialdemokratisch eingefärbt und mit viel Gerechtigkeits- und Gleichheitsfloskeln angereichert.
Womit die SPD am meisten hadert, das ist allerdings das Allerwichtigste: eine Renaissance der Marktwirtschaft jenseits des planwirtschaftlichen Staatsdirigismus, die Durchforstung des irrsinnigen Bürokratiedschungels, eine große Bildungsoffensive von der Grundschule bis zur qualifizierten Berufsausbildung, dazu die massive Verringerung der illegalen Migration, Stärkung der Kriminalitätsbekämpfung und eine effektive Reform des Sozialstaats – mehr Geld, vor allem Investitionen, für Menschen, die arbeiten, und weniger Transferleistungen für die, die nicht arbeiten, obwohl sie es könnten. Das wäre genau jener „Politikwechsel“, den der künftige Kanzler im Wahlkampf annonciert hat – „versprochen“ klingt ein bisschen zu sehr nach Mama und Papa, die ihren Kleinen ein Spaghetti-Eis versprochen haben, das es dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht gibt. Ein kleiner Weltuntergang.
Aufgeben oder Lösungen suchen?
Politisch formuliert: Es gibt einen großen Konsens über die Notwendigkeit dieses Politikwechsels in der Gesellschaft, aber keine parlamentarische Mehrheit für einen Politikwechsel im Sinne der Union. Absurd, aber offensichtlich: SPD, Grüne und Linkspartei verfügen über ein gutes Drittel der Wählerstimmen, die AfD über ein weiteres Fünftel. Mit ihren 28,5 Prozent befinden sich CDU und CSU also in einer klaren, ziemlich isolierten Minderheitenposition, während FDP und BSW außen vor bleiben. Was also tun?
Resignieren? Neuwahlen? Heim ins Sauerland? Oder doch lieber Kompromisse machen bis zur Kompromittierung jeder eigenständigen Position, so wie es Angela Merkel über viele Jahre betrieben hat? Zur Ironie der Geschichte gehört ja, dass es gerade der explizite Merkel-Antipode Friedrich Merz war, der die CDU programmatisch wieder auf einen liberal-konservativen Kurs gebracht hat, soweit das überhaupt noch möglich war.
Dass er nun durch die Koalition mit der waidwund geschossenen Esken-SPD wieder in die andere Richtung gedrängt wird und etwa das unsinnige Gaga-Ziel einer gleichsam autochthonen deutschen „Klimaneutralität“ anno 2045 sogar ins Grundgesetz geschrieben wurde, hat einen fatalen Vertrauensverlust der Politik insgesamt zur Folge. So könnte die vielfach annoncierte „Migrationswende“, die Zurückweisung illegaler Migranten, kurzfristig zu dem Lackmustest der neuen Regierung werden: Hop oder top. Die Wette gilt.
Doch zur Erinnerung: Die „geistig-moralische Wende“, die der frisch gewählte Bundeskanzler Helmut Kohl im Herbst 1982 ankündigte, fand nie statt. Im Gegenteil: Anstelle einer Rückbesinnung auf konservative Werte waren die achtziger Jahre geprägt von Protesten gegen die NATO-Nachrüstung und den „No Future!“-Parolen der schrillen Punk-Kultur. Die „Grünen“, ein Kind der linken Alternativbewegung, wurden gegründet, während die „Neue Deutsche Welle“ in der Popmusik den Hedonismus feierte: „99 Luftballons“, „Da da da“, „Ich will Spaß!“ Arbeitsmoral, Pünktlichkeit und Disziplin, die Sekundärtugenden der Wiederaufbaujahre, hatten einen ganz anderen Klang.
Eine Art Kulturkampf mit einer endemischen Zeitgeistmischung
Aber so ist das: Der Zeitgeist weht, wo er will. Er lässt sich nicht von Staats wegen steuern. Die Regierungspolitik hat allerdings großen Einfluss auf die Gesellschaft, und hier ragt Angela Merkels Migrationspolitik anno 2015 und folgende einsam heraus wie kaum eine andere Entscheidung der letzten Jahrzehnte. Die politische Mitte schrumpft und schrumpft seitdem unaufhörlich, während die AfD immer neue Höhenflüge erlebt, ohne dafür irgendetwas tun zu müssen.
Friedrich Merz wird zu einem historischen Zeitpunkt zum Bundeskanzler gewählt, da der klassische Sozialismus und Kommunismus schon lange nicht mehr die ideologischen Antipoden des Konservativismus sind, was lange die Gewissheit schuf, auf der anderen, der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Heute geht es nicht zuletzt um eine Art Kulturkampf, in deren Mittelpunkt die endemische Zeitgeistmischung aus Wokeness und jenem linken Moralismus besteht, der schon reflexhaft wütend reagiert, wenn die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner es wagt, die Kirchen für ihre politischen Äußerungen zu kritisieren, die sich kaum von denen der Grünen unterscheiden.
Millionen von Kirchenaustritten haben nichts daran geändert, dass die evangelische und die katholische Kirche weithin die Funktion einer NGO übernommen haben, die von „Tempo 30“ bis zur Aufnahme von Migranten alles im Programm hat, was auch die Deutsche Umwelthilfe, die Amadeu Antonio Stiftung und „Pro Asyl“ anbieten.
An dieser Front wird sich – neben den drängenden Wirtschafts- und Sozialstaatsfragen – entscheiden, ob die CDU-geführte Bundesregierung wirklich so etwas wie eine politische Wende schafft, weg von der Gesinnungsethik, hin zu einer Verantwortungsethik im Sinne Max Webers, die pragmatische Lösungen der Probleme anstrebt, statt der Idee hinterherzujagen, von Deutschland müsse wieder einmal die Rettung der Welt ausgehen.
Am Ende dürften nicht einmal so sehr grundsätzliche Überzeugungen den Ausschlag geben, die man nicht nur bei Friedrich Merz, sondern auch bei seinen engsten Mitarbeitern wie Carsten Linnemann und Thorsten Frei durchaus unterstellen darf, sondern der Mut, auch bei starkem ideologischen Gegenwind der rot-grünen Zeitgeisttruppen Kurs zu halten.
Sollte das nicht gelingen, dann hat sich die bürgerlich-liberale Mitte endgültig selbst erledigt.
Reinhard Mohr ist freier Autor und schreibt unter anderem für „Die Welt“ und die „Neue Zürcher Zeitung“. Soeben erschien die Fortsetzung seines mit Henryk M. Broder geschriebenen Bestsellers „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ (2023) unter dem Titel „Good Morning Germanistan! Wird jetzt alles besser?“ (beide Europa Verlag). www.europa-verlag.com
Ulrich Bohl am 30.04.25, 09:23 Uhr
Von F. Merz erwarte ich nicht viel positives für unser
Land. Zu groß ist die Entäuschung über ihn. Bei jeder
Kritik an Aussagen sofort der Rückzieher. Die Schulden-
bremse galt als unantastbar. Dann die völlige Umkehr mit einem Sondervermögen. Jeder im Land der Schulden hat ist plötzlich reich, denn er kann seine Schulden auch als
Sondervermögen bezeichnen. Zu oft hat Merz schon
seine Aussagen revidiert um von ihm entäuscht zu sein.
Er kennt nur ein Ziel Bundeskanzler alles andere ist
Nebensache. Einen Eid sollte er zur Ernennung besser
nicht ablegen, denn es wird bestimmt ein Meineid. Dem
Autor meinen Dank für diesen Beitrag, Es lohnt die PAZ
zu lesen.
Gregor Huber am 30.04.25, 09:10 Uhr
Netter Beitrag, der aber die Realität in diesem Land noch deutlich zu schön zeichnet. Tatsache ist, dass dieses Land mindestens seit 2011 öko-totalitär regiert wird, die Standortbedingungen für die Industrie massiv verschlechtert, eine allen physikalischen Fakten widersprechende Energiepolitik betreibt, den Steuern und Abgaben bezahlenden Betrieben und Bürgern in Billionenhöhe das Geld aus der Tasche zieht, eine verheerende Bildungspolitik betreibt, eine verheerende Familienpolitik betreibt, eine verheerende Migrations- und Asylpolitik betreibt, sich mit dem Abbau der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit, mit der dem Grundgesetz völlig widersprechenden Kriegsgeheul auf einem Weg befindet, von dem es keine Wiederkehr mehr gibt. Selbst wenn es irgendjemand wollte in diesem Altparteienblock, er wird nie eine Mehrheit für die notwendigen massiven Umsteuerungsmaßnahmen finden.
Ein Blick in den Koalitionsvertrag bestätigt nicht nur das "Weiter so" in die woke Deindustrialisierung und das migrationspolitische Chaos. Schlimmer noch: Die Zertrümmerung der höchsten Werte in einer freiheitlichen Demokratie steht auf dem im Koalitionsvertrag. Digitale Identität plus digitale Krankenakte+Verlust an Bargeld zugunsten verpflichtenden digitalen Geldes+digitale Vermögensregister + .... = digitale Dystopie. Das sind die wirklichen Themen. Bemerkenswert, dass diese drohende epochale Zeitenwende weg vom freien Bürger hin zum digitalen Untertan so wenig thematisiert wird.