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Ihre religiöse Erweckung machte die erfolgreiche Schriftstellerin zur Politikberaterin. Vor 200 Jahren starb die Baltendeutsche
Wenn die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sich für eine „wertegeleitete Außenpolitik“ und eine „regelbasierte Weltordnung“ stark macht, ist sie nicht die erste Frau, die dies tut. Mehr als zwei Jahrhunderte zuvor hat das bereits Juliane von Krüdener getan. Hiervon zeugt nicht zuletzt die Heilige Allianz, das wohl bekannteste Ergebnis des außenpolitischen Wirkens dieser vor 200 Jahren verstorbenen Pietistin und Schriftstellerin aus deutsch-baltischem Adel.
Die Baltendeutsche kam am 22. November 1764 als Beate Barbara Juliane von Vietinghoff genannt Scheel in Riga zur Welt. Sie wurde mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren. Ihr Vater war einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Gutsbesitzer in Livland. Früh ging sie mit ihren Eltern auf Reisen, eine Vorliebe, die sie auch später beibehielt. Sie genoss eine gute Erziehung und Bildung. Dazu kam Talent. Sie beherrschte diverse Sprachen, darunter Französisch perfekt.
Keine 18 Jahre alt, heiratete sie den ebenfalls deutsch-baltischen, fast zwei Jahrzehnte älteren Diplomaten Burckhard Alexius Constantin von Krüdener. 1791 trennten die beiden sich, und 1802 starb er. Spätestens nun war sie frei, und sie nutzte ihre Freiheit. Sie verkehrte mit Geistesgrößen ihrer Zeit und ließ sich in Europas kultureller Metropole Paris nieder. Dort verfasste sie in französischer Sprache ihr 1803 erschienenes Erstlingswerk „Valérie“, eine Art weiblicher „Werther“ mit vergleichbarem Erfolg. Weitere Werke aus ihrer Feder folgten.
1804 erfolgte ein Schnitt. Auf ihrem livländischen Gut Kosse erlebte sie eine religiöse Erweckung. Aus der erfolgreichen Schriftstellerin von Welt wurde eine Pietistin mit Sendungsbewusstsein. Sie fühlte sich berufen, durch Einflussnahme auf die Herrschenden ihrer Zeit politisch zu wirken. Nachdem sie 1806 bereits in Königsberg der preußischen Königin Luise begegnet war, traf sie 1815 schließlich in Heilbronn den wohl mächtigsten Mann dieser Zeit, den russischen Zaren Alexander I. Der idealistische, aber auch labile und wankelmütige Befreier Europas von Napoleon war damals insbesondere im liberalen Lager ein Hoffnungsträger. Bestärkt von Juliane von Krüdener fühlte er sich berufen, auf eine auf christlichen Idealen wie der Nächstenliebe beruhende europäische Friedensordnung hinzuwirken. Dem sollte nicht zuletzt die Heilige Allianz dienen.
Allerdings gelangte wie Europa auch die Heilige Allianz unter den Einfluss des zynischen Machtpolitikers und österreichischen Staatskanzlers Fürst Clemens von Metternich. Unter dessen Einfluss wurde das nachnapoleonische Europa statt zu einem Hort der Freiheit zu einem der Restauration und die Heilige Allianz zu einem weltanschaulich entkernten Bündnis der Herrscher zur Wahrung des Status quo.
Auch Krüdener wurde mit ihrem missionarischen Eifer ein Opfer der Ruhe und Ordnung erstrebenden und jede Form von „Subversion“ durch „Demagogen“ bekämpfenden Restauration, die schon bald der Befreiung Europas von Napoleon folgte. Nicht nur im Ausland, selbst in ihrem Geburtsstaat wurde sie verfolgt. Gegenüber dessen Gesandten warf ihr Metternich vor, „Besitzlose gegen die Besitzenden aufzuwiegeln“. Wegen ihrer religiös-sozialen und überkonfessionellen Bestrebungen wurde die Pietistin auch von der Kirchenführung Russlands angefeindet. Den Zaren verlor sie als Fürsprecher. Der entwickelte sich von einem Liberalen zu einem Reaktionär und schenkte sein Ohr nun anderen vom Schlage Metternichs.
Ein Großteil ihres Vermögens ging für religiös-soziale Projekte drauf. Zu Letzteren gehörte auch die Ansiedlung von aus religiösen Gründen aus Südwestdeutschland Vertriebenen auf der Krim. Auf sie zurück geht die Gründung ländlicher „Lebensgemeinschaften von Erweckten“ und einer „christliche Besserungsanstalt“ für Straffällige auf der Halbinsel. Um sich ein Bild zu machen, wie sich die Projekte entwickelt hatten, unternahm sie eine Reise dorthin. Von dieser Reise kam sie nicht wieder zurück. Plötzlich und unvermittelt verschied sie am ersten Weihnachtstag des Jahres 1824.