Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Ein Vierteiler und Klassiker Ostpreußens, der bereits vier Mal verfilmt wurde – aber fast nie an den Originalschauplätzen
Der aus Matzicken im ostpreußischen Regierungsbezirk Gumbinnen stammende Bestsellerautor Hermann Sudermann veröffentlichte 1917 vier naturalistische Erzählungen unter dem Gesamttitel „Litauische Geschichten“, deren Handlungen allesamt im ländlichen Milieu der Peripherie von Ostpreußen spielen. Der erste Teil dieses Vierteilers trug den Titel „Die Reise nach Tilsit“ und erlangte bemerkenswerte Popularität.
Daher wurde der Stoff auch insgesamt vier Mal verfilmt, nämlich 1927 in Hollywood, 1939 im Dritten Reich, 1969 in der Bundesrepublik und 1981 in der Sowjetunion. Darüber hinaus entstanden in den Jahren 1950, 1957 und 1974 noch drei Hörspielfassungen des NWDR Hamburg, des Senders Freies Berlin sowie des ORF Wien. Allerdings fanden die Dreharbeiten für die Spielfilme zumeist leider nicht an den Schauplätzen der Romanhandlung statt – die einzige Ausnahme hiervon war die Majestic-Film-Produktion aus dem Jahre 1939.
Unter der Leitung des Star-Regisseurs Veit Harlan agierten bekannte Schauspieler wie der Niederländer Frits van Dongen und die spöttisch als „Reichswasserleiche“ bezeichnete Schwedin Kristina Söderbaum in den Fischerdörfern Karkeln am Kurischen Haff und Pillkoppen auf der Kurischen Nehrung sowie an der Memelmündung und in Tilsit. Die Produktion des Filmes, welche am Ende etwas mehr als eine Million Reichsmark verschlang, dauerte vom 6. Februar bis zum 25. Oktober 1939 – dabei fanden Harlan und Söderbaum sogar noch die Zeit zu heiraten. Anschließend gab es am 2. November eine erste öffentliche Uraufführung in Tilsit, der sich 13 Tage später die große Premierenfeier in Berlin anschloss.
Bei dieser war auch der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Präsident der Reichskulturkammer Joseph Goebbels zugegen, welcher den Streifen in seinem Tagebuch folgendermaßen bewertete: „Ein gutgemachter, künstlerischer Film. Aber eine zu quälende Ehetragödie.“
Eine Tragödie, die Goebbels an seine eigene erinnerte
Dieses eher emotionale Urteil resultierte daraus, dass Goebbels die Parallelen zu seiner eigenen persönlichen Situation natürlich sofort erkannt hatte. Denn er stand damals genau wie die männliche Hauptperson der Geschichte zwischen zwei Frauen, und wusste keinen rechten Ausweg für sich.
„Die Reise nach Tilsit“ war eine klassische Dreieckstragödie, die damit begann, dass der gut situierte, verheiratete Fischer Endrik Settegast aus Elchwerder von der ebenso schönen, verführerischen wie aufdringlichen Polin Madlyn Sapierska, verkörpert von der Hamburgerin Anna Dammann alias Edith Geese, umgarnt wurde. Das Gleiche geschah logischerweise sehr zum Leidwesen von Endriks „arisch“ anmutender Ehefrau Elske. Im Laufe der Zeit eskalierte die Situation zusehends, was nicht zuletzt am Eingreifen von Elskes Vater Erwin Bohrmann lag, der die Verführerin sogar mit Peitschenhieben zu vertreiben versuchte. Damit erreichte er aber nur, dass Endrik den Entschluss fasste, seine Frau zu beseitigen, um danach mit Madlyn einen Beziehungsneustart zu wagen.
Viel Drama und noch mehr Liebe
Der Mord an Elske sollte während einer Fahrt mit dem Fischerboot nach Tilsit stattfinden. Diese Reise diente nach außen hin dem Zweck, das Pferd Lise in der Stadt zu verkaufen. Auf See überließ Endrik dann der unerfahrenen Elske das Steuer, damit sie das Boot in einen gefährlichen Strudel hineinmanövriert. Elske durchschaute die Absicht ihres Mannes, einen Untergang zu provozieren, den wohl nur er überleben könnte, war aber zu deprimiert, um zu widersprechen. Allerdings bekam Endrik ein schlechtes Gewissen und verhinderte die Katastrophe im letzten Augenblick.
In Tilsit angekommen, kaufte der Fischer seiner Frau einen teuren Pelz, bevor die beiden halbwegs versöhnt die Rückreise antraten, wobei wiederum auch das Pferd an Bord war, weil sich kein Interessent dafür gefunden hatte. Während der Fahrt sank das Boot in einem schweren Sturm. Endrik konnte an Land schwimmen, wo er verzweifelt glaubte, Elske sei tot. Diese wurde allerdings von dem Pferd Lise gerettet, das seine Besitzerin ans Ufer zog. Dort wiederum stieß ausgerechnet Madlyn auf die ohnmächtige Elske. Anschließend beschloss die Polin aufgrund einer plötzlichen Eingebung, die Ehe von Endrik und Elske nun nicht mehr länger zu gefährden und den Rückzug anzutreten.
Antipolnische Tendenzen
Anders als in der Originalerzählung Sundermanns, in welcher der männliche Protagonist am Ende ertrinkt, nahm der Film also ein glückliches Ende, was die Kritiker fast durchweg bemängelten – zumal der Sinneswandel von Madlyn ohne jegliche Vorwarnung oder Erklärung erfolgte. Darüber hinaus erhielt der Streifen des erfolgsverwöhnten Harlan auch keinerlei Auszeichnungen, obwohl er beim Publikum trotz allem recht gut angekommen war und bis Februar 1941 immerhin mehr als das Doppelte seiner Produktionskosten einspielte. Diese auffällige Nichtbeachtung von Seiten des NS-Kulturbetriebes führte dann wiederum dazu, dass „Die Reise nach Tilsit“ ab 1952 wieder in den Kinos im Westen Deutschlands gespielt werden durfte – allerdings in einer fünf Minuten kürzeren Fassung ohne Passagen mit angeblich antipolnischen oder rassistischen Tendenzen. Politisch-korrekte „Bereinigungen“ beziehungsweise Verstümmelungen von Kunstwerken waren also schon damals üblich.