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Die Schmach des Präsidenten

Für ein paar Stunden sah es am vergangenen Sonnabend so aus, als geriete die Herrschaft Wladimir Putins ins Wanken. Dann stoppte „Wagner“-Chef Prigoschin seinen Marsch auf Moskau. Doch wie geht es weiter – mit Russland und dem Mann im Kreml?

Alexander Rahr
28.06.2023

Über den misslungenen Putsch in Russland wird verständlicherweise viel geschrieben und noch mehr spekuliert. Kommentatoren, Journalisten, Blogger – sie alle greifen zur Feder und fühlen sich berufen, jeder auf seine Weise, die dramatischen Ereignisse des 24. Juni 2023 richtig zu deuten. Die Gefahr, sich dabei aufs Glatteis zu begeben, ist groß. Auf der Suche nach originellen Erklärungen gleiten viele Beobachter in immer obskurere Verschwörungstheorien ab. War dieser Putsch vielleicht gar kein Putsch, sondern nur eine Inszenierung? Eine spezielle Operation?

Zugegeben, die Faktenlage ist dünn. Die Hauptakteure des Aufstandes schweigen. Aus den Unterredungen, die schließlich zum Ende des „Marsches nach Moskau“ führten, dringt kaum etwas in die breite Öffentlichkeit, außer, dass der Weißrusse Alexander Lukaschenko dort die entscheidende Vermittlungsrolle gespielt haben soll. Wladimir Putin verweigerte seinem ehemaligen Getreuen Jewgeni Prigoschin das direkte Gespräch. Der Chef der Präsidialadministration, Anton Wajno – übrigens Enkel des letzten estnischen KP-Chefs – und der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew (zweitmächtigster Mann hinter Putin), waren an den „Friedensverhandlungen“ beteiligt.

Eine fatale russische Tradition
Putsche, Staatsstreiche, Meutereien durchziehen die gesamte russische Geschichte. Bekannt sind die blutigen Bauernaufstände des 17. und 18. Jahrhunderts, die mit derer brutalen Niederschlagung durch die Zaren endeten. In der Zeit von Peter dem Großen bis ins 19. Jahrhundert hinein folgten in Russland mehrere Aufstände von Garde-Regimentern nacheinander, die dem Szenarium des Prigoschin-Putsches ähnelten. Manche endeten mit der Vierteilung der Rädelsführer, andere wiederum mit der Ermordung des Zaren oder – wie der Dekabristen-Aufstand 1825 – mit der Festigung der Macht der Autokratie und der Verbannung der Aufständischen nach Sibirien.

Das 20. Jahrhundert war diesbezüglich auch kein ruhiges Zeitalter. Ein Volksaufstand 1905 wurde äußerst blutig vom Zaren niedergeschlagen, 1917 folgte der von der Armee erzwungenen Abdankung des Zaren Nikolaus II. die Februarrevolution und ihr wiederum der gescheiterte pro-monarchistische Militärputsch des General Lawr Kornilow. Der nächste Umsturz folgte im Oktober 1917, als die Bolschewiki mit Hilfe von meuternden Matrosen die Macht ergriffen.

Auch das kommunistische Russland wurde von Aufständen nicht verschont, an denen sich das Militär beteiligte. In den Machtkämpfen nach Stalins Tod 1953 konnte sich Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow gegen seine Widersacher – zunächst Sicherheitschef Lawrenti Beria und dann Premier Georgi Malenkow – nur mit Hilfe des Militärs durchsetzen. Beria wurde auf einer Ministerratssitzung entmachtet und vermutlich von Marschall Georgi Schukow an Ort und Stelle erschossen. Chruschtschow selbst fiel 1964 einem parteiinternen Staatsstreich zum Opfer, der vom KGB gesteuert wurde.

Im Gedächtnis der heutigen Generationen ist vor allem der August-Putsch von 1991 präsent, als kommunistische Hardliner den Reformer Michail Gorbatschow arrestierten. Als Folge dieses misslungenen Aufstandes zerbrach die Sowjetunion, nachdem Gorbatschow in einem zweiten Putsch – diesmal ausgeführt von Boris Jelzin – endgültig entmachtet wurde. Keine zwei Jahre später ließ derselbe Jelzin, um einen Coup d'Etat gegen sich abzuwehren, die Aufständischen im eigenen Parlament beschießen. Zur Geschichte der Coups zählt nicht zuletzt die „spezielle Operation“ Russlands auf der Krim.

Lektion für Putin und Prigoschin: Der August-Putsch 1991 und der Aufstand von 1993 wurden nicht zuletzt durch die Unterstützung der protestierenden russischen Bevölkerung niedergeschlagen, die keine Angst hatte, sich den Hardlinern und den bewaffneten Streitkräften entgegenzustellen. Die junge Demokratie wurde von unten geschützt. In beiden Fällen hatte die Anti-Putsch-Bewegung außerdem einen charismatischen Anführer, nämlich Jelzin.

Deutungen des Scheiterns
Prigoschin ist nicht Jelzin. Zwar versuchte er, mit seinen Video-Botschaften in den Wochen vor seiner Meuterei alles, um sich in der russischen Bevölkerung ein Jelzin-ähnliches Image anzueignen. Seine Kritik am Krieg, an den sozialen Missständen, an der grassierenden Korruption in den Eliten – all das reichte nicht aus, um in den heute eher patriotisch als liberal gesinnten Massen die Popularität Putins zu untergraben. Die Menschen interessierten sich nicht für den neuerlichen Putschversuch. Einige verschwanden ins Ausland, der Rest blieb zu Hause oder spazierte in den Parks. Es gab weder Demonstrationen für Prigoschin, noch für Putin.

Die Vermutung der deutschen Bundesregierung, dass Prigoschins Marsch auf Moskau aufgrund fehlender Unterstützung aus der Bevölkerung zum Erliegen kam, ist richtig.

Unklar ist noch, wie Putin, dessen eigene Vorliebe spezielle Operationen sind, auf die spezielle Operation Prigoschins reagieren wird. Elite-Panzer gegen die Kremlwache in Moskau in Stellung gebracht zu haben – eigentlich unverzeihlich. Er könnte seinen Widersacher in den nächsten Tagen aus purer Vergeltung physisch liquidieren. Der Aufstand wäre damit für immer Geschichte. Vermutlich wird er dem Söldnerchef ganz einfach den Geldhahn zudrehen und beobachten, wie die Wagner-Truppe zerfällt – und ihre Kämpfer in die reguläre Armee zurückholen. Putin könnte auch, aus Trotz, die Eskalation im Ukrainekrieg erhöhen und dort noch schwerere Waffen einsetzen, die bisher keine Verwendung fanden.

Putins Unfähigkeit, den Putsch seiner besten und teuersten Elitetruppe, die er selbst für spezielle Operation in den Kriegsregionen der Welt gegründet hat, um Russlands Großmachtimage zu stärken, nicht verhindert und nicht gewaltsam unterbunden zu haben, ist ihm im Westen als Schwäche ausgelegt worden. In den russischen Medien wird er aber trotzdem dafür gelobt, dass er das Blutvergießen nicht zugelassen hat. Der Schock über das Fast-Entstehen einer zweiten Kriegsfront bleibt allerdings den Eliten und der Bevölkerung noch lange spürbar in den Knochen. Gefreut hat sich Putin über die Solidaritätsbekundungen aus der nicht-westlichen Welt, am meisten über die Glückwünsche zum Machterhalt von Recep Tayyip Erdogan, der vor wenigen Jahren selbst fast Opfer eines Militärputsches in der Türkei geworden war.

Wie geschwächt ist Putin?
Sollte es Putin nicht schnellstens gelingen, seine Autorität wiederherzustellen, droht ihm ein Machtverlust im Land und aufkommende Zweifel unter den Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats. Es könnten Fragen gestellt werden, ob er dem Ukraine-Konflikt, der sich zu einem existentiellen Kampf um die Zukunft Russlands entwickelt hat, noch gewachsen ist.

Putin ist sicherlich gefordert, Erfolge zu demonstrieren. Gleichwohl gibt es zurzeit keine Anzeichen dafür, dass seine Macht bröckelt. Vermutungen, dass Prigoschin über Helfershelfer und Verbündete im Kreml verfügt habe, werden gerade zerstreut. Ob zweifelnde Geheimdienstler, unzufriedene Oli-garchen oder widerspenstige Gouverneure sich stillschweigend mit der Meuterei solidarisierten und Prigoschin möglicherweise als Rammbock für eigene Ziele benutzten, wird, wenn es so war, ans Licht kommen.

Ein wichtiges Ereignis steht Russland kurz bevor – die Präsidentschaftswahl im März 2024. Ob er noch einmal antreten wird, hat Putin noch nicht verkündet. Er wird dies erst dann tun, wenn er Erfolge im Ukrainekrieg aufweisen kann. Inzwischen kann spekuliert werden, ob Putin, angesichts des Engpasses, in den er in der Ukraine geraten ist, eine Chance aus der heiklen Lage herauszukommen darin sieht, jemand anderen aus der jüngeren Generation mit der Führung des Landes zu beauftragen. Dass der Ex-Präsident Dmitri Medwedew, der Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew – Sohn des Sekretärs des mächtigen Sicherheitsrates – oder auch der Gouverneur der Oblast Tula, Aleksej Djumin, sich langsam in Stellung bringen, ist Gegenstand Moskauer Spekulationen. Sollte Prigoschin in Belarus politisch überleben, könnte er von dort Putin herausfordern, obwohl das eher unwahrscheinlich ist.

Gären in den Machtapparaten
Eine typisch russische Art, seine Autorität wiederherzustellen, wäre eine Säuberung des Machtapparates. Vielleicht ist sie Teil eines Deals, den der Kreml mit Prigoschin abgeschlossen hat, damit dieser seinen Angriff auf Moskau abbläst. Putin hat größere Personalwechsel stets vermieden; er verließ sich auf die ewige Loyalität seiner Mitstreiter. Eine Absetzung des Verteidigungsministers und des Generalstabschefs würde bei denjenigen gut ankommen, die die Armeespitze schon länger für die schweren Verluste und Abnutzungen im Ukrainekrieg verantwortlich machen. Prigoschin, der durch den Aufmarsch die Entmachtung der beiden forderte, stünde plötzlich wieder im Rampenlicht.

In den Machtapparaten gärt es seit mehreren Monaten, jüngere Offiziere und Funktionäre drängen nach oben. Der Elitenwechsel wird auch von einflussreichen nationalistischen Kräften lautstark gefordert, die mit dem derzeitigen Kriegsverlauf hadern.

Die entscheidende Frage für den Westen lautet: Welche Auswirkungen hat der Aufruhr in Russland unmittelbar auf den Ukrainekrieg? Putin sei schnell bereit gewesen, so wird gesagt, angesichts des drohenden Machtverlustes und der Gefahr des Bürgerkriegs auf eine gewaltsame Niederschlagung der Aufständischen zu verzichten und mit dem Verräter ein demütigendes Friedensabkommen zu schließen. Bedeutet dies, dass der russische Präsident, falls ihn doch Kriegsmüdigkeit befallen sollte, auch einer diplomatischen Friedenslösung in der Ukraine nicht abgeneigt wäre?

Jedenfalls haben die USA Prigoschin nicht unterstützt – aus Furcht vor dem Machtverlust des Kreml über die Atomwaffen. Obwohl ihnen ein Regime-Change in Moskau nicht ungelegen käme. Der Gesprächskanal, der zwischen Amerikanern und Russen am Sonnabend, den 24. Juni 2023 eröffnet wurde, könnte sich als zielgerecht erweisen.

Dr. Alexander Rahr ist Vorsitzender der Eurasien Gesellschaft e.V. in Berlin. Von 1994 bis 2012 war er Programmdirektor für
Russland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie von 2012 bis 2022 Forschungsdirektor beim Deutsch-Russischen Forum. www.eurasien-gesellschaft.org


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Kommentare

sitra achra am 06.07.23, 12:34 Uhr

Ein brillanter Artikel! Man erkennt, der alte Iwan lebt, wächst, blüht und gedeiht! Wir werden uns noch wundern!

Michael Holz am 28.06.23, 23:22 Uhr

Früher nannte man solche Experten, wie Alexander Rahr, Kremlastrologen. Was hat sich geändert in Deutschland? Nicht zum positiven!

Berlin 59 am 28.06.23, 20:39 Uhr

Hier meine Version:

Was ist denn eigentlich passiert? Die Wagner Söldner haben den Eindruck erweckt als ob es im Hinterland der Russischen Front ein Macht Vakuum zwischen Rostow am Don und Woronesch gibt. Man hoffte das die Ukraine die Situation ausnutzt und mit einen gepanzerten Stoßkeil (circa 1000 gepanzerte Fahrzeuge mit 15000 Soldaten) von etwa Bachmut aus direkt in den Raum Luhansk hineinstößt und dort die Separatisten vernichtet. Der Russe wider rum hätte mit 3-5 Atombomben den ukrainischen Stoßkeil inclusive renitente Separatisten und nervigen Kadyrow Kämpfern vernichtet. Der Atombombeneinsatz auf Ukrainischen Gebiet ist für die Russen kein Problem. Zum Glück sind die Ukrainer nicht in die Falle getappt. Spätestens um 11:00 Uhr war den Russen klar, das da keiner kommt. Der Rest war nur noch Show. Der kleine Atomschlag hätte den Krieg aber beendet. Die NATO hätte irgendeine Art von Kriegszustand ausgerufen und nach langen zähen Verhandlungen würde die Ukraine mehr oder weniger aufgeteilt werden. In Kopenhagen waren die Zaungäste schon zu allem bereit. Um Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin brauch sich keiner Sorgen machen, denn der nächste Plan ist schon in Arbeit. Der einzige Weg für die Russen die Ukraine konventionell zu besiegen, ist noch einmal ein Angriff auf Kiew. Diesmal Handstreichartig ohne schwere Waffen. Ob das was wird ?

Es war also ein Versuch den Konflikt auf die harte Tour zu beenden.

Bernd Wegter am 28.06.23, 07:41 Uhr

Es ist schon interessant wie die Mainstream Medien hier nur von einem Putsch sprechen. Wenn ich dann den angeblichen Putsch (auch Rollator Putsch genannt) in Deutschland damit vergleiche, komme ich aus dem Lachen nicht mehr raus. Ich frage immer mehr wie doof uns die Medien in D halten und dann sehe ich die Links Grünen Politiker und verstehe dann weshalb D außerhalb seiner Grenzen ausgelacht wird.

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