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Fürs Lernen ist es nie zu spät – Deutsche Universitäten verzeichnen immer mehr Gasthörer vor allem älteren Jahrgangs
Begonnen hatte alles mit einer Anzeige, auf die Jutta S. (Name geändert) bei ihrer Fahrt mit der S-Bahn aufmerksam wurde: eine Information über das Kontaktstudium an der Universität Hamburg. Neugierig geworden, schrieb sie sich zum nächsten Semester als Kontaktstudentin ein. Gleich zu Beginn erschloss sich ihr in der Vorlesung über das Persische Weltreich der Achämeniden (etwa 550 bis 330 v. Chr.) im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Welt.
Das gerade wieder aufgenommene Abenteuer „Bildung“ gipfelte schließlich in einer vom vortragenden Archäologie-Dozenten Dietrich Berges zum Thema angebotenen Studienreise in den Iran. In der Folge traten Hethiter, Phryger, Urartäer in ihr Leben und gaben Anlass zu weiteren privaten Reisen. Da sage einer, dass Bahnfahren nur unangenehme Überraschungen bereithalte.
An der Universität Hamburg hat man vor 30 Jahren im Wintersemester 1993/94 neben dem traditionellen Gasthörerstudium das Kontaktstudium für ältere Erwachsene eingeführt. Im Sommersemester 2020 wurden beide Formen unter dem alleinigen Begriff „Kontaktstudium“ zusammengefasst. Mit rund 450 Lehrveranstaltungen aus den Fakultäten, die gemeinsam mit den knapp 43.000 Regelstudenten besucht werden können, und einem Zusatzprogramm mit wechselndem Themenschwerpunkt nur für Kontaktstudenten ist das Angebot enorm weit gefächert. Will heißen, hier kann jeder und jede das individuelle Bildungsinteresse nach Herzenslust à la carte bedienen.
Wie vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht, haben im Wintersemester 2023/24 bundesweit 32.200 Gasthörer Lehrveranstaltungen an den deutschen Hochschulen besucht. Wie das Amt weiter mitteilt, waren das neun Prozent mehr als im Wintersemester 2022/2023 mit 29.600, aber noch 14 Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie im Wintersemester 2019/2020 mit 37.200. Damit machten im Vergleich zu den rund 2,9 Millionen ordentlich immatrikulierten Studenten im Wintersemester 2023/24 die Gasthörer 1,1 Prozent aus.
Der Zuwachs der Gasthörerzahlen erfolgte vor allem in der Altersgruppe 60+. Demzufolge stieg das Durchschnittsalter vom Wintersemester 2022/2023 zum Wintersemester 2023/2024 von 49 auf 51 Jahre. Der Frauenanteil lag unverändert bei 49 Prozent.
Außer Interesse müssen Gasthörer keine Voraussetzungen mitbringen. Sie müssen kein Abitur nachweisen und keine Prüfungen ablegen, können damit aber auch keinen Abschluss erwerben. Kostenfrei ist der Hochschulbesuch dagegen nicht. Gasthörer müssen sich zwar nicht immatrikulieren, aber anmelden. Dabei variieren Gebühren und Belegungsmodi von Hochschule zu Hochschule. In Hamburg etwa beträgt das Teilnahmeentgelt pro Semester stolze 145 Euro.
Dafür gibt es keine Beschränkung in der Anzahl der belegten Veranstaltungen. Einschränkungen entstehen allerdings dennoch durch die Begrenzung der Teilnehmerzahl in den Übungen, Seminaren und Vorlesungen. Daher gilt auch hier: Frühes Anmelden sichert Plätze! Das Fach Geschichte ist am beliebtesten, gefolgt von Philosophie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften.
Selbstverständlich haben das Internet und die neuen Medien auch den Lehr- und Lernalltag an den Universitäten in den vergangenen Jahren massiv verändert. Da gibt es nicht nur reine Online-Veranstaltungen und solche, die gleichzeitig sowohl als Online- als auch Präsenzveranstaltung stattfinden. Auch Änderungen und Informationen über Veranstaltungen werden inzwischen ausschließlich digital vermittelt.
Ebenso wird das Lehrmaterial heute vorwiegend über digitale Lernplattformen bereitgestellt. Es ist also fast unerlässlich, neben den Endgeräten auch Medienkompetenz zu erwerben. Dazu werden in der Regel entsprechende Einführungsveranstaltungen angeboten. Daneben stehen bei individuellen Fragen zumindest in Hamburg per E-Mail erreichbare sogenannte Medienlotsen dem Kontaktstudenten beratend zur Seite.
Die Motivation, ohne Blick auf Beruf und Karriere an die Uni zurückzukehren oder sie sogar erstmalig kennenzulernen, ist von Student zu Student unterschiedlich. Nicht für alle stehen Vor- und Nachbereitung von Reisen zu alten Völkern und Kulturen dabei im Vordergrund. Immer aber geht es – das kann man wohl getrost so allgemein sagen – bei der Vertiefung eines Themas darum, die Dinge sachlich, kompetent und wissenschaftlich zu betrachten. Sich unabhängig von Medienberichten ein eigenes Bild machen zu können ist ebenso ein immer wieder geäußerter Grund. Deutschlands über hundert Universitäten machen dazu ein intellektuelles Angebot, das man sonst in dieser Qualität so einfach nicht geboten bekommt. Warum es also nicht nutzen?
Wie vieles im Leben, ist auch der Studienbetrieb ein Geben und Nehmen. So sonnt sich manch emeritierter Hochschulprofessor zu Recht in der Begeisterung, die er vor allem bei den älteren Gasthörern entfacht. Sein Wissen weiter auf fruchtbaren Boden fallen zu sehen, dürfte auch bei ihm für Befriedigung sorgen. Andere verführt es frei von den Zwängen der vollberuflichen Lehrtätigkeit dazu, neue Denkansätze zu entwickeln und vorzutragen, wovon dann beide Seiten profitieren.
Bildung ist ein Thema, das Philosophen seit der Antike beschäftigt. Hermann Hesse drückte es so aus: „So wie das Streben nach Kraft, Gewandtheit, Schönheit nicht irgendeinen Endzweck hat, ... so ist auch das Streben nach Bildung, das heißt nach geistiger und seelischer Vervollkommnung, nicht ein mühsamer Weg zu irgendwelchen begrenzten Zielen, sondern ein beglückendes Erweitern unseres Bewusstseins, eine Bereicherung unserer Lebens- und Glücksmöglichkeiten“ („Bibliothek der Weltliteratur“, 1929).