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Die Stadt der Königinnen

Wo die selige Gisela herrschte – Im ungarischen Veszprém, der Europäischen Kulturhauptstadt 2023, hat die Musik das Sagen

Helga Schnehagen
26.10.2023

Der Touristenpfad durch Vesz­prém – deutsch: Wesprim oder Weißbrünn – führt vom Altstadtmarkt auf den Burgberg, immer der Straße nach bergauf. Wie Rom auf sieben Hügeln erbaut, findet man in Veszprém kaum ebene Strecken. Wer das ständige Auf und Ab scheut, steigt zur Stadtbesichtigung in die Citybahn.

Die Geschichte erschließt sich chronologisch in umgekehrter Richtung. Auf der Aussichtsbastei am Ende der Burgstraße stehen die Statuen von König Stephan dem Heiligen und Königin Gisela. Gisela war die älteste Tochter des bayerischen Herzogs Heinrich der Zänker und Veszprém der Lieblingsaufenthaltsort von Ungarns erstem Königspaar.

Im Gegensatz zu Rom ist Veszprém nur rund tausend Jahre alt. 1009 hatte Stephan I. das Bistum und die Stadt gegründet. 1993 zum Erzbistum erhoben, übergab das Kloster Niedernburg noch im selben Jahr Veszpréms Kathedrale St. Michael ihre Reliquien von Königin Gisela. Sie gilt als Stifterin der Domkirche. Nach dem Tod ihres Gatten 1038 war sie nach Bayern zurückgekehrt und 1065 als Äbtissin des Passauer Klosters verstorben. Zur „Stadt der Königinnen“ wurde Veszprém durch das Recht des Bischofs, nicht nur Gisela, sondern alle Königinnen Ungarns zu krönen. Heute erinnern die Giselatage an diese Tradition.

Die mittelalterliche Festung ist längst verschwunden. Das Burgviertel wird inzwischen von den Barockbauten der Erzdiözese dominiert. Von den 28 historischen Gebäuden auf dem Burgberg gehören 18 der Kirche und zehn dem Staat. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres werden die bischöflichen Gebäude seit drei Jahren in einem Ausmaß saniert, wie es in den letzten 300 Jahren nicht mehr vorgekommen ist.

Das Sanierungsprojekt dauert bis 2025 an. Während die Fassaden bereits in frischem Glanz erstrahlen, konzentrieren sich Archäologen und Restauratoren jetzt auf die kirchlichen Innenräume. Dabei agieren sie nicht im Verborgenen. Auf sogenannten „Work in Progress“– Rundgängen kann man ihnen mit einem Sicherheitshelm auf dem Kopf über die Schulter schauen. Gleich neben St. Michael liegen die Reste der Georgius Rundkapelle aus dem 10. Jahrhundert. Hier wurde die Kopfreliquie von St. Georg aufbewahrt, die einst ganze Pilgerscharen anzog. Die Ausgrabung dient vor allem Forschungszwecken und wird danach wieder ganz oder teilweise zugeschüttet.

Mit Sicherheit erhalten bleibt die zwischen dem Erzbischofspalast und dem Haus des Großpropstes zugängliche Giselakapelle. Bischof Robertus soll sie als älteste ungarische Bischofs- oder Königskapelle im 13. Jahrhundert erbaut haben. Ihre sechs mehr oder weniger gut erhaltenen lebensgroßen Apostelbilder gehören zu den ältesten Wandmalereien in Ungarn. Auch die bischöfliche Hauskapelle im Erzbischofspalast unterliegt der Generalsanierung. Ihr schon restauriertes Dreifaltigkeitsfresko im Gewölbe wird zwischenzeitlich kunstvoll von Spiegeln am Boden reflektiert.

Weiter unten markiert das Heldentor den Eingang zur Burg. Auf der Stadtseite bewacht Ernő, Ernst, als Minifigur die Burg. Der Wächter trägt die Uniform der ungarischen königlichen Garde aus der Zeit, als Ungarns Stephanskrone und die Reliquie der heiligen rechten Hand von Stephan I. in Veszprém verwahrt wurden.

Auf dem Altstadtplatz, dem Herzen der Stadt, erhebt sich schließlich die überlebensgroße Statue des Erzengels Michael, wie er den Satan – das Böse – unter seinen Füßen bezwingt. Er ist der Schutzpatron der Stadt, der Kathedrale und des Erzbistums.

Doch nicht nur das historische Zen­trum wurde zum Kulturhauptstadtjahr verschönert und mit neuen Cafés und Restaurants versehen. Mit Foton entstand gleich hinter dem Heldentor ein neues audiovisuelles Zentrum, das Laczkó-Dezső-Stadtmuseum wurde als Ort von Wechselausstellungen zum 140. Geburtstag des Künstlers József Egry, dessen Werke das Museum aktuell präsentiert, komplett renoviert und das alte Kinderkrankenhaus weiter südlich in ein ultramodernes Tanz-, Bewegungs- und Veranstaltungszentrum umgebaut, inklusive Kindergarten und angeschlossener Kletterhalle.

Bürgermeister Gyula Porga strahlt zufrieden, als er verkündet, Veszprém sei mit seinen 60.000 Einwohnern die lebenswerteste Stadt Ungarns. In der Tat steht Veszprém zusammen mit Győr (130.000 Einwohner) – deutsch: Raab – an der Spitze eines aktuellen ungarischen Städterankings.

Beides sind multinationale Industriestädte, vor allem der Autoindustrie. Erst 2021 richtete der deutsche Technologiekonzern Thyssenkrupp ein Entwicklungszentrum für 80 Ingenieure in Veszprém ein. Ausschlaggebend war die Pannonische Universität mit ihren rund 11.000 Studenten. Als Verwaltungssitz des gleichnamigen Komitats ist der öffentliche Dienst zusätzlich ein wichtiger Arbeitgeber der Stadt.

Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit und Gemeinsinn strengt sich Veszprém an. 2019 wurde die Stadt ins Unesco-Creative-Cities-Network aufgenommen und wegen der musikalischen Vielfalt in der Region sogar zur „Unesco City of Music“ ernannt. Denn nicht nur 2023 ist die Stadt an der Séd ein Treffpunkt von Bands, Chören und Orchestern. Musik soll weiterhin Schwerpunkt des Kulturlebens bleiben. So steht vom 16. bis 19. November das Jazzfestival auf dem Programm. Zu den Mitwirkenden gehören Größen wie Nils Landgren, seines Zeichens Intendant von JazzBaltica im Rahmen des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals.

Bürgermeister Porga hofft, durch die mit dem Titel verbundenen Anstrengungen die Abwanderung junger Menschen und Studenten zu stoppen beziehungsweise den Zuzug zu fördern. Daneben will er den Tourismus in der Stadt und am nur 15 Kilometer entfernten Plattensee stärken und über die Sommermonate hinaus verlängern. Dazu wurden gleich 116 Orte der Bakony-Balaton-Region in das Kulturhauptstadt-Programm mit aufgenommen.

Das gastronomische Angebot setzt schon jetzt auf regionale Produkte. Darunter den Wels in diversen Variationen, als Carpaccio oder als Filet im Speckmantel, und autochthone Weine wie den Welschriesling. Der 10.000 Hektar umfassende Weinanbau in den traditionellen sechs Weinregionen am Plattensee konzentriert sich inzwischen auf Qualität statt Quantität, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Dazu liefert ein Weingut mit Aussichtsterrasse wie das Petrányi in Csopak zur bodenständigen Küche auch noch das örtliche Balaton-Panorama.

https://veszprembalaton2023.hu/de


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