Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Die in Königsberg geborene Krankenpflegerin trat als erste Frau in Deutschland 1903 in den Polizeidienst ein
Am 1. Februar 1903 trat erstmals eine Frau in den Dienst der deutschen Polizei. Der Name dieser Pionierin lautete Henriette Arendt. Die am 11. November 1874 in Königsberg geborene Tochter eines vermögenden jüdischen Großkaufmanns besuchte zunächst die Handelsschule in Berlin und arbeitete danach bis 1895 als Korrespondentin und Buchhalterin im väterlichen Unternehmen. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Ab 1896 war Arendt unter anderem im Jüdischen Krankenhaus zu Berlin, diversen Nervenkliniken und der Neuen Lungenheilanstalt Schömberg tätig.
Anfang 1903 empfahl Paula Steinthal, die Vorsitzende des Stuttgarter Pflegeverbandes, die engagierte 28-Jährige für die neu geschaffene Stelle einer Polizeiassistentin im städtischen Polizeiamt in der Büchsenstraße 37. In dieser Eigenschaft oblag es Arendt, sich rund um die Uhr – bei einem Gehalt von monatlich 250 Mark – der von der Polizei aufgegriffenen „verwahrlosten“ Frauen anzunehmen. Dazu gehörte nicht zuletzt die Präsenz bei Verhören und ärztlichen Zwangsuntersuchungen von vermeintlichen Prostituierten, um in solchen Situationen für „Sitte und Anstand“ zu sorgen. Ab 1905 kam dann zusätzlich noch der Bereich Kinder- und Jugendfürsorge hinzu.
Da Arendt vom Amts wegen keinerlei finanzielle Mittel für die gesellschaftliche Wiedereingliederung von „liederlichen Weibspersonen“ zur Verfügung standen, verwendete sie dafür ihr Privatvermögen und startete darüber hinaus zahlreiche Spendenaufrufe. Damit ermöglichte die Polizeiassistentin die Betreuung von mehr als 4000 Frauen, von denen rund 800 nachweislich auf „den rechten Weg“ zurückfanden. Gleichzeitig hielt Arendt öffentliche Vorträge zu sozialen Problemlagen, die immer häufiger auf eine Generalkritik an den bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen und der amtlichen Bürokratie hinausliefen. Damit lud sie den Zorn der „mildtätigen“ Vereine der Stadt beziehungsweise der darin aktiven Honoratioren auf sich. Deshalb forderte der Leiter der Stadtmission, der spätere evangelische württembergische Landesbischof Theophil Wurm, schließlich in aller Öffentlichkeit ihre Kündigung. In das gleiche Horn stieß Paula Steinthal, die Arendt einst zu der Stelle verholfen hatte.
Parallel hierzu wuchs die Zahl der Gegner der streitbaren „Schwester Henny“ innerhalb der Stuttgarter Polizei. In den Augen vieler ihrer Kollegen war sie eine „Nestbeschmutzerin“, die alle Beamten an den Pranger stellte. Also wurden drei Kampagnen gegen Arendt gestartet. Die erste wegen des angeblichen „Vollzuges einer Affäre“ mit einem Polizeiassessor in den Räumen der Dienststelle, die zweite aufgrund des Vorwurfes der unprofessionellen Aktenführung und die dritte wegen des Verdachts der Veruntreuung von Spendengeldern, wobei sich für die Letztere freilich nie Beweise fanden.
Drei Kampagnen gegen Arendt
Dennoch zermürbten die ständigen Angriffe Arendt am Ende derart, dass sie erkrankte und ins Stuttgarter Paulinenhospital eingeliefert werden musste. Dort verfasste die erste deutsche Polizeiassistentin am 18. Dezember 1908 resigniert ihre Kündigung. Diese nahm der Gemeinderat sogleich erleichtert und einstimmig an. Daraufhin schied Arendt ohne jeglichen Pensionsanspruch aus dem Dienst.
1909 zog die dergestalt Ausgebootete in die Schweiz. Dort engagierte sie sich als Fürsorgerin für Waisen und Kämpferin gegen den internationalen Kinderhandel, der damals erhebliche Ausmaße angenommen hatte. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die vormalige Polizistin 1911 und 1912 die seinerzeit vielbeachteten Bücher „Kleine weiße Sklaven“ sowie „Kinderhändler. Recherchen und Fürsorgetätigkeit“.
Engagement für Waisenkinder
Während Arendt auf einer Vortragsreise in England weilte, brach der Erste Weltkrieg aus. Daraufhin gab sich die Deutsche als Schweizerin aus. Das half ihr freilich genausowenig wie die im Februar 1915 eingegangene Scheinehe mit ihrem Vetter, dem französischen Offizier Réné de Matringe: Die britischen Behörden stellten Arendt zunächst als Spionin vor ein Kriegsgericht und schoben sie dann am 28. Mai 1915 nach Rotterdam ab.
Dem folgten Einsätze bei der Flüchtlingshilfe in Wien, bis es 1916 wegen ihrer Heirat mit de Matringe zur Ausweisung als „lästige Ausländerin“ kam. Anschließend arbeitete Arendt beim Roten Kreuz – zuletzt als Oberschwester der französischen Rheinarmee in einem Krankenhaus in Mainz. Hier starb die Tante der prominenten Philosophin Hannah Arendt dann vereinsamt vor gut hundert Jahren am 22. August 1922.
Arendt, die über ihre Tätigkeit in Stuttgart in dem 1910 erschienenen Buch „Erlebnisse einer Polizeiassistentin“ berichtete, löste eine breite öffentliche Diskussion über den Einsatz von Frauen im Polizeidienst aus. Infolgedessen wurden bis 1913 in weiteren 19 deutschen Städten Polizeiassistentinnen eingestellt, welche für die Kinder- und Jugendarbeit verantwortlich waren und wie Arendt Schwesterntracht trugen. Uniformen gab es hierzulande für Frauen in der Polizei dahingegen erst in den 1920er Jahren – genauso wie weibliche Kriminalisten.