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Corona-Politik

Die Stunde der Bürgermeister

Politiker wie Spahn, Palmer, Madsen und Schweinsburg wirken wie ein Plädoyer für den Föderalismus

Hermann Müller
26.03.2021

Kritik am föderalen „Flickenteppich“ inklusive der Forderung nach mehr Kompetenzen für den Bund und Brüssel zählen in der COVID-19-Krise zu den immer wieder zu hörenden Meinungen. Bereits mehrfach hat CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus Vorstöße gemacht, für die Bekämpfung der Corona-Pandemie mehr Kompetenzen von den Bundesländern an den Bund zu übertragen.

Im vergangenen Herbst argumentierte der 52-Jährige, das föderale System sei vor sieben Jahrzehnten zurechtgeschnitten worden, inzwischen lebten die Menschen in einer anderen Welt. „Ein Landkreis ist kein Maßstab für die Lösung nationaler oder europäischer Katastrophen – ein Bundesland ist es auch nicht“, so der Unionspolitiker.

Im Februar legte der Bundespolitiker nochmals nach. Er behauptete, „wir brauchen eine Jahrhundertreform – vielleicht sogar eine Revolution“. Zu den Feldern, auf denen der Unionsfraktionschef Modernisierungsbedarf ausmachte, zählte abermals die Bund-Länder-Kooperation. Zur Untermauerung verwies Brinkhaus auf die Corona-Krise: „Es ist in Pandemiezeiten schwierig, dass der Bundesgesundheitsminister kaum Durchgriff auf die lokalen Gesundheitsämter besitzt.“

Brinkhaus will mehr Zentralismus

Gerade das von Brinkhaus angeführte Beispiel des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn kann allerdings auch als guter Grund interpretiert werden, die Bundespolitik nicht noch mächtiger zu machen. Speziell Spahn ist als Bundesminister während der Corona-Krise durch so eklatante Fehleinschätzungen aufgefallen, dass Deutschland eigentlich nur froh sein kann, dass sein Kompetenzbereich nicht noch größer war. Trotz der Lage in Wuhan behauptete Spahn noch Ende Januar 2020: „Die Gefahr durch das Coronavirus bleibt in Deutschland gering.“

Als sich das Virus dann hierzulande ausbreitete, legten Spahn und das Robert-Koch-Institut mit einer verwirrenden Kommunikation zur Wirkung von Schutzmasken nach. Schließlich versagten Bundesregierung und EU-Kommission auch noch beim Vorhaben einer „europäischen Lösung“ zur Impfmittelbeschaffung.

Im Kontrast dazu hat der als überkommenes Relikt gescholtene deutsche Föderalismus in der Corona-Krise erneut seine Vorzüge bewiesen. Erstaunlich oft haben nämlich Kommunalpolitiker frühzeitig Lösungen entwickelt, während die Bundespolitik noch ahnungslos im Dunkeln tappte.

Abschreckendes Beispiel Spahn

Wegen ihrer Corona-Strategie mittlerweile bundesweit bekannt sind Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) und Rostocks parteiloser Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen. In Tübingen hatte die Notärztin Lisa Federle bereits einen Plan zum Umgang mit COVID-19 entwickelt, als die Parole in Berlin noch „Entwarnung“ lautete. Der Bundespolitik weit voraus war die schwäbische Stadt auch bei der Entwicklung eines Konzepts zum Schutz für Senioren. Rostock hat wiederum früh Öffnungsstrategien erprobt. Fast vergessen ist die Vorreiterrolle Jenas. Schon am 6. April 2020 machte die thüringische Stadt das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes im öffentlichen Raum zur Pflicht. Die Entscheidung wurde in anderen Teilen Deutschlands zunächst als übertrieben angesehen. Wissenschaftler der Universität Mainz bestätigten später aber, wie richtig die Stadt mit ihrer frühen Reaktion lag.

Aktuell ist es abermals Deutschlands Provinz, nicht die Bundeshauptstadt Berlin, die wichtige Impulse liefert. Bürgermeister des Erzgebirgskreises haben vor Kurzem in einem offenen Brief beispielsweise scharfe Kritik an der Corona-Politik der sächsischen Landesregierung geübt. In dem Schreiben weisen die Kommunalpolitiker auf eine mittlerweile bedenkliche Stimmung in der Bevölkerung hin. „Die Regelungen der Corona-Schutzverordnung sind zu komplex. Dadurch verlieren wir zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung“, so ein Bürgermeister des Erzgebirgskreises. Skeptisch sehen die Kommunalpolitiker auch das unflexible Festhalten an bestimmten Inzidenzwerten: „Wir haben im Erzgebirgskreis aktuell Kommunen, die eine Größe aufweisen, bei denen ein positiv getesteter Fall in sieben Tagen sofort zu einer Inzidenz von mehr als 100 führt.“

Auch in Niedersachsen wächst die Kritik von Bürgermeistern und Landräten am starren Festhalten an Inzidenz-Marken. Nach Auffassung der Landräte der Kreise Cloppenburg, Wesermarsch und Vechta haben nach den aktuellen Regelungen die Landkreise das Nachsehen, die aus Gründen des Infektionsschutzes viel testen.

Besonders deutlich wird das Problem im Fall des thüringischen Landkreises Greiz. Gemessen an den Inzidenzwerten ist der Kreis derzeit der Corona-Brennpunkt Deutschlands schlechthin. Landrätin Martina Schweinsburg wies allerdings darauf hin, dass es derzeit nur wenige Patienten auf der Intensivstation und reichlich Intensivbetten zur Reserve gebe. Aus Sicht der Christdemokratin ist der steile Anstieg der Inzidenz im Kreis „recht klar auf die Zunahme der Testkapazitäten zurückzuführen“. Der Landkreis testet viel mehr, als dies die Regeln des Robert-Koch-Instituts vorsehen. Dies treibt zwar die Zahl der positiven Testergebnisse in die Höhe. Aus Sicht der Landrätin bringt dies aber auch Klarheit, um beispielsweise die Impfstrategie effektiv anzupassen.

Zumindest derzeit scheinen weder Berlin noch die Landesregierungen für solche Denkanstöße offen zu sein: „Bund und Länder sind derzeit nicht bereit dazuzulernen, aber ich bin hartnäckig“, so die Landrätin.


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