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Mahnung

Die totalitäre Erfahrung von links

Seit 30 Jahren besteht die „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“. Ihre Arbeit ist im politischen Klima der Gegenwart unabdingbar

Erik Lommatzsch
18.12.2020

Ihr Domizil hat die „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“ am Nikolaikirchplatz in Berlin. Gegründet wurde sie im Dezember 1990, kurz nach der deutschen Vereinigung. Ihr Entstehen verdankt die Einrichtung der Initiative von Ursula Popiolek. Die Slawistin war langjährige Geschäftsführerin und ist noch immer als Vorstandsvorsitzende des Fördervereins für die Gedenkbibliothek aktiv. Sie erfuhr ihre Prägung in der DDR, in, wie sie es selbst bezeichnet, „passiver Opposition“. Eine Reihe eigentlich verbotener Bücher, etwa Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ oder Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, fanden auch in der zweiten deutschen Diktatur ihren Weg zum interessierten Leser. Popiolek betont zudem ihre Prägung durch Ralf Schröder, in der DDR erst Dozent, später Verlagslektor für Sowjetliteratur, der unter dem Vorwurf des „Staatsverrats“ sechs Jahre lang in Bautzen inhaftiert war.

Die große Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989, wenige Tage vor dem Fall der Mauer, betrachtet Popiolek als eine Art Initialzündung für ihre Idee, Bücher zusammenzutragen, die über Sowjetkommunismus beziehungsweise Stalinismus aufklären, den Totalitarismus von links. Bücher, die sich der Frage widmen, warum diese Bestrebungen auf so große Resonanz stießen, und welche die Schicksale der Leidtragenden darstellen. Bürgerrechtler konnten für die Idee gewonnen werden. Am Anfang war es insbesondere Bärbel Bohley, über die wiederum im Namen des „Neuen Forums“ geworben werden konnte. So sei es möglich gewesen, in den Folgemonaten 150.000 D-Mark zu sammeln, Räumlichkeiten zu finden, Bücherlisten anzufertigen und die Sammlung entsprechend zusammenzustellen.

Linke Attacken und Anschläge

Am Anfang stieß die Institution mit den nun konzentriert greifbaren Informationen, den Büchern, die viele Deutsche dem Titel und Autor nach kannten, aber bislang nicht lesen konnten, auf sehr große Resonanz und erfuhr entsprechenden öffentlichen Rückhalt. Die Einrichtung insgesamt wurde Anlaufort für Interessierte und von den Repressalien des untergegangenen Systems Betroffene.

Doch dann folgte eine Zeit mit politisch grundierten Angriffen, bis hin zu einem Brandanschlag auf das Auto der Familie Popiolek oder der Herbeiführung eines die Bibliothek massiv in Mitleidenschaft ziehenden Wasserschadens. Auswirkungen auf den Unterstützerkreis, der ursprünglich ein gemeinsames Ziel verfolgte – nämlich die Dokumentation des durch den Kommunismus verursachten Leides und die Aufrechterhaltung der Erinnerung –, blieben nicht aus.

Seit Ende der 1990er Jahre befindet sich die Gedenkbibliothek in ruhigerem Fahrwasser. Die – vor allem in Hinsicht auf die geringe personelle Ausstattung – erstaunlich umfangreiche inhaltliche Arbeit steht seitdem wieder im Vordergrund. Vier Tätigkeitsfelder lassen sich ausmachen. Da wäre zunächst die Pflege und Erweiterung des Buchbestandes, der inzwischen mehr als 14.000 Bände umfasst, sowie die Nutzbarmachung. Zu den gedruckten Werken kommen Manuskripte mit Erinnerungen von ehemals Inhaftierten. Eine Reihe von Opfern wurde durch die Bibliothek zu Veröffentlichungen angeregt und dabei unterstützt. In diesem Zusammenhang ist auf Publikationen wie etwa „Zum Schweigen verurteilt. Denunziert – verhaftet – interniert (1945–1948)“ von Ursula Fischer zu verweisen.

Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Betreuung der von Verfolgung Betroffenen und deren Angehöriger. Zum Dritten wird ein umfangreiches politisches Bildungsprogramm angeboten. Seit Bestehen verantwortete die Gedenkbibliothek mehr als 700 Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Lesungen und Filmvorführungen. Etwa mit Schriftstellern wie Ulrich Schacht, Reiner Kunze und Uwe Kolbe – die drei Genannten haben die Repressionen des DDR-Systems auch selbst erfahren – oder Wissenschaftlern wie Konrad Löw, Klaus Schroeder und Manfred Wilke. Im vergangenen Jahr referierte unter anderem der polnische Botschafter Andrzej Przyłębski über „Die Bilanz der Transformation in Polen nach 1989“. Der Filmemacher und Journalist Peter Grimm zeigte seine Dokumentation „Vertreibung 1961“ über Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze.

Vom Umgang mit den Opfern

Vermittelnd ist auch der vierte Bereich. Die Bibliothek unterhält insgesamt drei Dauerausstellungen. Eine Präsentation in den eigenen Räumen wendet sich dem unterdrückten Menschen zu: „Utopie und Terror. Alja Rachmanowa und Alexander Solschenizyn – zwei russische Schriftsteller-Phänomene“. Rachmanowa veröffentlichte, neben einer Vielzahl anderer Bücher, 1935 den antibolschewistischen Roman „Die Fabrik des neuen Menschen“. Der freie Mensch steht im Mittelpunkt der ebenfalls von der Gedenkbibliothek betriebenen, 2019 grundlegend überarbeiteten Ausstellung über den Aufklärer Lessing im benachbarten, nach ihm benannten Haus. Darüber hinaus ist die Fotodokumentation „Workuta – Vergessene Opfer“ zu sehen.

Neben den Vorgängen in der DDR und der Sowjetunion ist die Bibliothek auch bestrebt, den Blick auf Bereiche und Gebiete zu lenken, in denen die kommunistische Unterdrückung ebenso manifest war, jedoch weniger bekannt ist, und über die bis heute vergleichsweise wenig Aufarbeitungsbestrebungen im Gange sind. Entsprechende Arbeiten werden unterstützt. Konkret zu nennen ist hier Bulgarien: Die Autorin Fanna Kolarova widmet sich derzeit der Darstellung der Vorgänge in den Ostblockstaat. Seit 30 Jahren besteht die Gedenkbibliothek, deren Projekte der Berliner Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fördert. Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit über das Wirken der kommunistischen Systeme ist gegenwärtig und in der absehbaren Zukunft weiterhin dringend geboten. Gründerin Popiolek, die soeben ein Buch über die Geschichte der Bibliothek verfasst hat, weist auf die großen Unterschiede im Umgang mit den Opfern der ersten und zweiten deutschen Diktatur sind. Sichtbar wird dies exemplarisch bei Gedenkveranstaltungen in Lagern die – nacheinander – von beiden totalitären Systemen genutzt wurden.

Im Deutschland von heute zeichnen sich, nicht nur im Blick auf die DDR, erschreckende Verklärungs- und Verharmlosungsbestrebungen ab. Willkommen sind diese im Klima einer immer weiter nach links driftenden Politik, die sich wieder anschickt, den Menschen mehr und mehr zu vereinnahmen und seiner Selbstständigkeit zu berauben.

(Weitere Informationen: www.gedenkbibliothek.de)


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Kommentare

Lutz Gerke am 22.12.20, 20:16 Uhr

Vielleicht liege ich ja falsch, aber im 2. WK waren die Ideologiegeber gegeneinander, nicht die Deutschen gegen die Russen und die Russen gegen die Deutschen. Wenn man heute mal fragt, ob es Ressentiments gegen Rußland gibt, dann herrscht eine merkwürdige Affinität zu den Russen – und umgekehrt.
Bemerkenswert ist, daß Josef Stalin kein Russe war. Er gehörte nur zur buckligen Verwandtschaft. Und Adolf Hitler war kein Deutscher. Er war auch nur ein buckliger Verwandter. Und beide Verwandte haben viel Unheil über die Völker gebracht. Wir wissen das von den Russen und die Russen wissen das von uns.

Multikulti ist nichts, weil allen abverlangt wird, sich mit wer weiß wie vielen Völkern und Mentalitäten blendend zu verstehen. Einfacher ist es, sich mit einem anderen Volk oder Staat zusammenzuschließen. Da lernt man Russisch und Deutsch und gut is.
Woher die Affinität kommt, kann ich nicht sagen? Der russische Bär und der klirrende Winter scheinen hier aber besser anzukommen als das Morgenland, wo immer die Sonne scheint?

Vielleicht ist es gerade die Trübsal und Tragik (Tschaikovsky, Dostojeswky, Tolstoi, Solschenizyn), die immer wieder den Blick nach Rußland lenken? Vielleicht sind es die Niflunge, die tief in uns drinnen stecken? Vielleicht ist es das Gemüt?
Vielleicht wollen die Völker gar nicht den Himmel erstürmen, sondern als Bär und Adler ihr schweres Schicksal genießen?

Werner Nehls am 20.12.20, 13:48 Uhr

Eine solche Bibliothek ist umso wichtiger als das EU-Parlament mit seiner linken Mehrheit Museen oder Gedenkstätten für Opfer des Bolschewismus, Kommunismus, Sozialismus strikte ablehnt. Die Opposition versäumt es, diesbezüglich weitere Anträge einzureichen. Auch wenn sie abgelehnt werden, offenbaren sie die Hinterhältigkeit dieser politischen Richtungen.

sitra achra am 18.12.20, 12:26 Uhr

Es wäre dringend notwendig diese Sammlung um das Kapitel Kryptokommunismus während der Merkelperiode zu erweitern, einem System, dem ebenfalls unzählige unschuldige Menschen zum Opfer fielen oder immer noch fallen.

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