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Über das Leben und Wirken des preußischen Spitzenbeamten und Freundes Kaiser Wilhelms II., Friedrich von Berg
An der Spitze des preußischen Staates standen jahrhundertelang die Hohenzollern. Gesellschaftlich getragen wurde der Staat jedoch von den adeligen Familien von der Altmark bis zur Memel, die in der Verwaltung, im Militär und im diplomatischen Dienst führende Beamte stellten. Einer dieser Staatsdiener war der Ostpreuße Friedrich von Berg. Ihm und seinem Wirken ist eine unlängst erschienene kritische Biographie gewidmet, mit deren Verfasser die PAZ sprach.
Herr v. Gottberg, die preußische Geschichte ist voller spannender Akteure, die bis heute die Wissenschaft beschäftigen. Was hat Sie dazu bewogen, sich Friedrich von Berg zu widmen?
Friedrich von Berg hatte in Schlüsselmomenten der preußischen und deutschen Geschichte wichtige Positionen inne. Er war unter anderem als Chef des Geheimen Zivilkabinetts einer der wichtigsten Berater Wilhelms II. gegen Ende des Ersten Weltkriegs sowie davor Landeshauptmann und Oberpräsident von Ostpreußen. Trotzdem gab es bislang keine Biographie über ihn. Diese Leerstelle wollte ich mit meiner Studie füllen-
Hinzu kommt aber auch ein privates Interesse. Berg war der Bruder meiner Großmutter, also mein Großonkel. Gleichwohl ist er in meinem Elternhaus nur wenig thematisiert worden. Wenn überhaupt, wurde jedoch mit großer Hochachtung von ihm gesprochen, aber irgendwie war er immer auch ein bisschen geheimnisumwittert. Diese Mischung aus öffentlicher Bedeutung und privater Verbundenheit sowie schmaler Literaturlage hat mich zu meiner Untersuchung motiviert.
Friedrich von Berg hat, Sie haben es bereits angedeutet, im Laufe seines Lebens sehr verschiedene Aufgaben wahrgenommen. Wo setzen Sie die Schwerpunkte Ihrer Untersuchung an?
Das ist vor allem Bergs Verhältnis zu seinem König und Kaiser, aber nicht nur. Die beiden kannten sich zunächst von Treffen der Alten Herren ihres Corps Borussia in Bonn und dann später von den Rotwildjagden des Kaisers in der Rominter Heide, die zu großen Teilen im ostpreußischen Kreis Goldap liegt, in dem Berg von 1903 bis 1906 Landrat war. In dieser Zeit wurde aus einer eher flüchtigen Bekanntschaft eine Freundschaft.
Neben dem Verhältnis zwischen Friedrich von Berg und seinem Monarchen hat mich als Ostpreußen natürlich auch interessiert, was Berg als Landrat, Landeshauptmann und Oberpräsident für unsere gemeinsame Heimatprovinz geleistet hat. Hier war er eine anerkannte Persönlichkeit und hat segensreich gewirkt. So erbaute er unter anderem in seinen dreieinhalb Jahren als Landrat von Goldap ein Johanniter-Krankenhaus. Anschließend wurde er auf Wunsch Wilhelms II. Vortragender Rat in dessen Geheimem Zivilkabinett. Dort wurde er jedoch schnell unglücklich, weil er den Kaiser nie zu Gesicht bekam, da das Vortragsrecht nur der Chef des Zivilkabinetts besaß.
Deshalb wechselte Berg bereits nach zwei Jahren auf den Posten des Landeshauptmanns von Ostpreußen, das war der oberste Beamte der Selbstorganisation der Provinz. In diese Dienstzeit fiel der Russeneinfall 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Nachdem die Russen infolge der Schlacht von Tannenberg kurze Zeit später wieder aus Ostpreußen vertrieben waren, wirkte Berg tatkräftig am Wiederaufbau der Provinz mit. Obwohl große Teile Ostpreußens stark zerstört waren, wurden die Schäden schon bei Kriegsende weitgehend beseitigt. In dieser Zeit kam es auch zum Kontakt mit dem Generalfeldmarschall und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zum Tode der beiden Männer anhielt.
Von 1916 bis 1918 wurde Berg dann sogar in das Amt des Oberpräsidenten von Ostpreußen berufen, was sich aufgrund der Größe der preußischen Provinzen mit dem Amt eines Ministerpräsidenten heute vergleichen lässt.
War es schwer, professionelle Distanz zu einer Person zu wahren, mit der Sie verwandtschaftlich verbunden sind?
Nein. Berg war zwar mein Großonkel, aber da er gut ein Jahr vor meiner Geburt verstorben ist, bin ich ihm nie begegnet. Alles, was ich vorab von ihm wusste, waren ein paar Erzählungen aus meinem Elternhaus sowie einige Aussagen in der Literatur. Zum Bespiel findet man in Marion Dönhoffs Buch „Kindheit in Ostpreußen“ die Notiz, dass er ein immer gern gesehener Gast ihrer Eltern war. Eine andere Aussage stammte von dem damaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Richard von Kühlmann, der Berg den „Totengräber der Monarchie“ nannte.
Dieser Spannungsbogen sorgte einerseits für Neugier, andererseits aber auch dafür, nicht mit einem vorgefertigten Urteil an die Arbeit zu gehen. Nicht zuletzt sorgte auch der zeitliche Abstand für genügend inhaltliche Distanz.
Aber wenn man wie Sie bewusst in einer Familientradition steht, kann man sich doch nie ganz frei davon machen, oder?
Das stimmt natürlich. Dies gilt insbesondere für diejenigen Ereignisse im Leben des Politikers Friedrich von Berg, bei denen ich mir eigestehen musste, dass er nicht gut agiert hat, vor allem für die Zeit von Januar 1918 bis Oktober 1918, als er Chef des Zivilkabinetts war. Infolge meines Studiums der Quellen und der Sekundärliteratur konnte ich nicht umhin, festzustellen, dass auch Friedrich von Berg daran mitgewirkt hat, dass der Ausgang des Ersten Weltkriegs für unser Land und insbesondere die preußische Monarchie äußerst unglücklich verlief.
Im Januar 1918 gab es auf Seiten aller Kriegsparteien Überlegungen, ob man nicht zu einem Frieden kommen könne. Frankreich war müde, Deutschland war ausgeblutet, überall litten die Leute, an den Fronten herrschte Stillstand. Es gab also durchaus eine kleine Chance, zu einem Verständigungsfrieden anhand des Status von 1914 zu kommen. Doch der Kaiser wollte Flandern nicht aufgeben, und sein Berater Berg bestärkte ihn darin. Auch hielt er viel zu lange an einem Siegfrieden fest. Als er dann ab dem Sommer 1918 erkennen musste, dass es höchstens noch einen Verständigungsfrieden geben könne, verfiel er in eine kurzfristige Apathie.
Wie wirkte sich das enge Verhältnis Bergs zum Kaiser grundsätzlich aus?
Wilhelm II. hatte große Schwächen, aber auch große Stärken. Zu seinen Stärken gehörte, dass er ein Freund und Förderer der Wissenschaft war und auch enge Verbindungen zu den Monarchen der europäischen Länder pflegte. Leider war er auch ein Mann, der sich scheute, gravierende Entscheidungen zu treffen. Da fehlten ihm Berater, die sein Großvater Wilhelm I. in Moltke, Roon und Bismarck hatte. Wilhelm II. neigte dazu, sich Berater heranzuholen, die ihm wenig widersprachen, wo es notwendig gewesen wäre.
Der Höhepunkt des Verhältnisses von Berg und seinem Kaiser war sicherlich die Zeit als Chef des Zivilkabinetts 1918. Wenn ich mir seine dortige Rolle ansehe, kann ich nur sagen: Wäre er doch bloß auf dem Posten des Oberpräsidenten geblieben! Er war in der Provinz hoch verehrt, sein Wirken dort war in Ordnung. Menschliche Unzulänglichkeiten haben wir alle, aber auf dieser Ebene war er gut und hatte auch Erfolg. Der Wechsel nach Berlin ist ihm nicht bekommen.
Problematisch war jedoch nicht nur Bergs Verhältnis zum Kaiser, sondern auch zu anderen Persönlichkeiten wie Hindenburg und Ludendorff. Gerade Hindenburg, ein Standesgenosse von ihm, verehrte er sehr. Hindenburg galt als Sieger der Schlacht von Tannenberg 1914 als Retter der Ostpreußen und war zudem viele Jahre älter als er.
Bergs enges Verhältnis zu Hindenburg hatte einen maßgeblichen Einfluss auf seine Rolle beim Sturz des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg.
In der Tat. Hindenburg und Ludendorff wussten, dass er einen engen Draht zum Kaiser hatte, und haben auf ihn eingewirkt, er möge doch ins Große Hauptquartier kommen und den Kaiser in ihrem Sinne gegen den Zivilisten Bethmann-Hollweg beeinflussen.
In diesem Zusammenhang habe ich eine Quelle aufgetan, die mich zusätzlich in Distanz zu Berg gebracht hat. Bethmann Hollweg war nicht nur Reichskanzler, sondern auch preußischer Ministerpräsident und in dieser Funktion der oberste Vorgesetzte des Oberpräsidenten Friedrich von Berg. Und dieser Untergebene Berg schreibt auf Wunsch Hindenburgs an den Kaiser: „Der Kanzler ist für diese schwere Zeit des Durchhaltens nicht geeignet. Man müsste einen General haben. Bethmann Hollweg ist zu weich.“ Dass sich Berg dafür hergegeben hat, empfinde ich als unanständig. Ich war selbst Beamter. Gegen seinen obersten Dienstherrn kann man so nicht agieren, das ist in höchstem Maße illoyal.
Mit dem Ersten Weltkrieg war zwar Bergs Zeit in Berlin vorbei, aber noch nicht sein politisches und gesellschaftliches Wirken.
Das ist richtig. Er kehrte von Berlin in seine Heimatprovinz zurück und wurde Vorsitzender der ostpreußischen Synode. Außerdem wurde er Präsident des ostpreußischen Provinziallandtages.
Und 1921 wurde er Generalbevollmächtigter des vormals regierenden preußischen Königshauses für die Vermögensauseinandersetzungen der Familie Hohenzollern mit dem preußischen Staat. In dieser Funktion verhandelte er bis 1927 mit dem nun Freistaat Preußen und konnte mit dem Abschluss einer Einigung den Privatbesitz der Familie Hohenzollern doch erheblich vermehren.
Doch trotz dieses Erfolgs kam es zu einem Zerwürfnis mit dem nun im Exil lebenden Kaiser. Dieser forderte noch einmal mehr Geld aus einer Familienschatulle. Dies hat Berg jedoch abgelehnt mit dem Verweis, dass es das Geld der Familie Hohenzollern sei und nur durch einen Familienentscheid freigegeben werden könne. Daraufhin entließ der Kaiser ihn abrupt aus dieser Aufgabe.
Ein weiteres Amt war dann ab 1920 das des Ersten Präsidenten oder Marschalls der deutschen Adelsverbände, das Berg bis 1932 innehatte. Er war damit der oberste Repräsentant der deutschen Adelsverbände. In diese Zeit fiel der allmähliche Aufstieg Hitlers und die Frage, ob der Adel für oder gegen die Nationalsozialisten sein sollte. Berg glaubte anfangs wie viele Standesgenossen, dass man möglicherweise über den Nationalen Hitler die Monarchie zurückbekommen könnte, kam jedoch schon bald zu einer skeptischen bis ablehnenden Haltung.
An seinem Lebensabend kam es noch einmal zu einer Begegnung Bergs mit dem Kaiser.
Richtig. 1935 besuchte er den Kaiser in dessen Exil in Doorn. Dabei haben sich beide offenkundig ausgesprochen und sind letztlich mit einem harmonischen Händedruck auseinandergegangen. Das war für Berg wichtig, um seinen inneren Frieden zu finden und dann auch von dieser Welt gehen zu können.
Das letzte Kapitel des Buches heißt „Die Tragik des Friedrich von Berg“. Worin liegt diese Tragik?
Die Tragik von Berg ist, dass er ein Mann des 19. Jahrhunderts war. Sein Großvater hatte noch die Befreiungskriege mitgemacht. Und deshalb konnte Berg mit den revolutionären Veränderungen des 20. Jahrhunderts wenig anfangen und auch nicht fertig werden. Er ließ sich von Militärs einspannen, wo eine zivile, politische Lösung klüger gewesen wäre.
Bergs Rückwärtsgewandtheit ist vielleicht auch damit zu erklären, dass er unverheiratet war und keine heranwachsenden eigenen Nachkommen erlebte. Ehefrau und Kinder sind ein starkes, wenn auch unbewusstes Regulativ für das eigene Verhalten. Hätte er eine intakte Familie gehabt, wäre der Blick automatisch in die Zukunft gerichtet gewesen.
Dass ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, bei dem sich die Welt hoch dynamisch veränderte, einer der wichtigsten Berater des Kaisers ein Mann war, der mit dieser Zeit nichts anzufangen wusste, macht die Tragik Friedrichs von Berg letztlich zur Tragik unseres ganzen Landes.
Das Gespräch führte René Nehring.
Wilhelm v. Gottberg wurde 1940 in Ostpreußen geboren. Von 1977 bis zu seiner Pensionierung lehrte er Staats- und Verfassungsrecht beim Bundesgrenzschutz. Von 1992 bis 2010 war er Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen sowie von 2017 bis 2021 Abgeordneter des
Deutschen Bundestags.
Willi Pauls am 14.06.23, 03:59 Uhr
Sehr interessanter Artikel. Ein möglicher Separatfrieden mit Frankreich wurde im Januar 1918 durch den tiefen Staat - in diesem Fall die preußische Militäraristokratie - verhindert, obwohl von der OHL und den Nachrichtendiensten klar kommuniziert wurde, dass ein deutscher Sieg völlig ausgeschlossen ist. Die Angst vor Verlust der politischen Deutungshoheit war schon damals höher als das Interesse für das eigene Vaterland. Das sollte einem zu Denken geben.
sitra achra am 29.05.23, 11:02 Uhr
Gutes Spitzenpersonal war schon im Reich eine Rarität, so auch in diesem versifften Nachkriegsland. Wohin man auch sieht, personelle Qualität ist Mangelware. Berg hatte zumindest auf einer unteren Ebene professionellen Erfolg.
Der bleibt diesen vorletzten und letzten Politikerdegenerationen auf allen Ebenen versagt.
Was soll man von einer Kakistokratie schon anderes erwarten? Wilhelm v. Gottberg sei Dank für dieses aufklärende Interview!
Kersti Wolnow am 29.05.23, 07:19 Uhr
Wenn Wilhelm v. GottbergStaats- und Verfassungsrecht beim Bundesgrenzschutz war, dann weiß er mit Sicherheit um den unerträglichen Zustand dieser nicht souveränen brD.
Disbezüglich hört man aus Adelskreisen so gut wie nichts.
Ja, das 19. Jh. war verheerend für uns Deutsche und hält bis heute an. Die EU ist kein Ersatz für das Deutsche Reich und kann es auch nicht sein für die anderen Nationalstaaten. Es ist ein künstliches Konstrukt mit sozialistischen Zügen, was sich auch schon in der Wortwahl der Hierarchien ausdrückt.