20.04.2024

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Die Tragödie von Swinemünde

12. März 1945 – Luftangriff sechs Wochen vor Kriegsende – Erinnerungen eines Zeitzeugen

Erwin Rosenthal
12.03.2022

Hatte der Krieg zwei Monate vor seinem Ende Swinemünde übersehen? Die Häuser waren hier noch wohlgeordnet und unzerstört wie in besten Zeiten, die Fensterscheiben heil. Die Stadt war jedoch voller Menschen, denn sie war Anlaufpunkt und Zwischenstation für jene Flüchtlingstransporte, die auf dem Seewege aus Ostpreußen und dem Danziger Raum und später aus Kolberg und Dievenow kamen. Nach der oft tagelangen Odyssee auf der Ostsee freuten sich die Menschen, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auch die etwa 900 Überlebenden des Unterganges der „Wilhelm Gustloff“ machten hier Station. Hinzu kamen die Trecks. Für sie hatte die Wehrmacht eine Pontonbrücke über die Swine gebaut, vor der sich die Pferdewagen häufig bis nach Misdroy stauten.

Flüchtlinge wähnten sich sicher

Mit 30.000 Flüchtlingen gab es Anfang März in der Stadt etwa so viele Fremde wie Einheimische. Überall hockten erschöpfte Frauen mit hohen Stiefeln an den Beinen und großen Tüchern um den Kopf. Kinder mit vollgestopften Ranzen auf dem Rücken und alte Leute komplettierten das Bild. Die Ankömmlinge wähnten sich in relativer Sicherheit und glaubten, nun sei das Schlimmste überstanden.

Nach kurzer Rast, zu der sie auch Schulen, Kinos und ähnliche zu Massenunterkünften umfunktionierte Gebäude nutzen konnten, um sich eine Nacht auszuschlafen und verpflegt zu werden, wollten sie mit dem Zug, per Schiff aber auch mit dem Pferdewagen ihren Weg in Richtung Westen fortsetzen.

Wir, das sind unsere Mutter sowie wir Kinder Reinhold (8), Waltraud (7) und Erwin (5) hatten unsere Wohnung im Zentrum der Stadt. Wegen der Gefahr von Bombenangriffen wurden in den letzten Kriegsjahren Frauen mit Kindern „umquartiert“. Am 11. März, als der Kanonendonner von der nahen Front in unserem neuen Domizil auf der Insel Wollin bereits deutlich zu hören war, kehrten wir nach Swinemünde zurück.

Der nächste Tag zeigte sich als ein wolkenverhangener, kühler Vorfrühlingstag. Gegen Mittag heulten die Sirenen. Alarm! Luftschutzkeller beziehungsweise Bunker gab es nur wenige. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in Swinemünde nach jedem Alarm stets kurze Zeit später Entwarnung gegeben, da die Bomberverbände der Alliierten, die Swinemünde anflogen, Stettin, Berlin oder Dresden ansteuerten. Und in der Tat kam wenig später die Entwarnung. Wir glaubten, nun Mittag essen zu können. Doch die Sirenen verkündeten erneut Alarm. Unmittelbar darauf hörten wir ein anschwellendes, sich näherndes Heulen, Krachen und Bersten. „Sind das Bomben?“, fragte unsere Großmutter voller Angst. Bevor jemand antworten konnte, gab es ganz in der Nähe ohne vorherige Ankündigung ein unvergleichliches Donnern und Krachen.

Unser Haus in der Steinbrückstraße 18 war getroffen worden und das Haus unserer Großmutter, Steinbrückstraße 16, in dem wir Schutz gesucht hatten, hatte plötzlich kein heiles Dach mehr. Fenster und Türen sprangen heraus, Glassplitter flogen durch die Luft und es wurde stockfinster. Die Abdeckplatte des Kellers, auf der ich stand, hob sich, und ich fand mich im Keller wieder. „Da waren gar keine Kartoffeln drin, nur Steine“, soll ich gesagt haben, als ich nach einiger Zeit wieder oben war. Wir hatten uns nun im Flur des Hauses versammelt, die Straße im Blick. Mein Bruder war verschwunden. Das Heulen der Bomben, sowie das Splittern und Krachen der Einschläge um uns herum, das nach kurzer Pause stets aufs Neue einsetzte, wollte kein Ende nehmen.

Zerstörung und Chaos überall

Die Gebäude ganzer Straßenzüge fielen in sich zusammen, gingen in Flammen auf und begruben jene unter sich, die in den Kellern Schutz gesucht hatten. Die von den in Flammen stehenden Gebäuden ausgehende Hitze und der dichte schwarze, vom nahen Hafen kommende Rauch erschwerten uns das Atmen. Verletzte hasteten vorbei, einer Frau mit blutüberströmtem Gesicht reichte unsere Mutter ein Handtuch, eine andere, völlig verwirrte und orientierungslose Frau, suchte bei uns Schutz. Schließlich kam auch der Bruder zurück. Er hatte angenommen, das Haus würde zusammenstürzen und war weggelaufen.

Das Inferno nahm nun eine Stunde lang seinen Lauf. 671 schwere viermotorige Bomber der 8. US-Luftflotte, begleitet von 412 Jagdflugzeugen, warfen aus 6000 Metern Höhe 1609 Tonnen Bomben auf die kleine Stadt ab. Die schräg gegenüberliegende große Adolf-Hitler-Schule, die mit Flüchtlingen voll belegt war, erhielt mehrere Volltreffer. Überall gab es Tote, Verletzte, Trümmer, Schutt und Feuer. Unter den elf vollbesetzten Flüchtlingstransportern, die an diesem Tag am Bollwerk festgemacht hatten, war auch der aus Pillau kommende, mit etwa 2000 Flüchtlingen völlig überladene Frachter „Andros“.

Schiffe sollten Hafen verlassen

Eine Bombe fiel auf den Kai und traf die Menschen, die auf der Gangway vom Schiff stürmten. Die zweite Bombe traf das Achterschiff, eine dritte das Vorschiff. Die „Andros“ brannte, sank und nahm 570 Menschen mit auf den Grund. Insgesamt wurden an diesem Tage im Hafenbereich 13 Schiffe versenkt. Zwar hatten gegen elf Uhr die Kapitäne und Kommandanten aller im Swinemünder Hafen liegenden Schiffe den Befehl erhalten, den Hafen zu verlassen. Aber nicht alle erreichten rechtzeitig die offene See. Die etwa 50 auf Reede liegenden Schiffe blieben vom Bombardement verschont.

Zerstört beziehungsweise erheblich beschädigt wurde auch der östliche Teil des Kurviertels mit den unmittelbar an der Promenade gelegenen prachtvollen Hotels Victoria und Stephani, den Pensionen Luise und Ida-Marie sowie dem Pommernhaus. Der Musikpavillon und das westlich des Kurhauses gelegene Kurviertel blieben hingegen erhalten.

Viele Menschen hatten Schutz im Kurpark gesucht. Hier hielt der Tod reiche Ernte, denn es wurden Bomben mit Berührungszündern, sogenannte Baumkrepierer, abgeworfen. Die auf der Erde liegenden Menschen waren voll der Splitterwirkung der Bomben ausgesetzt.

Auf den drei Ausfallstraßen sowie in den Zügen der Deutschen Reichsbahn spielten sich wahre Tragödien ab. Der Misdroyer Pfarrer Ziemer, er war der letzte deutsche Pfarrer auf der Insel Wollin, schreibt über die Straße, die aus Richtung Misdroy nach Swinemünde führt: „Am 12. März mittags erscheint ein starkes Geschwader feindlicher Bomber und wirft seine entsetzliche Last in die gestauten Trecks. Ein unvorstellbares Unheil! Viele Tausende finden einen grausigen Tod. Zerfetzte Menschen und Tierleiber werden hochgerissen und hängen nachher auf Bäumen und Leitungsdrähten. Panik des Jüngsten Gerichts.“

Ähnliches spielte sich auf der Großen-Kirchen-Straße [Grunwaldzka] ab, die in Richtung Zirchow führt, auf der die Trecks die Stadt verlassen wollten. Nur ein Haus blieb in dieser Straße von den Bomben verschont.

Die Zahl der Opfer wurde zunächst mit 23.000 angeben. Mittlerweile wurde sie mithilfe eines zynischen Dreisatzes korrigiert. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt! Wir vier und unsere Großmutter hatten überlebt. Da störte es wenig, dass uns nichts geblieben war als die Handtasche unserer Mutter mit den Papieren.

Die Toten wurden auf dem nahen Golm, auf dem sich heute eine Gedenkstätte befindet, in Massengräbern bestattet.

Der englische Philosoph A. C. Grayling („Die toten Städte“) hatte angesichts solcher Angriffe auf deutsche Städte geschrieben: „Es war ein gerechter Krieg gegen verbrecherische Feinde, in dem die späteren Sieger in einigen wichtigen Aspekten moralisch genau so tief sanken wie ihre Gegner, eine Tatsache, die inständig und offen bereut werden sollte.“


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Kommentare

Franz Lischka am 29.08.22, 21:53 Uhr

Ein Augenzeuge, der damals 5 Jahre alt war, erzählte mir in Lebbin , er hat zwar ziemlich alles in dem Alter vergessen, aber nicht den Anblick vom brennenden Swinemünde damals, er saß damals nämlich mit anderen Kindern in Lebbin auf dem Blätterberg und sah einen schwarzen " Teppich" über Swinemünde, es war ein schreckliches, ängstliches Bild ! 1 Tag vorher haben die alliierten Bomber wegen schlechtem Wetter ihre Ladungen auf die Wälder um Swinemünde abgeworfen ,wo die Flüchtlinge Schutz gesucht haben....

Waffenstudent Franz am 14.03.22, 08:07 Uhr

Ja, die Opferzahlen von 23.000 toten Bombenopfern werden ebenso zum Problem wie die 35.000 toten Bombenopfer von Hamburg. Beide Zahlen passen nämlich gar nicht zu den politisch korrekt geforderten 25.000 toten Bombenopfer von Dresden.

Ausdrücklichen Dank für den Begriff vom "Zynischen Dreisatz"! Mit Hilfe eines zynischen Dreisatzes korrigierten die Sieger nämlich nach 1945 fast alles, bei dem ein Dreisatz Anwendung finden konnte.

Chris Benthe am 13.03.22, 10:42 Uhr

Ich verneige mich vor den armen Opfern und werde still.

sitra achra am 12.03.22, 12:56 Uhr

Es wäre anständig, den unschuldigen Opfern dieses alliierten Schlachtfests an dortiger Stelle ein Denkmal zu errichten. Von der fünften Kolonne der Besatzer, den "Demokraten", ist dies nicht zu erwarten, sie beteiligen sich weiter an der fortlaufenden Denunziation des deutschen Volkes ("Nazideutschland" als Totschlagworthülse gegen jegliche Form der Menschlichkeit, was für ein überflüssiges Gelichter!).

Siegfried Hermann am 12.03.22, 10:31 Uhr

Alles was nach Dresden kam, war nur noch eine brutale Dezimierung der deutschen Bevölkerung gemäß Hooton-Morgenthau-Kaufman- Plan.
Nach der Operation Bodenplatte und der Ardennenoffensive war die Wehrmacht bzw die Luftwaffe defakto erledigt und das Massenmorden konnte ungezügelt folgen. Die folgenden Bomberangriffen auf deutsche Städte waren schlicht Kriegsverbrechen. Und die angeblichen offizielle Opferzahl dürfte in Swinemünde tatsächlich deutlich nach oben korrigiert werden.
Das Verbrechen unserer BRD-Regierungen ist, das sie noch nicht mal in Ansätzen diese Kriegsverbrecher verfolgt haben und stattdessen sich aber selbst nach 60 Jahren auf nicht beteiligte
95jährige Buchhalter in den Knästen zum Verrotten stecken.
Einfach nur widerlich!

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