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Den meisten Zeitgenossen erscheint es als Relikt aus uralten Tagen. Doch hinter dem studentischen Fechten verbirgt sich weit mehr – und noch dazu eine überraschend aktuelle Botschaft
Als sich im vergangenen Frühling auf einem Hof in Berlin-Lankwitz Alexander Kliesch und Thorsten Haß, beide mit zahlreichen Narben im Gesicht, mit scharfen Klingen in der Hand einander gegenüberstanden, um diese dann auch gegeneinander zu erheben, hätte es für einen Laien bedrohlich aussehen können. Immerhin: Duelle sind auf deutschem Boden verboten, gleich ob diese mit der Klinge oder etwa mit Pistolen ausgetragen werden.
In dem Lankwitzer Fall allerdings standen sich zwei alte Freunde und gewissermaßen auch Rivalen gegenüber. Kliesch und Haß gehören der selten gewordenen Spezies der schlagenden Verbindungsstudenten an. Das Fechten mit scharfer Waffe, dem sogenannten Schläger, in der Partie, die Mensur genannt wird, gehört an den meisten Hochschulorten im deutschsprachigen Raum bis heute zu den allerdings nur noch von einem Bruchteil von Studenten gepflegten Traditionen. Der Begriff Mensur bezeichnet insoweit einen strengen Regeln folgenden sportlichen Vergleich.
Lebenswichtige Körperteile sind geschützt, lediglich die Wangen und der obere Kopfteil liegen frei. Ein Unparteiischer wacht über die Einhaltung der Regeln, mindestens ein Arzt über die Gesundheit der „Paukanten“. Richtig, der Begriff „pauken“ stammt aus der Studentensprache und wurzelt im Fechten. Die Gegenüberstehenden fechten auch nicht gegeneinander, sondern – auch wenn sie sich zahlreiche blutige Schmisse beibringen können – genau genommen miteinander. Denn das, was der Laie nicht sieht, ist der gegenseitige Respekt und oft auch die Freundschaft, welche die Kontrahenten miteinander verbindet.
Ein Nachkriegsrekord
Das trifft auf Kliesch und Haß zu. Beide gehören Verbindungen im Dachverband Coburger Convent an, in dem sich Turnerschaften und Landsmannschaften, allesamt pflichtschlagend, vereinigt haben. Die Mensur vom Frühjahr, und das ist höchst selten, wurde von mehreren Medien aufgegriffen. Sogar die „Süddeutsche Zeitung“ hat Kliesch im Zusammenhang mit dessen Mensur porträtiert. Der Grund liegt darin, dass der mit seiner 100. Mensur so etwas wie eine Schallmauer durchbrochen hat, wobei ihm Haß mit 60 Mensuren im Range durchaus folgt. Es ist zwar nicht genau bekannt, ob vor dem Ersten Weltkrieg Studenten und ehemalige Studenten nicht auch bis zu 100 oder mehr Mensuren gefochten haben. Doch wenn, dann dürften es nur wenige gewesen sein. Fest steht aber, dass seit 1945 kein Akademiker häufiger auf Mensur gestanden hat als eben die beiden Männer in Lankwitz. Zum Vergleich: Otto von Bismarck schlug als Jurastudent 25 Mensuren.
Doch warum tun sich Männer, die sich vielleicht sogar freundschaftlich verbunden sind, genau das an? Das ist die Frage, die Außenstehende meist ratlos zurücklässt. In der Tat wirkt es so, als passe diese akademische Tradition nicht mehr ins „woke“ Deutschland. Da passt es ins Bild, dass die Grüne Jugend immer wieder gegen Studentenverbindungen, insbesondere gegen schlagende, zu Felde zieht.
Doch passen Waffenstudenten wirklich nicht mehr in unsere Zeit? Es war ausgerechnet der grüne Koalitionspartner von Bundeskanzler Olaf Scholz, der in der Bundesregierung darauf drängte, der Ukraine milliardenschwere Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung zu versprechen und auch rhetorisch diesen Kampf zu unterstützen. Indes, den einst friedensbewegten Grünen, jener Partei der Wehrdienstverweigerer, die lange aktiv der Bundeswehr mit Misstrauen begegnet ist und Soldaten unter den Pauschalverdacht des Rechtsextremismus gestellt hat, wird Umfragen zufolge die geringste Kompetenz in Sachen Wehr- und Sicherheitspolitik und seitens des politischen Gegners Doppelmoral zugeschrieben.
Mit Ideologie hat es nichts zu tun
Zurück zur Mensur – denn diese Tradition hat bis heute mit dem Wehrhaftigkeitsprinzip zu tun. Wer sich auf Mensur stellt und bereit ist, die Farben seiner Verbindung würdevoll zu vertreten, sich seinen persönlichen Ängsten zu stellen, diese zu meistern und die Unverletztheit seiner Haut zu riskieren, der teilt das Wehrhaftigkeitsprinzip. Viele schlagende Verbindungen, vor allem Burschenschaften, haben deshalb in früheren Dekaden auch keine Wehrdienstverweigerer aufgenommen. Wer in einer schlagenden Verbindung aktiv geworden ist, steht in der Regel auch der Bundeswehr nahe, hat oft eine Offizierslaufbahn eingeschlagen, oder zumindest stolz den Wehrdienst für sein Vaterland geleistet. Der letzte bekannte Offizier in den Reihe der Grünen hingegen war der 1992 per Suizid gestorbene Generalmajor a.D. Gert Bastian. Er hatte 1980 seiner Laufbahn vorzeitig den Rücken gekehrt und sich der Friedensbewegung zugewandt.
Seither haben bündnisgrüne Politiker zwar Sicherheitspolitik gemacht und auch seit Joschka Fischer Kriegseinsätze – damals in Serbien – befohlen, doch die Wehrhaftigkeit selbst unter Beweis gestellt hat seit Gert Bastian kein grüner Politiker mit überregionalem Bekanntheitsgrad. Der letzte Grüne, der auf Mensur gestanden hat, war der ehemalige grüne Spitzenpolitiker Rezzo Schlauch. Das war allerdings in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und damit deutlich vor der Gründung der Partei Die Grünen.
Dass Mensur gleichwohl nichts mit rechter Weltanschauung zu tun hat, belegt selbst nach aktuellen Maßstäben ausgerechnet jener Berliner Kliesch. Der Jurist gehört weder der AfD noch der CDU an. Er ist Sozialdemokrat.
Die Mensur, der Blick durch eine vergitterte Schutzbrille auf die scharfe Klinge des Gegenübers, der in wenigen Momenten diese gegen einen führen wird – dieses besondere Erlebnis, da sind sich selbst die Waffenstudenten weitgehend einig, macht keine besseren Menschen. Sie lehrt den Menschen lediglich, sich seinen Ängsten zu stellen und für etwas – nicht nur wohlfeil in martialischer Rhetorik – mit seiner eigenen Gesundheit und eigenen heilen Haut einzustehen. In den Verbindungen wird daher auch vom charakterschulenden Effekt der Mensur gesprochen.