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Memel

Die Wiedergeburt eines jüdischen Theaters

Eine Mathematiklehrerin verwirklichte ihren Traum vom Schauspielen – Drei Stücke aktuell im Repertoire

Bodo Bost
21.06.2024

In Memel gibt es mit dem Amateurtheater „Shatil“ das einzige jüdische Amateur-Theater im Baltikum. Maja Tarachowskaja, eine Mathematiklehrerin, hat das 1988 gegründete russischsprachige Theater vor einigen Jahren wiederbegründet und leitet es mit großem Erfolg.

Während der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung Litauens zwischen 1988 und 1989, als die Kirchen und Synagogen an ihre alten Besitzer zurückgegeben wurden, wurde in Memel die jüdische Theatergruppe „Shatil“ gegründet. Die Gründer des Theaters waren Feliks Puzemskis, der heutige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Memel, und Ilja Kogan, ein Mitglied der Gemeinde. Shatil ist Hebräisch und beeutet so viel wie „sprießen“. Aber nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens 1991 verließen von den damals mehr als 1000 Juden in Memel die meisten ihre Heimat Richtung Israel, darunter auch der Kern des Shatil-Theaters.

Die Aktivitäten des Theaters wurden eingestellt, aber eine Person blieb – Maja Tarachowskaja. Sie hatte schon in ihrer Jugend den Traum, Theater zu machen, und ihre Liebe zum Theater hatte sie nie verloren. Als Mathematiklehrerin an der Maxim-Gorkij-Schule in Memel gründete sie das Lehrertheater Peremena (Veränderung) unter der Leitung der Regisseurin Galina Semionowa. Tarachowskaja eröffnete 2017 mit Hilfe der jüdischen Gemeinde in der Dangestadt das Shatil-Theater zum zweiten Mal. Heute gibt es noch etwa 300 Juden in Memel. Mit 60 Jahren wurde sie gleichzeitig Wiederbegründerin, Dramatikerin und Schauspielerin. Shatil ist das einzige jüdische Laientheater in den drei baltischen Staaten.

Mit dem Schreiben von Theaterstücken begann Tarachowskaja 2008. Seitdem hat sie bereits sechs Bücher und
40 Stücke in verschiedenen Genres geschrieben – Komödien, Dramen, Phantasmagorien. Ihre Stücke wurden in verschiedenen Ländern aufgeführt, darunter auch in professionellen Theatern in Kiew, Minsk und Dnipro. Sie verwendet das Pseudonym Asios Kotliar, das ist eine Anlehnung an den Namen einer ihrer Großmütter. Für ihre Verdienste wurde sie 2021 zur „Frau des Jahres“ in Memel gewählt.

Maja Tarachowskaja gründete das Theater zum zweiten Mal
„Shatil“ gehörte bereits zweimal zu den besten litauischen Theatern im Rahmen des „Reflections“-Wettbewerbs. Ihr Repertoire umfasst derzeit drei Stücke. Das Ensemble hat im Augenblick 30 Mitglieder im Alter zwischen zwölf und 70 Jahren. Nur sechs von ihnen sind jüdischer Nationalität, auch Litauer, Russen und Karaiten gehören zum Ensemble. Karaiten sind tatarische Juden. Die meisten wurden über soziale Netzwerke rekrutiert. Das Theater tritt in ganz Litauen auf und tourt auch durch die anderen baltischen Staaten. Das Hauptziel des Theaters ist es, die Werte des jahrtausendealten jüdischen Erbes zu erhalten und Respekt für andere Kulturen zu entwickeln.

Die Mehrheit des Ensembles des Theaters „Shatil“ in Memel sind theaterbegeisterte russischsprachige Einwohner. Das erste Stück im Jahre 2017, „Mamoules“, spielt in der Ukraine. Darin geht es um drei Frauen verschiedener Nationalität, die sich angesichts der politischen Veränderungen in diesem Land um Falschmeldungen streiten. Das Stück war ein großer Erfolg und wurde erfolgreich auf verschiedenen Bühnen aufgeführt. Die Aufführung in Wilna, auf der Bühne des Puppentheaters, wo sich während der NS-Besatzung das jüdische Ghettotheater befand, war für die Schauspieler unvergesslich. Durch den Ukrainekrieg hat das Stück eine ungeahnte Aktualität erlangt.

Nach dem erfolgreichen Debüt schlug Tarachowskaja die Komödie „Wir sind Astronauten“ vor. Angesichts einer gemischt-religiösen Ehe erklärt der Vater des Bräutigams darin: „Wir Juden sind Astronauten. Vor dreitausend Jahren wurden wir vom Berg Sinai mit einer Mission in die Welt geschickt, und unser wichtigstes Ziel ist es jetzt, den Kontakt zur Basis zu halten. Und wir verlieren ihn. Das ist schrecklich.“

Die dritte Produktion des Theaters Shatil, „Die Welt ohne dich ist schrecklich für mich“, ist ein Melodram, das während der deutschen Besatzung spielt. Einem schwangeren jüdischen Mädchen gelang es, vom Deportationszug ins KZ zu entkommen und sich bei einer Bäuerin zu verstecken. Nach der Geburt überließ sie das Neugeborene der Bäuerin. Das Kind wuchs auf, ohne seine wahre Herkunft zu kennen. Nach dem Krieg kehrte die Jüdin zurück, wagte es aber nie, das Kind der Frau wegzunehmen, die es aufgezogen hatte. Ihr ganzes Leben lang schrieb sie Briefe an ihr Kind, die sie nie abschickte. Diese sind die Grundlage des Stücks. Es ist allen nichtjüdischen Personen gewidmet, die Juden vor dem Völkermord gerettet haben, ohne dafür materielle Gegenleistungen zu erhalten.


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