Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Mit einem 100 Milliarden schweren „Sondervermögen“ sollte die Bundeswehr nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs ertüchtigt werden. Geschehen ist bislang kaum etwas. Erste Investitionspläne wurden stark zusammengestrichen
Da gab es einmal eine Kanzler-Rede zur „Zeitenwende“ vom 27. Februar 2022 – drei Tage nach Putins Einfall in die Ukraine. Olaf Scholz (SPD) kündigte an, die Bundeswehr zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ zu machen. Alle anderen Aufgaben hätten sich der Priorität einer funktionierenden Landes- und Bündnisverteidigung unterzuordnen, erklärte Scholz dann am 15./16. September auf einer Führungskräftetagung in Berlin: „Das ist mein Anspruch als Bundeskanzler. Daran können Sie mich messen.“ Immerhin: Mit Hilfe der CDU/CSU wurde das Grundgesetz am 3. Juni 2022 so geändert, dass ein 100 Milliarden schweres „Sondervermögen“ für die Bundeswehr geschaffen wurde.
Messen wir Scholz an seinem eigenen Anspruch und nehmen das Ergebnis vorweg: Mit der Ertüchtigung der Bundeswehr und der Umsetzung des 100-Milliarden-Programms geht es nur im Schneckentempo voran, es gibt sogar erste Streichlisten. Anschaulich zu besichtigen war das am 26. Oktober, als die Arbeitsgruppe „Sondervermögen“ zusammenkam und ein erstes „Streichkonzert“ veranstaltete. Anlass: Der Bundesrechnungshof hatte massiv Einsprüche erhoben.
Streichliste statt Investitionsprogramm
Aber: Wo streichen, wo kürzen? Beim neuen F-35-Kampfjet, der in den USA gekauft werden soll? Oder bei der nächsten Tranche des Eurofighters? Das Heer wird jedenfalls vorerst keinen Nachfolger für den Transportpanzer „Fuchs“ bekommen. Verzichten muss vor allem die Marine: Die Option für das fünfte und sechste Schiff der neuen Fregatte F-126 wird vorerst nicht gezogen. Die bisher vorgesehenen 2,4 Milliarden Euro für den Ersatz der Korvette 130 der ersten Generation werden auf null zusammengestrichen. Das neue Laser-Schutzsystem, mit dem sich U-Boote gegen die Bedrohung durch Flugzeuge oder Hubschrauber wehren sollen, wird zwar weiterentwickelt, aber vorerst nicht beschafft. Statt zwölf Flugzeugen sollen nur noch acht Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon gekauft werden. Das Programm wird um 1,9 Milliarden auf 1,2 Milliarden Euro zusammengestrichen. Um auch das bezahlen zu können, wird Geld aus allen Ecken zusammengekratzt. So sollen Einnahmen aus den Bundeswehrkrankenhäusern genutzt werden, um die Schiffe zu bezahlen.
Und generell? Für das laufende Jahr wird der Etat des Verteidigungsministeriums von rund 45 auf 50,3 Milliarden Euro erhöht. Zum „Zwei-Prozent-Ziel“ der NATO fehlen indes immer noch gut 20 Milliarden. Und woher sollen die kommen? Sie kommen also doch aus den 100 Milliarden. So wird es weitergehen, bis die 100 Milliarden im Jahr 2025 aufgebraucht sind. Dann jedoch sind keine weiteren 100 Sonder-Milliarden in Sicht, und der Bundestag muss ohne Rückgriff auf ein „Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) die für die zwei Prozent notwendigen 75 bis 80 Milliarden pro Jahr für die Bundeswehr schultern. Hinzu kommt: Die Inflation frisst einen erheblichen Teil der 100 Milliarden auf.
Das war einmal geplant
Die folgenden Punkte zeigen den Unterschied von Dichtung und Wahrheit:
• 20 Milliarden sollten es nach NATO-Vorgabe für Munitionsbevorratung sein. In seiner „Bereinigungssitzung“ am 11. November hat der Haushaltsausschuss des Bundestages jedoch lediglich Beschaffungen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen im Umfang von insgesamt 8,4 Milliarden Euro erlaubt.
• Für eine hinreichende Schutzausrüstung (Helme, Westen, Nachtsichtgeräte) sind zehn Milliarden zu veranschlagen. Pläne dafür liegen jedoch nicht vor.
• Für den Kauf von 35 Stück des US-Kampfjets F-35A (Stückpreis je rund 100 Millionen) sind 3,5 Milliarden zu veranschlagen.
• 60 Stück des CH-47 Chinook Transporthubschraubers sind schon bestellt. Kostenpunkt: zirka sechs Milliarden. Hier drohen allerdings aufgrund eines mangelhaften Auswahlverfahrens Verzögerungen um zwei Jahre und Stückzahlreduzierungen, wie die Regierung am 9. November im Verteidigungsausschuss einräumte. Die Regierung räumte in der Geheimsitzung zudem Probleme mit der Luftbetankung beim Chinook ein. Damit wackelt das Motiv, warum man überhaupt die Chinook ausgesucht hat.
• 15 atomwaffenfähige Eurofighter sollen neu für ECR (Electronic Combat and Reconnaissance = Bekämpfung von Radarsystemen) angeschafft werden. Auch hier geht es vermutlich um einen Zwei- bis Drei-Milliarden-Betrag.
• Kostspielig ist und bleibt das deutsch-französisch-spanische Kampfjetprojekt FCAS (Future Combat Air System). Die Abgeordneten verabschiedeten dazu nun einige „Maßnahmebeschlüsse“. Da es aber jetzt schon Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland gibt, und der erste einsatzfähige FCAS-Jet ohnehin erst im Jahr 2040 einsatzbereit sein soll, ist auch ein Scheitern des Projekts nicht ausgeschlossen.
• Die überfällige Digitalisierung der Kommunikationssysteme kostet drei Milliarden.
„Liste des Grauens“
Noch keineswegs kalkuliert sind die Kosten für neue Kasernen (immerhin soll die Bundeswehr um 20.000 Mann wachsen) und für die Renovierung von bestehenden Kasernen. Auch hier geht es wohl um zweistellige Milliardenbeträge. Ebenfalls einzukalkulieren wäre der bis 2025 geplante Aufwuchs der Bundeswehr von 183.000 auf 203.000 Mann. Hier geht es bestimmt auch um drei Milliarden (jährlich!).
Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, wie sich Deutschland zukünftig gegen eine neue Form des Krieges rüsten will: den Cyber-Krieg. Nicht eingerechnet ist auch die laut Ampel-Koalitionsvertrag geplante Anschaffung von Drohnen. Und noch gar nicht hochgerechnet sind die Kosten einer Vision von Kanzler Scholz, der Ende August in Prag die Errichtung eines „European Sky Shield“, also eines europäischen Raketen-, Drohnen- und Flugabwehrsystems ankündigte.
Vor diesem Hintergrund spricht Ingo Gädechens (CDU), Berichterstatter der Unionsfraktion für den Wehretat, von einem „Trauerspiel“ und einer „politischen Bankrotterklärung“ der Ampelkoalition. Die Vorschläge der Regierung für den Verteidigungshaushalt seien eine „Liste des Grauens“. Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, engster Vertrauter von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), sprach am 8. November bei einer Veranstaltung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) zwar davon, die Anstrengungen der Ampel für die Bundeswehr seinen „massiv“. Teilnehmer der Veranstaltung waren da aber anderer Meinung: Bislang sei nur eine Fortsetzung der Mangelwirtschaft in der Treppe erkennbar. Von den laut jüngster Prognose steigenden Steuereinnahmen soll die Bundeswehr ohnehin nicht profitieren. Auch bei führenden Militärs halten sich die Hoffnungen in Grenzen. Nach ihrem Eindruck glaubt die Ampel, mit der Einrichtung des Sonderschuldentopfs sei ihre Arbeit getan.
Die deutsche Rüstungsindustrie geht weitgehend leer aus
Doch welche Käufe auch immer getätigt werden, einen Verlierer gibt es jetzt schon: die deutsche Rüstungsindustrie. Der Kampfjet F-35, der Transporthubschrauber CH-47 Chinook, der U-Boot-Jäger P-8A Poseidon – alles soll, weil schneller verfügbar, im Ausland eingekauft werden. Aber: „Wer im fremden Regal einkauft, anstatt zu entwickeln, der lässt die heimische Industrie verkümmern“, heißt es aus der Branche.
Sogar bei der Wartung ignoriert die deutsche Politik die eigene Industrie. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) sieht beim geplanten Kauf von F-35-Kampfjets und CH-47F Chinook-Schwerlasthubschraubern für mehr als 16 Milliarden Euro die Gefahr, nahezu leer auszugehen. Bislang gebe es aus dem Verteidigungsministerium oder der Bundesregierung noch nicht einmal die Forderung an die USA, dass die einheimischen Unternehmen zumindest bei der Reparatur, Instandsetzung und Betreuung der Modelle eingebunden wird, kritisierten BDLI-Repräsentanten jüngst in einer Video-Konferenz. Damit entstehe eine gefährliche Abhängigkeit. Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Branche wäre dies ein großer Schaden, sowohl für die militärische als auch für die zivile Luftfahrt. Der Verband fordert denn auch: Die deutsche Rüstungsindustrie sollte auf Augenhöhe mit am Tisch sitzen „und nicht alles den Freunden in den USA überlassen“.
Politik und Generalität schweigen
Als die Bundeswehr vor allem in den Merkel-Jahren mehr und mehr ins Straucheln geriet, prägte sich der Begriff der „schweigenden Generalität“. Damit war gemeint, dass die rund zweihundert Generale und Admirale ja eigentlich gegen den Verfall und das Kaputtsparen der Bundeswehr hätten aufbegehren müssen, dies freilich kaum getan haben, da sie als politische Beamte ohne Angabe von Gründen jederzeit in den Ruhestand entlassen werden konnten. So manche Minister von Struck über zu Guttenberg bis hin zu von der Leyen haben davon Gebrauch gemacht. Nicht einmal der frühere Generalinspekteur Schneiderhan sowie Staatssekretär Wichert blieben 2009 verschont, weil Guttenberg sich nach der Bombardierung zweier Tanklaster bei Kundus schlecht informiert fühlte. Ursula von der Leyen schasste 2018 den obersten Luftwaffengeneral, Generalleutnant Müllner, weil dieser sich für den Kauf des US-Kampfjets F-35 ausgesprochen hatte. Jenes F-35, von dem nun 35 Stück eingekauft werden.
Nur ein einziger aktiver ranghoher Soldat, der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hat derzeit den Mumm, Klartext zu reden. Bereits am Morgen des 24. Februar 2022, als Russland den Überfall auf die Ukraine gestartet hatte, postete er auf LinkedIn: „Du wachst morgens auf und stellst fest: Es herrscht Krieg in Europa.“ Und weiter: Die Bundeswehr stehe mehr oder weniger blank da. Sie sei lediglich bedingt einsatzbereit, ihre Optionen seien extrem limitiert.
Auch jetzt ist Mais nicht bereit, die Lage zu beschweigen. In einem Interview für die „Süddeutsche“ vom 11. November sagte er: „Wir könnten keinen Kampf über mehrere Wochen führen.“ Grund: Weil Deutschland seit Beginn des Krieges die Ukraine mit vielen Waffenlieferungen unterstütze, litten gerade die Bedürfnisse der eigenen Armee. An der praktischen Umsetzung des 100-Milliarden-Projekts habe sich seit Februar nicht viel getan. „Wir verfügen derzeit über keine komplette deutsche Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen.“ Unter anderem in der Artillerie sieht Mais einen „riesigen Aufholbedarf“. Und „das Heer, so wie es heute dasteht, verfügt noch über vier Artilleriebataillone, etwa 100 Panzerhaubitzen und knapp 40 Raketenwerfer Mars. Von denen ist tagesaktuell immer nur ein Teil einsatzbereit.“ Unter dem Strich heißt das für Mais: „Es ist weniger da als vor dem Kriegsbeginn.“
Von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) übrigens hört die Öffentlichkeit nahezu nichts: keine Forderungen, keine Warnungen, keine Perspektiven. Schon gar kein Machtwort. Das überlässt sie ihrem Kanzler, der Lambrecht ja wohl nicht nur aus Proporzgründen berufen hat, sondern weil er damit rechnen konnte, dass sie in Sachen Bundeswehr Laie bleiben würde. Da fragt man sich allerdings, was die Bundeswehr noch alles an der Spitze ertragen soll. Und das obendrein in einer Zeit, in der mitten in Europa und nur eineinhalb Flugstunden von Berlin entfernt ein Krieg tobt.
• Josef Kraus war von 1991 bis 2014 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung des Bundesministers der Verteidigung. 2019 erschien „Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (Finanzbuch-Verlag, 2., vollständig überarbeitete Auflage 2021).
www.m-vg.de/finanzbuchverlag
Ralf Pöhling am 12.12.22, 09:43 Uhr
Im Verteidigungsministerium weiß man ganz genau, was wir hier wirklich für eine Bedrohungslage haben. Seit Jahren. Die derzeit kursierende Beschaffungsliste hilft dabei nicht. Was wir brauchen, sind flächendeckend gut ausgebildete, gut ausgerüstete und dezentral in Deutschland positionierte Kräfte. So wie in Israel die IDF oder die Schweizer Armee. Dafür braucht es kein schweres Material. Bestenfalls Panzer, Drohnen, Roboter und Nachtsichtgeräte sowie das übliche Kleinwaffenrepertoire. Das schwere Material muss die NATO bzw. die Amerikaner selbst liefern, wenn es denn alsbald krachen sollte. Was auch folgerichtig ist, denn das Problem ist von den Amerikanern wegen ihrer falschen strategischen Ausrichtung zu großem Teil selbst ausgelöst worden. Wir haben eine sich zweigleisig darstellende Bedrohung: Einmal innerhalb Deutschlands, einmal außerhalb. Die Innerhalb braucht die genannten dezentral positionierten Kräfte und nur die außerhalb das wirklich schwere Material. Was außerhalb Deutschlands passiert, ist aber zuvorderst nicht unsere eigene Aufgabe, sondern die der NATO als Verteidigungsverbund. Sofern die NATO nicht gewillt sein sollte, in der jetzigen Situation ihrem Auftrag nachzukommen, dann sollten wir dort austreten. Aber dann braucht es auch kein US Rüstungsmaterial, was von dort aus an oder abgestellt werden kann, sondern einzig deutsches Rüstungsgut, wo wir Nachschub und Freischaltung selbst in der Hand haben.
Gregor Scharf am 21.11.22, 14:59 Uhr
Während die russische Wirtschaft bereits vor Monaten auf Kriegswirtschaft umgestellt wurde, geschieht hier nahezu nichts, wird kriegsentscheidende Zeit vertan. Das ist in höchstem Masse verantwortungslos und lässt darauf schließen, dass wir nicht kämpfen sollen. Da kann man jedem Deutschen nur raten, sich das Rüstzeug zur Verteidigung der Heimaterde anderweitig zu besorgen. Wer sich auf andere verlässt, der ist verlassen.
Ulrich Bohl am 20.11.22, 11:15 Uhr
Steinschleudern wären billige und dem grünen
Mainstream in Deutschland angemessene Waffen.
Kein Blitz, kein Knall und kein Qualm beim Abschuß.
Die Führung der Bundeswehr trägt durch ihr Schweigen
und kuschen gegenüber militärischen Laien eine Mitschuld an diesem Zustand. Ebend eine Parlamentsarmee. Jeder Soldat hat nach der Grundaus-
bildung mehr Sachkenntnis als unsere Verteidigungs-
ministerinen der Vergangenheit und der Gegenwart.