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Der ehemalige Berliner FDP-Politiker Marcel Luthe, heute Freie Wähler, im Gespräch
Marcel Luthe war lange das bundesweit bekannteste Gesicht der Berliner FDP. Er holte bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 das beste Erst- und Zweitstimmenergebnis für seine Partei. Beim Aufdecken politischer Skandale machte er sich einen Namen. Mittlerweile zu den Freien Wählern gewechselt, kämpft er derzeit für die Wiederholung der Bundes- und Landtagswahl vom vergangenen September im Land Berlin, nachdem erhebliche Verstöße gegen das Wahlgesetz bekannt geworden sind. Mit Luthe sprach PAZ-Mitarbeiter Klaus Gröbig.
Sie haben die FDP im Oktober 2020 verlassen und sich den Freien Wählern (FW) angeschlossen. Nun sitzen die Liberalen in der Bundesregierung, während Ihre eigene Partei den Einzug in den Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus klar verpasst hat. War Ihr Schritt ein Fehler?
Keinesfalls. Ich konnte nicht länger verantworten, dass Menschen, die meine Politik richtig finden, damit irrtümlich Marco Buschmann oder Joachim Stamp unterstützen. Es war ein Fehler der FDP, rot-grün zur Regierungsmehrheit zu verhelfen. Ausgetreten bin ich, weil die FDP über die letzten zwei Jahrzehnte sich so sehr verändert hat, dass ich meine Partei nicht wiedererkannt habe, sie völlig beliebig geworden ist. In Berlin stimmt man sogar mit der SED – neben SPD und Grünen – für Verfassungsänderungen.
Generell fällt die Bilanz der FW bislang durchwachsen aus, sie sind nur in einige Landtage eingezogen. Was bedeutet das für den weiteren Weg Ihrer Partei?
Ich habe auf Bitten der Freien Wähler hier in Berlin die Spitzenkandidatur zur Abgeordnetenhauswahl übernommen und einen optisch, inhaltlich und personell eigenständigen Weg beschritten. Wir haben mit dem ehemals ranghöchsten Polizeibeamten Berlins, Professor Michael Knape, einen absoluten Sicherheitsfachmann, mit Carsten Stahl den bekanntesten Kinderschützer weltweit, und welches Ergebnis das in Berlin wirklich gebracht hat, werden wir sehen, wenn über meine Anfechtung der Berliner Wahlen entschieden wurde.
Welche Wählergruppen wollen Sie künftig ansprechen?
Meine Partei wird all diejenigen erreichen, die es leid sind, eine Wundertüte zu wählen. Es ist eine Verhöhnung des Staatsbürgers, wenn er alle vier Jahre mal nach seinem Willen gefragt wird, ohne dass er wirklich noch einen bestimmten Kurs entscheiden kann. Schauen Sie sich die aktuelle Lage an: Die Union versteht sich als liberale Partei knapp schräglinks der Mitte, die FDP macht eine bestenfalls grüne Politik, die SPD hat überhaupt keine wahrnehmbare Position mehr und die Grünen wollen plötzlich in Kriegen agieren.
Und auch die AfD schwankt zwischen wenigen intelligenten Demokraten und überzeugungslosen Extremisten. Wer also wählt, meist Figuren ohne Rückgrat, der kann nicht wissen, was er vier Jahre lang damit bekommt. Politik muss von Menschen mit Überzeugungen betrieben werden, die nicht beim ersten Wind umfallen. Dann gewinnen wir auch die größte Gruppe und damit jede Wahl: die Nichtwähler.
In diesem Zusammenhang ist es spannend, dass Sie eine unabhängige Gewerkschaft gegründet haben. Warum wird ein Wirtschaftsliberaler zum Gewerkschaftsführer?
Der Liberalismus stand doch an der Wiege der Gewerkschaften: Mit Max Hirsch als Begründer der ersten liberalen Gewerkschaftsverbindung, die im 19. Jahrhundert auf die Eigenständigkeit der Arbeiter und deren Selbstbestimmung setzte, hat unser Wirken als Good Governance Gewerkschaft – nicht umsonst als GG-Gewerkschaft abgekürzt – eine viel fundiertere historische Grundlage als die sich heute vor allem als linke Wahl- und Agitationsvereine verstehenden Gewerkschaften im DGB.
Die Werteordnung des Grundgesetzes setzt den souveränen Staatsbürger voraus, der selbst sein Schicksal in die Hand nimmt und informiert entscheidet. Schauen Sie sich doch nur an, wie viel staatliche Bevormundung überall, aber besonders am Arbeitsplatz in der sogenannten Corona-Krise plötzlich widerspruchlos eingeführt werden konnte. Wir brauchen Gewerkschaften, die dieser freien Werteordnung – dem Kern des Grundgesetzes – wieder Durchschlagskraft verleihen. Und die Resonanz – deutlich vierstellig nach drei Monaten – gibt uns Recht.
Bundeswahlleiter Georg Thiel hat gerade empfohlen, die Bundestagswahl und die Abgeordnetenhauswahl in Berlin zu wiederholen. Wie stehen Sie zu dem Thema?
Während Herr Thiel auf zwei Seiten die Bundestagswahl in Berlin angefochten hat, ohne auch nur die Niederschriften aus den Wahllokalen und damit die Gesamtsituation zu kennen, habe ich auf über 400 Seiten haarklein – auch und besonders für die Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen – die Gründe der Anfechtung dargelegt und als Erster alle Berliner Wahlen angefochten. Wir haben mit einem Team aus freiwilligen Helfern und unglaublich engagierten jungen Journalisten aktuell 25.000 Seiten Protokolle ausgewertet, und ich kann Ihnen sagen: Dieses Abgeordnetenhaus – und damit dieser Senat – ist nicht aus Wahlen im Sinne des Art. 38 GG hervorgegangen und hat daher keine demokratische Legitimation.
Es steht für mich außer Frage, dass diese Wahl wiederholt werden muss – und damit auch das vorherige Abgeordnetenhaus bis dahin im Amt ist. Denn ein Parlament ist erst dann aufgelöst, wenn sich das neue legal konstituiert. Das ist aber bis heute nicht passiert – eben wegen der Wahlmängel.