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Gezwungen statt gewollt: So mancher Nutzer verzweifelt bei der heutigen Gebrauchspflicht von Computer, Smartphone und Internet
Foto: pa/blickwinkel/McPHOTOGezwungen statt gewollt: So mancher Nutzer verzweifelt bei der heutigen Gebrauchspflicht von Computer, Smartphone und Internet

Gesellschaft

Digitales Zeitalter – wenn Moderne zur zwanghaften Pflicht wird

Ohne Internet, Computer oder Smartphone geht oftmals gar nichts mehr. Ob bei Behörden, beim Einkaufen oder in der Bahn – Immer mehr Menschen werden mit Druck ins Internet genötigt

Wolfgang Kaufmann
12.08.2024

Wie die meisten Neuerungen heutzutage, hat auch die Digitalisierung ihre Schattenseiten. Dazu zählen unter anderem die Cyberkriminalität und der Digitalzwang. Der Zwang findet auf vier Ebenen statt. Es fehlen zunehmend analoge Alternativen, um auch ohne Smartphone oder Computer am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Zudem wird enormer Druck ausgeübt, bestimmte Geräte, Programme oder Apps einzelner Hersteller nutzen zu müssen. Weiter besteht immer öfter die Pflicht, ein digitales Konto anzulegen und dabei umfangreiche Angaben über die eigene Person zu machen. Und zu guter Letzt führt der Digitalisierungszwang auch sonst zur unfreiwilligen Aufgabe von Privatsphäre. Die aufgenötigten Dienste sind nur verfügbar, wenn die Nutzer bereit sind, diverse Überwachungstechnologien zu akzeptieren.

Das alles ist zugleich extrem diskriminierend und damit das Gegenteil der viel beschworenen Inklusion. Immerhin verzichten 3,4 Millionen Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren auf die Nutzung des Internets. Bei den über 80-Jährigen verfügen gar 66 Prozent über keinen Internetanschluss. Außerdem ermittelte der Digitalverband Bitcom, dass mehr als die Hälfte der Menschen über 65 Jahre kein Smartphone besitzt. Ansonsten liegt die Quote der „Totalverweigerer“ hier quer durch alle Altersgruppen der Erwachsenen bei zehn Prozent. Damit werden durch den Digitalzwang Millionen von Bundesbürgern von einem wesentlichen Teil des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, wobei die Älteren und Ärmeren überdurchschnittlich betroffen sind.

Viele Angebote nur noch digital
Wie groß die Einschränkungen dabei mittlerweile ausfallen, geht aus der Liste der Bereiche hervor, in denen der Druck zur Verwendung eines Smartphones oder Computers überhandnimmt. So sind Rabatte auf Fahrpreise des Staatsunternehmens Deutsche Bahn und das verbilligte Deutschlandticket im Regelfall nur noch auf digitalem Wege erhältlich. Ebenso gibt es ohne Smartphone keine Tickets im Zug mehr. Ein weiterer Vorreiter bei der Zwangsdigitalisierung ist das Logistik-Unternehmen DHL. Wenn Sendungen in Paketstationen landen, weil der Postbote den Empfänger verpasst hat, dann hat der Kunde nun oft ein Problem, sofern er ohne Smartphone ist. Denn in vielen Paketstationen erhalten Abholer ausschließlich mit der „Post & DHL App“ Zugang.

Ähnlich rigoros agiert Deutschlands zweitgrößte Supermarktkette Rewe. Seit dem 1. Juli verzichtet sie auf Werbung in Papierform. Nun sollen sich die Kunden die Informationen über Sonderangebote mithilfe des Internets oder der – sehr fleißig Daten sammelnden – Rewe-App beschaffen. Und auch in etlichen Restaurants sind Menschen ohne Smartphone inzwischen unwillkommen: Anstatt der Speisekarte prangt ein QR-Code auf dem Tisch, den man einscannen soll, um dann seine Auswahl zu treffen.

Überwachung per App
Massiven Digitalisierungszwängen sind zudem Studenten an deutschen Universitäten ausgesetzt. Ohne Smartphone bleibt ihnen oftmals der Zugang zu Bibliotheken oder die Nutzung des Semestertickets verwehrt. Eine ausnehmend üble Praxis ist die Vergabe von Arztterminen ausschließlich über Apps privater Anbieter oder das Internet. Und dann wären da noch die Kommunen, deren Parkplätze nur für Smartphonebesitzer nutzbar sind. Die Nötigung der Bürger zum Gebrauch von Smartphones oder Computern wird meist mit Kosten- und Umweltargumenten entschuldigt. Und tatsächlich führt die Nutzung von Apps und anderen digitalen „Angeboten“ zur Einsparung von Personal und materiellen Ressourcen wie Papier und Plastik.

Allerdings bietet die Digitalisierung auch die Möglichkeit der Bevölkerungskontrolle. Zur Erinnerung: Während der Corona-Zeit war der auf dem Smartphone gespeicherte Impfnachweis oftmals Voraussetzung für den Zugang zu Örtlichkeiten und Dienstleistungen. Heute kann die Bahn ihre Kunden mit der App „DB Navigator“ überwachen. Die App registriert beispielsweise, wer wann mit wem wohin fahren möchte. Dabei gibt es keine Möglichkeit, dem zu widersprechen, was auch für die Weitergabe der Daten an Dritte gilt. Darüber hinaus besteht der Zwang, in regelmäßigen Abständen ein neues Gerät auszuwählen und zu kaufen, um die aus Sicherheitsgründen notwendigen Software-Aktualisierungen vornehmen zu können. Das führt nicht selten zumindest zur finanziellen oder auch mentalen Überforderung.

Abhängigkeit und Suchtgefahr
Dazu kommen die allgemeinen Nachteile der Nutzung von Smartphones. Sie schüren die Erwartung, dass jeder immer und überall erreichbar sein möge. Für manche endet dies im Burnout und für andere in der Sucht. Nach Ansicht des Kulturphilosophen Alexander Grau besteht die Gefahr, dass wir alle nach und nach zu „Sklaven der digitalen Entwicklung“ werden. Deshalb fordern Digitalisierungskritiker wie Rena Tangens, die dem 1987 gegründeten Grundrechte- und Datenschutzverein Digitalcourage vorsitzt, auch das „Recht auf ein analoges Leben“. Tatsächlich kann Widerstand gegen den Digitalisierungszwang erfolgreich sein. Der 80-jährige Carlos San Juan aus Valencia sammelte 600.000 Unterschriften für seine Petition „Ich bin zwar alt, aber kein Idiot!“, mit der er erreichte, dass Banken in Spanien endlich wieder vermehrt analoge Angebote machen.

In der Bundesrepublik besteht ebenfalls die Möglichkeit, entsprechende Petitionen zu unterzeichnen oder den Digitalzwang-Melder von Digitalcourage zu verwenden, der natürlich ebenso digital funktioniert, damit der Verein dann seinerseits Druck auf Unternehmen und Behörden ausübt.


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Kommentare

Kerstin Kermas am 27.08.24, 19:26 Uhr

Schritt für Schritt weiter zum "gläsernen" Menschen:
https://www.lr-online.de/nachrichten/brandenburg/bus-in-berlin-bvg-akzeptiert-kein-bargeld-mehr-fuer-ticketsnbsp-die-alternativen-77472036.html
Was ist schon ein § 14 BBankG wert:
"(1) ... Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel. ..."

Kerstin Kermas am 14.08.24, 07:56 Uhr

Es geht bei dem Thema ja wohl beileibe nicht nur um das "Nicht KÖNNEN", sondern auch um das "Nicht WOLLEN!" aus den verschiedensten Gründen! Ich selber kämpfe Tag für Tag um die Möglichkeit, zwischen - gleichberechtigter - analoger oder digitaler Erledigung meiner Angelegenheiten WÄHLEN zu DÜRFEN!
DAS muß unbedingt auch weiterhin gleichberechtigt möglich sein!
Im Übrigen finde ich, daß diese gesellschaftliche Entwicklung immer mehr den (damals noch eher fiktiven) Thriller "Der Mastercode" von Scott McBain Wirklichkeit werden läßt und DAS sollte uns Alle beunruhigen.

Dr. Dr. Hans-Joachim Kucharsku am 12.08.24, 14:49 Uhr

Viele ältere Menschen haben Schwierigkeiten, mit neueren technischen Entwicklungen zurechtzukommen. Aber mal ehrlich: Haben nicht auch wir etwas schmunzelnd hingenommen, wenn unsere Großelterngeneration nicht mehr nachvollziehen konnte, was uns selbstverständlich geworden war, weil wir da hineingewachsen waren? Natürlich ist es sehr ärgerlich, wenn Bürger ihren Bedürfnissen nicht mehr nachkommen und Vorteile nicht mehr nutzen können (Beispiele im Artikel) oder wenn die Entwicklungen nur den Verkauf weiterer Geräte ermöglichen sollen (Beispiel: Entfall UKW). Etwas Analogie sollte man den Menschen schon lassen.
Schon in der Vergangenheit schritt die Entwicklung ständig voran: Wer arbeitet heute noch mit Logarithmentafeln, ohne die ein höherer Schulbesuch unmöglich war? Wer kennt noch einen Rechenschieber, ohne den ein technisches Studium unmöglich war? Und wer greift heute noch zu einem Lexikon, wenn er nicht politisch korrekt verseuchte Erklärungen nachlesen will? Das Schnurtelephon, das sich nur wenige leisten konnten, ist mit dem Handy zum Allzweckgerät geworden. Leute mögen ein noch so schlichtes Denkvermögen haben, eine solche Scherbe vor der Nase haben sie dennoch. In den 60er Jahren hatte ein 64-kByte-Rechner (mit dem ich meine erste Dissertation – Optimierungsproblem – abhakte) Schrankgröße; heutige Handies haben eine millionenfache Speicherkapazität.
Es gehört wenig Phantasie dazu vorherzusagen, daß sich diese Entwicklungen auch in Zukunft fortsetzen werden. Und dann werden es die heutigen Lästerer sein, die diese dann ebenfalls nicht mehr verstehen. Deshalb sollten Sie, wenn Sie auch zwangsläufig gefordert sind, es mit der neuen Technik zu versuchen, es gelassen nehmen, wenn Sie mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten können; denn das war schon immer so.
Dr. Dr. Hans-Joachim Kucharski, Mülheim

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