24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Rekonstruktion der Stasi-Akten

Dilettantismus oder fehlender Wille?

Wie die Erschließung der zerrissenen Stasi-Akten verschleppt wird

Wolfgang Kaufmann
01.04.2021

Im Herbst 1989 begann das DDR-Ministerium für Staatssicherheit mit der systematischen Vernichtung seines Aktenmaterials. Dieses wurde zum Teil gründlich geschreddert oder verbrannt, zum Teil aber auch nur von Hand in mehr oder weniger große Stücke gerissen. Beim Sturm auf die Stasi-Zentralen konnten die Bürgerrechtler im Dezember 1989 und Januar 1990 rund 16.000 Säcke mit derart vorvernichteten Dokumenten sicherstellen. Die enthielten schätzungsweise 600 Millionen Papierschnipsel, die zusammengefügt etwa 55 Millionen Blatt ausmachen würden. Da davon auszugehen ist, dass die Stasi während der Agonie der DDR vor allem die als wichtigsten und belastendsten Akten beiseiteschaffen wollte, wäre es aufschlussreich, alle erhalten gebliebenen Fragmente wieder zusammenzusetzen. Das erkannte mittlerweile auch der Deutsche Bundestag, der das Stasi-Unterlagen-Gesetz am 19. November 2020 insofern novellierte, als es nun die „Rekonstruktion und Erschließung von zerrissenen Unterlagen“ verbindlich und explizit vorschreibt.

Offensichtliche Verzögerung

Das Puzzlespiel hatte allerdings schon sehr viel früher begonnen, nämlich 1995. Ab diesem Jahr setzten vor allem Angehörige des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im bayerischen Zirndorf die Schnipsel von Hand zusammen, bevor sie im Zuge der Asylkrise von 2015 neue Aufgaben bekamen. Die manuelle Rekonstruktion, die anschließend mit weniger Personal und geringerer Geschwindigkeit fortgesetzt wurde, führte bis Ende 2020 zur Wiederherstellung von gut 1,67 Millionen Blatt aus 497 Säcken. Angesichts dieses schleppenden Tempos forderte der Bundestag bereits im Jahre 2000, das Verfahren mittels geeigneter Technik zu beschleunigen.

Den Zuschlag zur Lieferung der sogenannten Stasi-Schnipselmaschine, offiziell „ePuzzler“ genannt, erhielt im Frühjahr 2007 das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin. In einem Pilotprojekt sollten geschätzte 16 Millionen Fragmente aus 400 Säcken virtuell zusammengesetzt werden. Allerdings gelang es bis 2014 lediglich, den Inhalt von 23 Säcken zu scannen und von elf Säcken zu rekonstruieren, wofür laut dem Bundesrechnungshof Gesamtkosten in Höhe von 14 Millionen Euro anfielen. Als größter Bremsklotz erwies sich der ePuzzler. Zur Verteidigung ist allerdings anzuführen, dass offenbar ungeeignete beziehungsweise unrealistische Parameter, welche die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) vorgab, die Benutzung des Gerätes derart erschwerten, dass das manuelle Zusammensetzen deutlich schneller ablief als das technikgestützte. Jedenfalls bewilligte der Bundestag im Dezember 2014 weitere zwei Millionen Euro, damit das IPK seine Arbeit mit einem leistungsfähigeren Scanner fortsetzen konnte, der inzwischen seit geraumer Zeit bereitstand. Dieses Geld wurde vom BStU-Chef Roland Jahn aber bislang nicht freigegeben. Deshalb ruht die Rekonstruktion seit 2016.

Wem nützt das?

Für den Historiker und Vorsitzenden des Bürgerkomitees 15. Januar e.V. Christian Booß ist das Projekt der Wiederherstellung und Lesbarmachung von zerrissenen Stasi-Akten damit „faktisch tot“. Das veranlasste die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) am 24. Februar dieses Jahres zu einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung, weshalb das Vorhaben nicht energischer vorangetrieben werde. Auf diese Anfrage antwortete die für den BStU zuständige Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters (CDU) am 10. März, dass es momentan „keinen sofort einsatzfähigen Scanner“ gebe, der „die besonderen Anforderungen des Projekts“ hinsichtlich der Arbeitsgeschwindigkeit erfülle. Daher könne die Dienststelle des BStU auch keinen neuen Vertrag mit dem IPK abschließen, werde das aber selbstverständlich tun, sobald die Voraussetzungen dafür vorlägen. Und Jahn verkündete kurz darauf im Interview mit dem Deutschlandfunk, er warte auf neue „technologische Entwicklungen“ und hoffe, „dass das Projekt dann weitergeht“.

Angesichts dieser ganz offensichtlich dilatorischen Haltung bleibt es momentan dabei, dass rund 20 Mitarbeiter des BStU mit der Puzzlearbeit von Hand fortfahren. Geht es so weiter, können noch Jahrhunderte ins Land gehen, bis sämtliche Schnipsel aus den 16.000 Säcken zusammengesetzt sind. Es drängt sich die Frage auf, wem das nützt.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Tom Schroeder am 09.04.21, 21:26 Uhr

Im Jahr 2000 arbeitete ich in einer Softwarefirma in Rheinland-Pfalz (Neustadt/Wied), die angeblich damals schon eine Technologie besaß, womit sich dieses Problem hochgradig automatisiert lösen ließe. Es dauerte nicht lange, da kam Kanzler Schröder mit Ministerpräsident Beck , beide spd, zu Besuch (wir verputzten dann das zu 90% für alle "übrig" gebliebene Bankett in der Aula - lecker). Danach hörte man dann nix mehr davon, eben kein Auftrag das zu tun - ein Schelm wer Böses dabei denkt...

Michael Holz am 03.04.21, 10:54 Uhr

"Es drängt sich die Frage auf, wem das nützt."
Die Antwort ist ganz einfach: Den noch lebenden SED- und Stasibonzen und ihren westdeutschen Helfershelfern. Wenn Kommunisten ungestraft unser Land zerstören dürfen, egal in welcher Tarnfarbe und eine Stasi-IM Bundeskanzlerin ist, dann werden die Schnipsel eines Tages nicht mehr von Bedeutung sein. Für die roten Verbrecher bedeutet es: Nur Zeit gewinnen!

Peter Kurz am 03.04.21, 09:58 Uhr

Eine Milliarde mehr für den Kampf gegen rechts? Kein Problem!
Eine Million mehr zur Enthüllung der Stasivergangenheit?
Zu teuer!

Karl Endemann am 02.04.21, 08:25 Uhr

Und selbst wenn alle Schnipsel rasch zusammengesetzt werden würden, würde das auch nichts nutzen, denn dann hemmt die BStU mit fadenscheinigen Argumenten die Akteneinsicht, wenn es sich um Personen in Amt und Würden handelt = eine persönliche Erfahrung von mir.
Die Aktenrekonstruktion wird frühestens dann in nennenswertem Umfang stattfinden, wenn der letzte Stasi-Spitzel im Rentenalter oder im Jenseits ist.

sitra achra am 01.04.21, 15:17 Uhr

Immer schön weiter puzzlen, bis die Stasiakte von IM Erika zum Vorschein kommt.

Siegfried Hermann am 01.04.21, 10:46 Uhr

Ich sach ma so:
Wenn der "halbe Berliner Senat*Innen (s/l/d)" und in ausreichender Menge im Buntentag samt ihrer besten, beliebtesten FdJ-Sekretär*Innen (s/l/d) aller Zeiten mit Stasi-Seilschafts-Leuten durchsetzt ist...
wem wunders das keine Bewegung in die Sache kommt!?!`

Nebenbei Technik
Es gab in den späten 90ziger Jahren schon software von den US-ABC-Diensten, die selbstständig (!!) kreuzgeschredderte Schnipsel wieder lesbar machten. Da reichten selbst die damals gängigen Profi-Scanner aus.
Mann muss nur wollen.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS