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Raffael Scheck schildert den „Frühling 1940“ aus verschiedenen Blickwinkeln
Der Autor Raffael Scheck legt ein Buch über den Zweiten Weltkrieg vor mit dem besonderen Gesichtspunkt der Reaktion und der Eindrücke der Menschen, die 1939/1940 in den Kampfgebieten der Beneluxstaaten, in Nordostfrankreich und in den Grenzregionen im Westen Deutschlands lebten, also nur bezogen auf diesen Teil Europas.
Beginn des Krieges war der 1. September 1939 mit einer schnellen Niederlage Polens. Als Reaktion erklärten bereits Anfang September Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg. Man rechnete nach dem Polen-Feldzug mit einem zeitnahen Angriff an der Westfront, gegen Frankreich, das geschah nicht. Auf den Zeitraum vom Beginn des Krieges 1939 und der Niederlage der Franzosen im Juni 1940 konzentrieren sich die Untersuchungen des Autors.
In vier Hauptkapiteln, die jeweils inhaltlich gegliedert werden, folgt er den Orten der bedeutendsten Schlachten. Zum Beispiel: „Kriegsausbruch und Sitzkrieg“ mit Teilabschnitten wie „Frankreichs Eintritt in den Krieg“ oder „Das zweite britische Expeditionskorps“ und an anderer Stelle „Dünkirchen: Sieg oder Niederlage?“. Sehr hilfreich für den Leser ist die Karte des behandelten Raumes mit genauen Angaben der wichtigsten Orte. Wünschenswert wäre zusätzlich eine Zeittafel mit den zahlreichen in der Darstellung genannten Daten gewesen.
Scheck hat mit großer Akribie an seinem Buch gearbeitet, wie die zahlreichen Anmerkungen, Quellen, Briefe, Tagebücher und vor allem die kommentierten Zeitzeugen-Aussagen belegen. Dies sind überwiegend schriftliche Zeugnisse von Militärangehörigen, aber auch von Zivilisten. Belgier – Flamen und Wallonen –, Franzosen, Engländer, Deutsche und Italiener sind die sich feindlich gegenüberstehenden Nationalitäten. Der Leser findet bekannte Namen: Lion Feuchtwanger, Hans Habe oder Ernst Jünger und Astrid Lindgren. Diese Persönlichkeiten zeigen auch, dass sich unter den Zeitzeugen – Militärs und Zivilisten – viele Veteranen des Ersten Weltkrieges befinden. Überhaupt spielt dieser erste Krieg in den Erinnerungen der Menschen eine sehr große Rolle, auch weil die nunmehrigen Schauplätze Schlachtfelder von damals sind. Außerdem beträgt der zeitliche Abstand zwischen beiden Kriegen nur 21 Jahre.
Überwiegend schriftliche Zeugnisse von Militärangehörigen und Zivilisten
Als Sitzkrieg kennzeichnet auch Scheck die Phase bis zum Angriff Deutschlands auf Frankreich. Am 9./10.Mai 1940 beginnt dieser mit dem Angriff auf Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Der Autor behandelt nun anhand der Quellen und eigener Interpretationen die einzelnen Orte, an denen entscheidende Kämpfe stattfanden, bis zum Waffenstillstand mit Frankreich am 25. Juni 1940. Einen breiten Raum nehmen die Ereignisse um Dünkirchen ein: für die Franzosen war es eine herbe Niederlage, für die Engländer ein großer Erfolg, weil der größte Teil des Expeditionsheeres nach Großbritannien überführt werden konnte. Für Deutschland war es ein Erfolg, man rechnete mit einer baldigen Invasion auf die britischen Inseln.
In den zahlreichen Anmerkungen der Unterlegenen spiegeln sich in allen Phasen des Westfeldzuges die Empfindungen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen wider. Sie zeigen die Schrecken, Schmerzen, Verwundungen durch den Krieg vornehmlich bei der Zivilbevölkerung, bei Frauen, Kindern und Senioren. Es ist aber auch von Grausamkeiten und Verbrechen durch Truppen der Waffen-SS zu lesen.
Überraschend sind nicht wenige Aussagen von belgischen, britischen und französischen Zeitzeugen über Spannungen und gegenseitige Vorwürfe unter den Bündnispartnern. Ein großes Pro-blem für die Menschen war die Sorge und Angst vor Spionen im eigenen Umfeld, das heißt einer fünften Kolonne, die dem Gegner wichtige Informationen lieferte.
Das ganze Gegenteil waren die zum Teil euphorischen Anmerkungen der deutschen Zeitzeugen, die nicht den Bildern und Erinnerungen entsprachen, die viele Belgier und auch Franzosen an den Ersten Weltkrieg hatten. Der Autor schreibt: „Die ersten Begegnungen mit den Deutschen sind überwiegend positiv und widersprechen den vom Ersten Weltkrieg geprägten Befürchtungen.“ Beachtet werden muss, dass Stimmen in allen Lagern – auch bei Deutschen – erhebliche Unterschiede im Auftreten und Verhalten von Waffen-SS und Wehrmacht deutlich machen.
Unterschiede zwischen Waffen-SS und Wehrmacht
Bei einer Beurteilung des Buches muss grundsätzlich angemerkt werden, dass die Erlebnisse und Eindrücke der Zeitzeugen aus der jeweiligen Augenblickssituation wiedergegeben wurden, die sich im weiteren Verlauf bekanntlich verändert hat. Das Buch beschreibt den Beginn des Zweiten Weltkrieges im Westen und zeigt in Deutschland Siegeszuversicht und Hoffnung auf ein nahes Ende. Wir wissen, dass das Blatt sich wendete, und kennen das Ende 1945. In diesem Rahmen muss das Buch gelesen und verstanden werden, auch als ein Appell gegen den Krieg, der aufrütteln soll.
Raffael Scheck: „Frühling 1940. Wie die Menschen in Europa den Westfeldzug erlebten“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2024, gebunden, 445 Seiten, 28 Euro