12.12.2024

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Familie Bach feiert Weihnachten: J. S. Bach (Devid Striesow) mit seiner zweiten Ehefrau (Verena Altenberger) und den Kindern
bild: ARD Degeto Film/MDR/BR/ORF/EIKON Media/epo Film/Ricardo GstreinFamilie Bach feiert Weihnachten: J. S. Bach (Devid Striesow) mit seiner zweiten Ehefrau (Verena Altenberger) und den Kindern

Kunst

Ein Bach an der Wäscheleine

Das Erste erzählt die Entstehungsgeschichte von Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ als turbulentes Familiendrama

Anne Martin
12.12.2024

Ein Getriebener ist er, dieser Kantor und Organist aus Leipzig, der seine karge Stube mit Notenblättern flutet, die er noch nass von Tinte an Wäscheleinen hängt. Keinen Blick hat er übrig für seine Frau, die doch selbst eine begabte Sängerin ist und seinetwegen ihre Karriere aufgegeben hat.

Ach ja, und dann die vielen Kinder, von denen eines, Gottfried, nicht ganz von dieser Welt ist. Allein seine Kunst interessiert ihn, das Göttliche in der Musik, der Dialog mit Gott. Da kommt die profane Welt einfach zu kurz. Genau 290 Jahre ist es her, dass Johann Sebastian Bach sein „Weihnachtsoratorium“ schrieb, ein Opus Magnum aus Kantaten, Rezitativen, Chorgesang und Orchester in sechs Teilen.

Der Film „Bach – Ein Weihnachtswunder“ (18. Dezember um 20.15, Das Erste) erzählt die Geschichte der Entstehung, so wie sie war oder hätte sein können. Und er zeigt in der malerischen Kulisse von windschiefen Häusern, rumpelnden Kutschen und knarzenden Dielen die Familiengeschichte des genialen Komponisten, der in Wahrheit wohl ein rechter Sturkopf war: Vier Kinder hatte er mit seiner ersten, verstorbenen Frau. Nach deren Tod heiratet er die gerade 20-jährige Anna Magdalena, die seinen Haushalt führt, die Gäste bewirtet und ihm insgesamt 13 Kinder schenkt, von denen nur sechs das Erwachsenen-Alter erreichen.

Als Taubenschlag wird das Haus des Kantors beschrieben, mittendrin die Hausfrau, immer emsig, meistens schwanger. Und dann naht das Weihnachtsfest 1734, schon damals ein furchtbarer Stress, vor allem, wenn man an einem Jahrhundertwerk sitzt und die Uraufführung in den Sternen steht. Seinen extra angereisten Sohn Carl Philipp Emanuel (Ludwig Simon) ignoriert Bach, seinen anderen Sohn Friedemann (Dominic Markus Singer) zieht er vor. Keinen Deut kommt er auch dem Stadtrat Stieglitz (Thorsten Merten) entgegen, dem das Oratorium zu opernhaft und hochgestochen ist.

Elegant schürt Drehbuchautor Christian Schnalke einen Konflikt zwischen großer Kunst, die sich nicht maßregeln lässt, und kleinkarierter Bürokratie. „Keine Kantate soll länger sein als der Gottesdienst!“ fordert Stieglitz. Bach dagegen: „Mein Oratorium reicht für sechs Gottesdienste!“ – „Gott geht vor“, dröhnt Stieglitz. „Aber meine Musik beschwört doch das Göttliche“, trumpft Bach auf und verteilt weitere Notenblätter in der Wohnung.

Die Bestrafung folgt auf dem Fuß. Nun soll er überhaupt keine Weihnachtsandachten mehr gestalten, ein Stellvertreter übernimmt. Bach, eindrucksvoll gespielt von Devid Striesow, ist der Frust bis in die weiße Perücke geschrieben. Ab hier bringt Regisseur Florian Baxmeyer zwei Frauen ins Spiel, die im Leipzig des 18. Jahrhunderts so frei ihre Stimme wohl nie hätten erheben dürfen. Anna Magdalena (Verena Altenberger) sucht Rat bei Erdmuthe Stieglitz (Christina Grosse), der Frau des Stadtrats. Und diese versteht es mit weiblicher Klugheit, ihren Mann so zu beeinflussen, dass das leidige Oratorium zum Prestigeobjekt wird, mit dem man die benachbarten Dresdner beeindrucken kann. Ein Fall von Frauensolidarität, und eine schöne Idee des Autors.

„Ich steh an deiner Krippen hier“
Anna Magdalena trägt derweil wieder ein Kinder unter dem Herzen und fürchtet um dessen Überleben. Zu viele musste sie schon begraben, die alle im Kleinkindalter starben. Auch diesen Schmerz kann sie mit ihrem Mann nicht teilen. Kaum, dass sich der Zuschauer in all dem Kostüm- und Notengeraschel eingerichtet hat, da explodiert ein Ehestreit, der es in sich hat. „Denkst du manchmal an die sieben!“, schreit Anna Magdalena. „Ich mache nur Musik!“, brüllt Bach zurück, der sich von allem und jedem in seiner Arbeit gestört fühlt. „Und siehst dabei den Menschen nicht!“, wütet seine Frau.

Der Konflikt eskaliert, als der kleine Gottfried, dieses versponnene Kind, das unter der Orgel selbstgebastelte Holzpuppen versteckt und von den Jungs des Thomanerchors ständig gehänselt wird, urplötzlich verschwunden ist. Eine Probe auf die Ehe der Bachs und auf das Vaterherz des egomanen Künstlers. Während ein Interessent aus Dresden die fliegenden Notenblätter mustert und gönnerhaftes Lob spendet, wird Bach zusehends unruhig. Endlich, endlich lässt er anspannen, zieht den ungeliebten Sohn Emanuel mit auf den Kutschbock und macht sich auf die Suche nach seinem Sohn.

Der Regisseur zeichnet den Kampf des Komponisten mit der Obrigkeit als eine Weihnachtsgeschichte, die zum Ende hin in einem rauschenden Versöhnungsfest endet. Schließlich ist Weihnachten, Lobpreisung der Sinn des musikalischen Gebets, und ein wenig Schmalz hat noch niemandem geschadet.

Die ganze Familie, auch Carl Philipp Emanuel und Friedemann, machen sich an die Vollendung des Werks, und als der verkniffene Stadtrat gerade mal wieder ein Haar in der Suppe findet, tritt ausgerechnet der schmächtige Gottfried vor und singt mit hellem Sopran „Ich steh an deiner Krippen hier“. Der Rest der Familie fällt ein, die Frau des Stadtrats wirft ihrem Mann einen langen Blick zu, und schon ist die Uraufführung gesichert.

Den großen Tag inszeniert Baxmeyer voll knisternder Spannung. Die Thomaskirche zu Leipzig ist gerammelt voll mit skeptischen Vertretern der Stadt. Aber als die strahlende „Glückwunsch-Kantate“ ertönt, als die hellen Stimmen des Thomanerchors jubeln, da treten gewiss nicht nur dem sturen Stadtrat die Tränen in die Augen. Irgendwann tanzt der kleine Gottfried selbstvergessen durch das Kirchenschiff, und die beiden Frauen, die so klug zwischen ihren Männern vermittelt haben, lächeln sich aus ihren Kirchenbänken heraus stillschweigend zu.

Der große Bach sollte letztlich doch recht behalten. All die Erbsenzähler und Bedenkenträger sind längst vergessen, das Wunderwerk seiner Musik – „jauchzet frohlocket, auf preiset die Tage, rühmet, was heute der Höchste getan“– wird auch dieses Weihnachten wieder landauf, landab gespielt werden und die Herzen berühren. Egal, ob sie nun christlich oder weltlich schlagen. Halleluja.


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