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Parallelen zum Vermisstenfall Madeleine McCann vor 18 Jahren in Portugal – Der ZDF-Zweiteiler „Lillys Verschwinden“
Es ist der Albtraum jeder Mutter, jedes Vaters: Nach einem unbeschwerten Abend mit Freunden kommen sie zurück nach Hause, öffnen einen spaltbreit die Tür ins Kinderzimmer, um sich zu vergewissern, dass ihre kleine Tochter fest schläft – aber das Bett ist leer. Das Kind ist verschwunden.
Genau das passiert Anna und Robert Bischoff, gespielt von Jessica Schwarz und Heino Ferch, die auf einer Mittelmeerinsel zusammen mit der Kollegin des Mannes und deren Kindern Urlaub machen. Die kleine Tochter Lilly ist verschwunden, und sie wird in der Ferienanlage auch nicht gefunden, egal, wie intensiv alle suchen. Was Regisseur Thomas Berger in „Lillys Verschwinden“ (17. und 19. Februar, 20.15 Uhr, ZDF) entwirft, ist ein Szenario, in dem jeder der Beteiligten ein Geheimnis verbirgt.
Was hat es mit dem seltsamen Kauz auf sich, der das Appartementhaus der Urlauber von seiner Finca aus stets im Blick hat? Warum dauert es so lange, bis Anna Bischoff an jenem verhängnisvollen Abend von ihrem Kontrollgang zu den schlafenden Kindern zurückkommt? Wieso bricht Roberts Geschäftspartnerin Johanna (Natalia Wörner) abrupt den Urlaub ab, um zu Hause in Hamburg die gemeinsame Arztpraxis Investoren anzubieten? Und was genau treibt die so hilfsbereiten Zufallsbekannten Sara und Niklas Grothe an, bei denen sich herausstellt, dass der Mann (Felix Klare) einen Flirt mit Anna Bischoff begonnen hatte?
Und dann ist da noch der Sohn der Bischoffs, der sich die Schuld am Verschwinden der kleinen Schwester gibt. Wer ist wie in den Fall verwickelt? Wer ist den verzweifelten Eltern aufrichtig verbunden? Wer kocht nur sein eigenes Süppchen?
Großaufgebot an deutschen Stars
Das Thema des TV-Dramas ähnelt bis ins Detail dem Fall Madeleine McCann, der im Jahr 2007 Schlagzeilen machte und bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Die damals knapp Vierjährige verschwand in Portugal aus dem Appartement der Familie, als die Eltern mit Freunden in einer nahegelegenen Tapasbar aßen. Das britische Arzt-Ehepaar strengte die größte mediale Suchaktion an, die es bis dahin gegeben hatte.
Das Foto des kleinen Mädchens mit den blauen Augen und dem charakteristischen Fleck in der rechten Iris wurde in fast allen in- wie ausländischen Zeitungen gedruckt. Prominente von David Beckham bis Joanne Rowling unterstützten die Suchaktion. Unter der immer noch aktiven Website „findmadeleine.com“ gibt es bearbeitete Fotos, die die Zeit fortschreiben und eine junge Frau von 21 Jahren zeigen, denn so alt wäre Maddie heute, würde sie noch leben.
Immer wieder gab es Hinweise, zuletzt wurde ein inhaftierter Deutscher verhört, dem zwar sexueller Missbrauch von Kindern nachgewiesen werden konnte, aber eben nicht die Entführung. Während der Suchaktionen richtete sich der Verdacht sogar gegen die Eltern. Keine ungewöhnliche Wendung, denn das persönliche Umfeld des vermissten Kindes ist stets Bestand der Ermittlungen.
Wie das Ehepaar McCann wenden sich auch die Eltern Bischoff im Film an die Presse, allerdings nur an die lokale. Nur hier vor Ort würden die Leute die Schlagzeilen lesen, rät ihnen die Reporterin Bo Eilers (Regula Grauwiller). Tatsächlich? Oder will sich die Journalistin nur auf ihre Kosten profilieren?
Heino Ferch und Jessica Schwarz werfen sich mit aller vorstellbaren Intensität in ihre Rollen. Immer wieder hetzen sie über die Insel, immer panischer suchen sie nach Verdachtsmomenten bis hin zur Verdächtigung des Zimmermädchens. Irgendwann wendet sich das Blatt auch noch gegen sie: Die spanischen Polizisten arbeiten plötzlich gegeneinander. Die Ermittlerin ist davon überzeugt, dass die Mutter lügt. Könnte es sein, dass Anna Bischoff ihrer Tochter starke Beruhigungsmittel gegeben hat, um ungestört zu sein? Dass es zu einer Überdosierung kam und sie die Leiche des Kindes heimlich verschwinden ließ?
Auch ihr Kollege weiß nicht, was er von den Eltern halten soll, von denen bekannt wird, dass sie massive Eheprobleme haben. Als Sara und Niklas den beiden anbieten, die Insel mit ihrem Mietwagen per Fähre zu verlassen, schlagen sie sofort ein. Aber das Katz-und-Maus-Spiel ist damit nicht zu Ende.
Dass manch Wendung der Handlung allzu konstruiert gerät, dass der Regisseur das Netz aus Beschuldigungen und Verdachtsmomenten immer fester zieht, ist wohl dem Spannungsbogen geschuldet, den heutige Sehgewohnheiten einfordern. Was aber hängenbleibt, ist das Gefühl großer Hilflosigkeit bei den Ermittlern wie bei den Eltern.
Der Albtraum eines vermissten Kindes ist dabei gar nicht so selten: In Deutschland wurden am 1. Januar letzten Jahres 9832 Personen vermisst, etwa die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. 50 Prozent der Vermissten tauchen erfahrungsgemäß innerhalb der ersten Woche wieder auf, nur drei Prozent der Fälle bleiben länger als ein Jahr ungelöst. Nur in Ausnahmefällen bleiben sie im Gedächtnis so wie der Fall der zehnjährigen Hilal, die 1999 in einem Hamburger Einkaufszentrum Kaugummi kaufen wollte und niemals zu ihren Eltern zurückkehrte.
Eine private Initiative erteilt auf ihrer Website Verhaltensregeln für verzweifelte Eltern (www.initiative-vermisste-Kinder.de). Prioritäten: Im Umfeld suchen, die Polizei einschalten, eine genaue Beschreibung abgeben, die europaweit einheitliche Notrufnummer 116000 wählen. Warten und hoffen ...
Im Film scheint gegen Ende ein Hoffnungsschimmer aufzuflackern: Ausgerechnet die zwielichtige Reporterin bringt die Eltern auf eine neue Spur. Sie habe eine Frau in einem Supermarkt beobachtet, die einen randvoll mit Spielsachen und Kinderkleidung gefüllten Einkaufswagen schob. Es sehe aus wie eine Erstausstattung, teilt sie den aufgelösten Eltern mit. Die kehren heimlich auf die Insel zurück, schütteln die Polizei ab, verfolgen auf eigene Faust ihre allerletzte Hoffnung.
Von Madelaine McCann, dem offensichtlichen Vorbild des Zweiteilers, gibt es bis heute keinerlei Spur. Fast ein Wunder, dass die schwer geprüfte Familie auf ihrer Website nichts als versöhnliche Worte findet. „We have to believe, that one day we will know“, schreibt die Mutter Kate. „Wir müssen einfach daran glauben, dass wir eines Tages Gewissheit haben werden.“