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Ungefähr ein Jahr, nachdem er das „Lange Telegramm“ verfasst hatte: George F. Kennan
Library of CongressUngefähr ein Jahr, nachdem er das „Lange Telegramm“ verfasst hatte: George F. Kennan

Langes Telegramm

Ein Botschaftsrat empfiehlt die „Eindämmung“ Moskaus

Vor 75 Jahren gab George F. Kennan einen wesentlichen geistigen Anstoß zur „Containment“-Politik der USA gegenüber dem einstigen Verbündeten

Erik Lommatzsch
20.02.2021

In Washington gab man sich irritiert. Die Sowjetunion verweigerte die Mitarbeit bei der Ende Dezember 1945 gegründeten Weltbank. Aufschluss über die Ursachen des Verhaltens des vormaligen Kriegsverbündeten erhofften sich die Amerikaner von der eigenen Botschaft in Moskau. Die dort verfasste Stellungnahme, die weit über den eigentlichen Grund der Anfrage hinaus Positionen und Ziele der sowjetischen Politik darlegte und notwendige Folgerungen empfahl, sollte als „Langes Telegramm“ in die Geschichte eingehen.

Verfasst wurde es vor 75 Jahren, am 22. Februar 1946, von dem damals 42-jährigen Diplomaten George F. Kennan. Zu dieser Zeit bekleidete er den Rang eines Botschaftsrats. In dem „Langen Telegramm“ – das für ein Telegramm wirklich sehr umfangreich ist und laut Kennan aufgebaut wie eine puritanische Predigt – legte er der US-Führung seine mahnende Einschätzung vor. Und die bestimmte die Sowjetunion nun eindeutig als Feind. Kennan stand mit dieser Sichtweise in den Vereinigten Staaten nicht allein, doch gelten seine Formulierungen, die ­– wenn zunächst auch nur intern – rasch verbreitet wurden, als wesentlicher Eckpunkt für den Beginn des Kalten Krieges, der das Weltgeschehen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägen sollte.

Bruch mit Josef Stalin
Im Zweiten Weltkrieg waren die USA und die übrigen westlichen Alliierten noch im Kampf gegen das von den Nationalsozialisten beherrschte Deutschland mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin verbündet gewesen. Die Sowjets erfuhren amerikanische Unterstützung, die dringend zur Abwehr der Deutschen benötigt wurde, und sahen sich entsprechend zu Zugeständnissen bereit. So wurde etwa 1943 die Kommunistische Internationale aufgelöst und Stalin schloss sich der Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker an. Belohnt hatte man ihn für sein demonstriertes Wohlverhalten auch. Bereits erfolgte Annexionen wurden bestätigt. US-Präsident Franklin D. Roosevelt hielt bis zu seinem Tod im April 1945 an dem Gedanken fest, eine Kooperation mit der Sowjetunion sei über das Kriegsende hinaus möglich.

Das Vorgehen der Roten Armee, die Einverleibung von Territorien und das Errichten kommunistischer Regime waren sichtbare Zeichen für den Wert von Stalins Zusicherungen. Im „Langen Telegramm“ heißt es: „Wo es angezeigt und erfolgversprechend scheint, wird man versuchen, die äußeren Grenzen der Sowjetmacht zu erweitern“ oder, die „Russen werden sich offiziell an solchen internationalen Organisationen beteiligen, die ihnen Gelegenheit geben, sowjetische Macht auszuweiten“. Ein Fazit Kennans lautet, insgesamt „haben wir es mit einer politischen Kraft zu tun, die sich fanatisch zu dem Glauben bekennt, dass es mit Amerika keinen dauernden modus vivendi geben kann“. Die westlichen Demokratien hielt er dem sowjetischen System für überlegen.

Verschärfung durch „Rollback“
In den USA zeigte Außenminister James Byrnes mit seiner Stuttgarter Rede vom September 1946, dass er der Linie Kennans folgte. Er führte aus, dass die Amerikaner eher Deutschland teilen würden, als es unter sowjetischem Einfluss als Ganzes zu erhalten. Bereits im März jenes Jahres hatte der britische Premier Winston Churchill vom „Eisernen Vorhang“ gesprochen, der Europa teile. Insbesondere aber war es Harry S. Truman, als Nachfolger Roosevelts US-Präsident und gegenüber Stalin wesentlich skeptischer, der Kennans Bewertungen zur Grundlage seiner Politik machte.

Kennan wurde Chef des Planungsstabes im Außenministerium. Seine Anregungen bildeten die Basis der Politik des „Containment“, der Eindämmung, die Truman im März 1947 in einer Rede offiziell verkündete. In endgültiger Abkehr vom einstigen Isolationismus vertrat er hinsichtlich des sowjetischen Expansionismus den Standpunkt, „dass wir den freien Völkern beistehen müssen“. Fortan sollte die „Truman-Doktrin“, sollte das Ziel des „Containment“ maßgeblich für das Agieren der USA werden.

Das „Lange Telegramm“ diente als Basis für einen Artikel mit dem Titel „The Sources of Soviet Conduct“, der im Juli 1947 in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ erschien. Die Wende in der Außenpolitik der USA sollte so öffentlichkeitswirksam vermittelt werden. Kennan zeichnete damals nur mit „X“, aber die Identität des Autors wurde schnell bekannt. In Umsetzung des „Containment“ erarbeitete er die Grundzüge des Marshall-Plans.

Die Eindämmungspolitik war zwar sowjetkritisch, aber noch defensiv. Nach dem Wechsel im Präsidentenamt vom Demokraten Truman zum Republikaner Dwight D. Eisenhower im Jahre 1953 wurde dann unter dessen Außenminister John Foster Dulles die offensivere Strategie des „Rollback“, des Zurückdrängens forciert. Der Unterschied besteht darin, dass „Containment“ reagieren sollte, sobald die Sowjetunion handelte, während „Rollback“ die Initiative betonte, etwa die aktive Unterstützung beim Sturz kommunistischer Systeme.

Rückblickend fühlte sich der nicht nur als Diplomat, sondern auch als Historiker hervorgetretene Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels des Jahres 1982 bezüglich der Intention seines „Langen Telegramms“ missverstanden. „Containment“ habe für ihn politische Eindämmung bedeutet und nicht militärische, wie sie dann mit Aufrüstung und atomarer Bedrohung zutage trat.

Kennan erlebte das Ende des Kalten Krieges, den Sieg „seines“ Systems und wurde Zeuge der darauffolgenden Veränderungen. 1997 trat er als scharfer Kritiker der NATO-Osterweitung hervor. Im März 2005 ist er im Alter von 101 Jahren gestorben.


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