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Dirk Kemper: „Das  außergewöhnliche Leben des Friedrich Joseph Haass. Biografie einer Legende“, Herder Verlag, Freiburg 2021, gebunden,  316 Seiten, 20 Euro
Dirk Kemper: „Das außergewöhnliche Leben des Friedrich Joseph Haass. Biografie einer Legende“, Herder Verlag, Freiburg 2021, gebunden, 316 Seiten, 20 Euro

Biographie

Ein deutscher Arzt in russischem Dienst

Dirk Kemper zeichnet den Lebensweg von Friedrich Joseph Haass nach, der heute in Russland noch bekannt ist und als selbstloser Helfer verehrt wird

Dirk Klose
18.06.2022

Obwohl die deutsch-russischen Beziehungen gegenwärtig eisig sind, erinnert Dirk Kempers Buch „Das außergewöhnliche Leben des Friedrich Joseph Haass“ an freundlichere Seiten. Russland hatte seit Peter dem Großen unzählige ausländische Wissenschaftler, Handwerker und Bauern ins Land geholt. An deutschen Universitäten gab es sogar Kopfgeldjäger. Besonders Ärzte waren begehrt, manche brachten es bis zum Leibarzt der Zaren.

Ein noch heute in Russland verehrter Mediziner ist Friedrich Joseph Haass (1780–1853), der nach dem Studienabschluss nach Moskau kam und dort bis zu seinem Tod blieb. Ihm hat der Literaturwissenschaftler Kemper eine Biographie gewidmet, in der Haass als ein von christlichem Ethos beseelter „heiliger Doktor von Moskau“ vorgestellt wird. Der Autor hat in den vergangenen Jahren an Moskauer Universitäten gelehrt und 2003 den Russischen Germanistenverband mitgegründet.

Haass stammte aus dem linksrheinischen Münstereifel. Seine in sicheren Verhältnissen lebende Familie ermöglichte ihm ein Studium der Medizin in Jena, Göttingen und Wien. 1806 kam er als Leibarzt einer russischen Fürstin nach Moskau, wo er schon bald mit einer gut gehenden Praxis reüssierte, vor allem aber bekannt wurde, weil er unentgeltlich auch Arme und Obdachlose behandelte. Rasch wurde er an einem Krankenhaus Chefarzt und in der Folgezeit Mitglied wichtiger Kommissionen. In Erinnerung bis heute sind seine oft erfolgreichen Bemühungen um einen humaneren Strafvollzug in den Gefängnissen und für nach Sibirien Verbannte.

Es ist eine etwas merkwürdige Biographie. Ausführlichen Informationen zu Haass' Leben versagt sich der Autor öfters zugunsten allgemeinerer Ausführungen, etwa zur Lage der linksrheinischen Gebiete unter der Herrschaft Frankreichs, zur geistigen Situation in Jena, wo Medizinphilosophie und romantische Philosophie (Schelling) aufeinandertrafen, zum russischen Strafvollzug, besonders zu den grausamen Bedingungen für nach Sibirien verbannte Menschen, zu der um 1830 in Europa grassierenden Cholera und zu dem von tiefer Religiosität geprägten Handeln des Arztes, der sowohl „Narr in Christo“ als auch „großer Humanist“ (Lew Kopelew) genannt wird. Hat der Leser eine leise Enttäuschung überwunden, folgt er diesem material- und gedankenreichen Konzept doch ganz gerne.

Vor einem Krankenhaus in Moskau, das Haass geleitet hatte, steht seit 1909 sein Denkmal. Angeblich musste man früher den Kutschern nur „Haassowka“ sagen, dann war klar, wohin man wollte.


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