Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vor 75 Jahren wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nationalsozialisten ermordet. Dass am selben Tag im Nordosten Deutschlands die „Festung Königsberg“ kapitulierte, war Zufall. Und doch sagt die Gleichzeitigkeit beider Ereignisse viel über die letzten Tage des „Dritten Reiches“ aus
Unter den Schicksalsdaten des Jahres 1945 ist der 9. April eines der am wenigsten beachteten. Dabei stehen die Ereignisse jenes Tages symbolhaft für die letzten Zuckungen eines verbrecherischen Regimes, das sechs Jahre lang Krieg und Terror über den Kontinent gebracht hatte und nun entschlossen war, die eigene Bevölkerung mit in den Abgrund zu ziehen.
Anfang April 1945 war Hitler längst klar, dass der Krieg verloren war. Die Russen standen an der Oder und bereiteten den Sturm auf die „Reichshauptstadt“ vor, die Amerikaner harrten an der Elbe der Dinge. Der Machtbereich des vormaligen „größten Feldherrn aller Zeiten“ (Wilhelm Keitel 1940) war nur noch rund 250 Kilometer breit. Bereits am 19. März hatte er befohlen, „alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen (...) zu zerstören.“ Nun ging der Diktator daran, noch möglichst viele derjenigen hinzurichten, die es gewagt hatten, sich seiner Diktatur in den Weg zu stellen. Am 5. April 1945, dem Donnerstag nach Ostern, wurde während der Mittagsbesprechung bei Hitler entschieden, wer von den prominenten Angehörigen des Widerstands zu „erledigen“ sei.
Ein preußischer Ausnahmetheologe
Der bis heute inspirierendste Kopf unter den Todgeweihten war der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, 1906 in Breslau geboren, mit 21 Jahren promoviert, mit 24 Jahren habilitiert. Anders als seine Amtskirche stand Bonhoeffer von Beginn an in Opposition zum NS-Regime. Mit Martin Niemöller gründete er 1933 den Pfarrernotbund. Wiederholt war er für längere Aufenthalte im Ausland, unter anderem von 1933 bis 1935 in London, kehrte jedoch stets zurück. Im Sommer 1939 weilte er in den USA und schlug dort eine Professur aus, da er angesichts der Gefahr eines Krieges in Europa seinen Platz als Seelsorger in der Heimat sah.
Über seinen Schwager Hans von Dohnanyi bekam Bonhoeffer früh Kontakte zum Widerstandskreis um Wilhelm Canaris. 1941 und 1942 unternahm er diverse Reisen ins neutrale Ausland und traf unter anderem in Schweden den anglikanischen Bischof George Bell, um diesem Dokumente über den Widerstand für die britische Regierung mitzugeben, in denen die Positionen der Verschwörer erläutert waren und auch die Bitte ausgesprochen wurde, zwischen Deutschen und Nazis zu unterscheiden. Schon im April 1943 wurden Bonhoeffer und Dohnanyi von der Gestapo verhaftet.
Als Hitler am 5. April 1945 den Daumen über Dietrich Bonhoeffer senkte, war dieser bereits, zwei Tage zuvor aus dem KZ Buchenwald kommend, in einem 16 Personen umfassenden Gefangenentransport in Regensburg angelangt, wo er am 4. und 5. April, also Mittwoch und Donnerstag der Osterwoche, blieb. Der Wagen für den Weitertransport, ein Holzvergaser, blieb auf der Strecke liegen. Man wartete, bis ein Bus aus Regensburg kam und die Gefangenen nach Schönberg bei Zwiesel im Bayerischen Wald transportierte.
Tod eines gläubigen Christen
Vom 6. bis 8. April war Bonhoeffer in Schönberg. Dort hielt er am Weißen Sonntag nach Ostern auf Wunsch von Mitgefangenen eine Andacht über die Tageslosung Jes. 53, 5: „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ und zu 1. Petrus 1, 3: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ Er sprach von den Gedanken und Entschlüssen, die diese gemeinsame turbulente Gefangenschaft allen gebracht hatte.
Unmittelbar nach der Andacht wurde Bonhoeffer herausgerufen. Er zeichnete noch schnell vorn, hinten und in der Mitte des Buches seinen Plutarch „Große Männer – Biographien“, den ihm seine Eltern noch im Januar 1945 ins SS-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin bringen lassen konnten. Dieses Exemplar, das letzte Lebenszeichen des Theologen, wurde später von einem der Söhne Carl Friedrich Goerdelers an die Familie Bonhoeffer übergeben. Es erhielt noch einen Abschiedsgruß von Frau Goerdeler, deren Ehemann bereits am 2. Februar 1945 ermordet worden war. Sie und ihre Familie befanden sich mit den Familien des Generals Franz Halder, des Grafen von Stauffenberg und Ulrich von Hassells in Sippenhaft. Sein bekanntestes Gedicht und Lied „Von guten Mächten“ hatte Bonhoeffer dem letzten Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer (1924–1977) zu Weihnachten 1944 als Anlage beigefügt.
Bonhoeffer wurde nach Flossenbürg transportiert, wo am 8. April ein eilends zusammengerufenes Standgericht mit SS-Standartenführer Walter Huppenkothen als Ankläger und dem SS-Richter Dr. Otto Thorbeck, der mit einem Güterzug aus Nürnberg bis Weiden und dann per Fahrrad bis Flossenbürg gereist war, diejenigen, die nach dem Willen Hitlers unter keinen Umständen überleben sollten, zum Tode verurteilte. Eine Verteidigung war nicht vorgesehen.
Die Verurteilten waren Admiral Wilhelm Canaris, General Hans Oster, Dr. Karl Sack, Theodor Strünck, Ludwig Gehre und Dietrich Bonhoeffer. In der grauen Dämmerung des Montags, 9. April, fand ihre Hinrichtung statt. Der Lagerarzt sah Bonhoeffer in der Vorbereitungszelle knien und inbrünstig beten. Nach dem Kriege erinnerte er sich: „Ich habe in meiner fast 50-jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“
Bonhoeffers letzte Worte beim Abschied in Schönberg tags zuvor waren: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“
Am selben Tage wurden auch Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen und der Hitler-Attentäter Georg Elser im KZ Dachau hingerichtet. Das NS-Regime ließ niemanden davonkommen.
Kapitulation der Festung Königsberg
Am Abend der Ermordung dieser bedeutenden Köpfe des deutschen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Barbarei im oberpfälzischen Flossenbürg erlebten in Königsberg die Verteidiger der Ende Januar zur „Festung“ erklärten ostpreußischen Hauptstadt unter dem Kommandanten General Otto Lasch die letzten Stunden vor der Kapitulation. Erschütternde Szenen verzweifelter Menschen hatten sich in den letzten Tagen abgespielt. Zwei vor der Gauleitung und dem dortigen Treiben geflüchtete Frauen nahmen sich in einem ihnen zugewiesenen Raum das Leben. Der starke Beschuss und Bombenabwurf zerrten selbst erfahrenen alten Frontsoldaten an den Nerven.
Der Schlesier Lasch war erst Ende Januar zum Kommandanten der „Festung“ ernannt worden. Mehrfach hatte er seitdem versucht, Gauleiter Erich Koch angesichts der erdrückenden Übermacht der Roten Armee dazu zu überreden, die längst in Trümmern liegende Stadt den Russen zu übergeben, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Doch Koch lehnte jedes Mal ab.
Als am 6. April 1945 der Endkampf um Königsberg begann, standen rund 35 000 abgekämpften Wehrmachtssoldaten rund 250 000 Angreifer gegenüber, die – wie Lasch später schrieb – unter anderem über amerikanische Sherman-Panzer und sogar US-Flugzeuge verfügten, während die deutsche Luftwaffe faktisch nicht mehr existierte. Angesichts der ausweglosen Lage entschloss sich Lasch zur Aufgabe. Sein wichtigster Beweggrund war die Überlegung, dass eine Kapitulation immerhin die Chance bot, dass wenigstens ein Teil der Zivilbevölkerung und der Soldaten den Krieg überleben würde, während ein Weiterkämpfen für alle den sicheren Tod bedeutet hätte.
Nach langen, bangen Stunden des Wartens erschien in den späten Abendstunden des 9. April als Abgesandter des Oberbefehlshabers der 3. Weißrussischen Front, Marschall Wassiljewski, ein Oberstleutnant Kerwien mit russischen Offizieren, der bevollmächtigt war, die Kapitulation nach den Bedingungen abzuschließen, die zuvor in einem russischen Flugblatt genannt worden waren. Folgendes wurde zugesichert:
1. Das Leben,
2. Ausreichende Verpflegung und eines Soldaten würdige Behandlung während der Kriegsgefangenschaft,
3. Sorge für die Verwundeten und für die Zivilbevölkerung,
4. Nach Beendigung des Krieges Rückkehr in die Heimat oder in ein Land nach Wahl.
Der Untergang einer europäischen Kulturstadt
Später sollte sich zeigen, dass keine der Zusagen eingehalten wurde. Die Königsberger Bevölkerung erlebte Wochen und Monate einer bis dato unvorstellbaren Gewalt und auch eines erbarmungslosen Hungers. Von den bei Ausbruch des Krieges rund 370.000 Königsbergern gerieten am 9. April 1945 etwa 120.000 unter die Besatzung durch die Rote Armee. Nur wenig mehr als 20.000 von ihnen überlebten bis 1948 und wurden in den Westen evakuiert. Diese wenigen Zahlen markieren den Untergang einer großen europäischen Kulturstadt.
Otto Lasch selbst ging mit seinen Offizieren und Soldaten in die Gefangenschaft und kehrte erst im Spätherbst 1955 nach Gefängnissen und Arbeitslagern in Moskau, Leningrad, Karabas in Mittelasien, Workuta am Eismeer, Asbest im Ural und Stalingrad an der Wolga als einer der letzten Überlebenden nach Deutschland zurück. In seinem Buch „So fiel Königsberg“ schrieb er, dass da schon „den weitaus größten Teil unserer unschuldigen Kameraden bereits die Erde des weiten russischen Landes deckte.“
Der ganze Zynismus des NS-Regimes zeigte sich freilich darin, dass Lasch – der zuvor von der politischen und militärischen Führung in Berlin vollkommen im Stich gelassen worden war – im Anschluss an die Kapitulation von Hitler degradiert und zum Tode verurteilt wurde. Seine Frau und die beiden Töchter kamen in Sippenhaft.
Lehren eines Tages
Diese historischen Vorgänge des 9. April 1945 – die Aufrechterhaltung der Verfolgungs- und Tötungsmaschinerie des nationalsozialistischen Terrorstaates bis in den Untergang hinein, bis zur Ermordung der prominenten Angehörigen des Widerstands im KZ Flossenbürg, sowie die Aufopferung von tapfer kämpfenden Soldaten und einer gedemütigten Zivilbevölkerung in einem aussichtslosen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, der unter Missachtung der von ihm selbst gestellten Bedingungen gnadenlos seinen Sieg auskostete – diese beiden Ereignisfolgen lassen wie in einem Brennglas die diabolische Essenz des Zusammenbruchs der verbrecherischsten deutschen Diktatur transparent werden.
Während jedoch Königsberg bis heute als Kaliningrad ein entfremdetes Leben fristen muss, wuchs aus dem Martyrium Dietrich Bonhoeffers in Flossenbürg ein Geist des Trostes und der Zuversicht ans Licht, der bis in die Osterzeit des Jahres 2020 seine Strahlkraft nicht verloren hat.
• Klaus Weigelt ist Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg e.V. Zuletzt erschien von ihm „Im Schatten Europas. Ostdeutsche Kultur zwischen Duldung und Vergessen“ (Westkreuz-Verlag 2019).
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