07.11.2025

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Einzelkämpfer gegen die rechte Gefahr: Schuster Julius Kraus (Josef Hader)
Bild: ZDF/Fabio Eppensteiner /[M] Claussen+Putz FilmEinzelkämpfer gegen die rechte Gefahr: Schuster Julius Kraus (Josef Hader)

TV-Kritik

Ein Dorf am Abgrund

ZDF-Film über das Erstarken des Nationalsozialismus in der Provinz – Parallelen zu heute sind unübersehbar

Anne Martin
07.11.2025

Ein kleines Haus in einem bayerischen Dorf, hinterm hölzernen Zaun ein Nutzgarten mit grünen Stauden, alles aufgeräumt und unauffällig. Hier lebt der Schuster Julius Kraus (Josef Hader), den alle nur „Schuster“ nennen, ganz allein und nur für sich. Seine Frau ist verstorben, sein einziger Sohn nach Amerika ausgewandert. Ein Mann, der sich raushält aus allem und doch durch eine Wendung des Schicksals zum Katalysator für einen Gewaltausbruch wird.

Der zweiteilige ZDF-Film „Sturm kommt auf“ (Sendetermin am 10. November, um 20.15 und 21.45 Uhr) nach dem Roman „Unruhe um einen Friedfertigen“ von Oskar Maria Graf beschreibt das Erstarken des Nationalsozialismus nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Machtergreifung Hitlers. Das Dorf zeigt dabei das Weltgeschehen wie in einer Glaskugel: Der Bürgermeister, der sich an Recht und Ordnung hält und von den Horden der SA gedemütigt wird; der Fleischermeister Ludwig (Sebastian Bezzel), der zu den „Roten“ gehört und prompt verfolgt wird; der opportunistische Wirt (Helmfried v. Lüttichau), der eilfertig die Seiten wechselt, im Hintergrund die machtlosen Frauen, allen voran Elis (Verena Altenberger), die Tochter des Bürgermeisters, die auf Geheiß ihres niederträchtigen Bruders Silvan (Frederic Linkemann) von einem Dörfler vergewaltigt wird.

Diese ruchlose Tat ist der Anfang vom Ende. Elis, die mit dem Schuster eine zarte Freundschaft pflegte, erhängt sich aus Scham in der Scheune, beim Trauerzug schiebt ihr kleiner Sohn seine Hand in die des Einzelgängers, als wisse er, dass er nur bei diesem stillen Mann noch Frieden erwarten kann. „Guter Gott, wir loben dich“, singt dazu glockenrein der Chor und klingt doch wie der schiere Hohn auf alles, was kommt. Denn im Dunst der Wirtsstube wird schon die Machtübernahme vorbereitet. Recht? Moral? So wie die Gesichtszüge der Männer beim Saufen entgleisen, gerät auch das Zusammenleben aus den Fugen.

Regisseur Matti Geschonnek inszeniert den Wandel von der oberbayerischen Idylle zum Minenfeld, in dem ein Nachbar den anderen bespitzelt, als beeindruckende Parabel mit durchaus aktuellen Bezügen. Keiner kann der fanatischen Bewegung etwas entgegensetzen: Der Opportunist nicht, der aus einer Laune heraus erschossen wird, der Schuster nicht, der doch unbedingt neutral bleiben will, auch nicht der Bürgermeister, der vom eigenen Sohn entmachtet wird. Die Frauen mit den streng geflochtenen Zöpfen, die den Haushalt führen und Kinder gebären, schon gar nicht.

Dann die Wende: Der Schuster erbt völlig überraschend ein Vermögen, das ihm der in den USA verstorbene Sohn hinterlassen hat, aber will es nicht haben. Er setzt stattdessen eine Anzeige in die Zeitung, in der er alles dem Fleischermeister Ludwig vermacht und sich selbst als Jude outet. Dieses Bekenntnis wird sein Todesurteil sein. Wenn erst einmal Niedertracht und Mordlust an der Macht sind, so die Botschaft des Films, haben auch die Friedfertigen keine Chance.

Der sehr sehenswerte Zweiteiler läuft im Rahmen des ZDF-Programmschwerpunktes „Gegen das Vergessen – 80 Jahre Kriegsende.“


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